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Meinung

Hör auf, News zu lesen!

Thomas Meyer
3.10.2024

Wir konsumieren Nachrichten in aller Selbstverständlichkeit. Ihre Wirkung auf unsere mentale Gesundheit ist jedoch verheerend. Am besten hörst du ganz auf, sie zu lesen. Du verpasst nichts – es ist eh immer dasselbe.

Ein endloser Krieg hier, ein anderer dort, lauter neue Tote, Waldbrände, Überschwemmungen, vertrocknete und vergiftete Flüsse, Terroranschläge und sexuelle Gewalt – ein ganz normaler Tag auf einem News-Portal.

Zugegebenermassen haben die Schrecklichkeiten einen geradezu magnetischen Unterhaltungswert. Es ist aufregend, derart krasses Zeug zu lesen und noch mehr, es anzusehen. Von manchen Ereignissen gibt es nur ein verwackeltes Handyvideo, oder die Leichen sind unkenntlich gemacht – da ist man dann immer ein wenig enttäuscht. Und nicht zuletzt existiert bei fast allen von uns der Anspruch, über das Weltgeschehen informiert zu sein.

Horrorfilme haben wenigstens ein Ende

Die Frage ist, wie gut einem das alles tut. Nicht mal hartgesottene Fans des Genres schauen jeden Tag zwei Horrorfilme. Die Zeit, die wir mit Nachrichten verbringen, entspricht dem aber in etwa. Die Wirkung erst recht.

Zwei Unterschiede gibt es allerdings: Ein Gruselfilm ist nach zwei Stunden vorbei, der Schrecken in den Zeitungen hingegen kennt kein Ende. Morgen steht schon die nächste Ladung parat. Ausserdem haben Filmstorys eine enorme Bandbreite, während die jene in den Nachrichten im Grund immer dieselbe ist: Kaltblütige Männer bringen Verwüstung über die Natur und über Zehntausende den Tod oder zumindest die Armut, weil es für sie nichts Schöneres gibt als Geld und Macht.

So kann ich nicht leben

Diesem im Grunde banalen Skript folgen die News jeden Tag. Und wir wiederum ihnen. Wir sind empört und entsetzt, lesen aber immer weiter. Kürzlich war ich bei meinen Eltern und habe die NZZ aufgeschlagen – und sie nach zwei Seiten wieder weggelegt, weil ich es so grauenvoll fand, was da stand. Am nächsten Tag las ich dennoch woanders Nachrichten.

Es gibt auch gute Ignoranz!

Man kann sich ganz einfach fernhalten von den Schrecklichkeiten – man liest sie einfach nicht mehr. Und bittet andere, einen zu verschonen. Es ist überraschend einfach, aus der Bubble des Grauens hinauszutreten. Ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Vermutlich, weil ich nichts verpasse. Wie schon nach meinem Rückzug aus den elenden Sozialen Medien.

Natürlich lese ich trotzdem immer wieder mal einige News-Häppchen. Hauptsächlich, um mich in meiner Entscheidung zu bestärken. Und manchmal kaufe ich den Spiegel. Das deutsche Nachrichtenmagazin enthält kaum Tagesaktuelles, nur Hintergrundberichte und exzellente Reportagen, und es hat einen spannenden Wissensteil. Aber nicht mal das halte ich jede Woche aus. Selbst das muss ich dosieren.

Man kann das ignorant finden. Aber so wie es gesunden Egoismus und krankhafte Rücksichtnahme gibt, gibt es offenbar auch gesunde Ignoranz. Oder wenigstens hilfreiche.

Warum liest du Nachrichten und wie geht es dir dabei? Könntest du auch darauf verzichten – wenigstens für einen Monat? Schreib es in die Kommentare!

Titelbild: Shutterstock / Olezzo

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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