
Ghost in the Shell – Cyberpunk auf Grossleinwand

In Zukunft können Menschen beliebig umgebaut werden. Die Bionik ist so weit fortgeschritten, dass der Verlust der eigenen Augen etwas ist, das höchstens eine Mittagspause lang beschäftigt. In dieser Welt ist Major Mira Killian die erste, an der nur noch das Gehirn menschlich ist. Es ist die Welt des Kinofilms «Ghost in the Shell». Ich habe den Film vorab gesehen und sage dir, ob sich der Gang ins Kino lohnt.
Der Animationsfilm «Ghost in the Shell» aus dem Jahr 1995 gehört zu den Klassikern des Genres. Genau wie «Akira» hat der Film der westlichen Welt gezeigt, dass Animation auch anspruchsvoll und für Erwachsene sein kann. Die Geschichte von Major Motoko Kusanagi, die sich die Frage nach der Menschlichkeit im Zeitalter der Austauschbarkeit des menschlichen Körpers stellt und gleichzeitig einen Hacker jagen soll, ist storytechnisch äusserst anspruchsvoll. Aber auch visuell hat der Film Geschichte gemacht.
Als Beispiel für die herausragende Animation und die Stilsicherheit des Films wird oft die sogenannte «Shelling Sequence» angeführt. In diesen drei Minuten wird das Gehirn Kusanagis – das einzige an ihr, das noch aus Fleisch und Blut besteht – in ihren neuen Körper verpflanzt.
Kurz: Die Realverfilmung mit Scarlett Johansson als Major in der Hauptrolle tritt in grosse Fussstapfen. Die Frage, ob «Ghost in the Shell» diese Fussstapfen füllen kann, ist nicht so leicht zu beantworten. Der 2017er-Film macht viel richtig. Darunter auch die Frage, warum eine Kaukasierin die Rolle einer Frau spielt, die eigentlich Asiatin sein müsste. Aber die Dinge, die der Film versemmelt, versemmelt er mindestens eben so gut.
Die neueste Neuerfindung
Die Sache mit «Ghost in the Shell» ist die: Neuerfindungen und Re-Interpretationen sind dem Grundkonzept nicht fremd. Die Grundgeschichte von «Cyborg-Frau arbeitet für die Polizei-Spezialeinheit Sektion 9» war nicht immer so bierernst wie in den beiden Verfilmungen. Begonnen hat die Geschichte im Jahr 1989 als 攻殻機動隊 («Kōkaku Kidōtai», sinngemäss übersetzt «mobile, gepanzerte Polizeieinheit für Einsätze bei Aufständen») als Manga, also Comic. Darin ist Motoko Kusanagi nicht nur die philosophierende Cyborg-Frau, sondern hat Ideale und einen Sinn für Humor.
Sechs Jahre später dann der Animationsfilm, der der Marke seine Ernsthaftigkeit verlieh und die Fragen nach der Intelligenz als definierender Faktor für Menschlichkeit und Leben und dem Theseus-Paradox stellt. Dieses Paradox kann kurz in etwa so zusammengefasst werden: Wenn du ein Schiff hast, dann geht dann und wann wieder etwas kaputt. Du ersetzt es. Wenn du alle Teile ersetzt hast, ist es dann immer noch das selbe Schiff? Kusanagi stellt sich die Frage, mit der sich schon der Philosoph Plato und Autor Plutarch auseinandergesetzt haben: mit dem menschlichen Körper und dem Menschen statt mit einem Schiff.
Dann folgte die Fernsehserie mit dem Titel «Ghost in the Shell: Stand Alone Complex», in der nebst der Verbrecherjagd die mit künstlicher Intelligenz versehenen Panzer namens Tachikoma versuchen, Rechte zu erlangen. Dazu Videogames, mehr Manga und allerlei Merchandise. Mehr Filme. Mehr Serien. Darunter «Ghost in the Shell: Arise» und «Ghost in the Shell: The New Movie».
Daher ist es immer wieder spannend zu sehen, was Autoren aus der Grundidee machen. Manche dieser Neuinterpretationen finde ich besser wie «Stand Alone Complex» und andere schlechter, darunter «The New Movie».
Im Zuge dieses Artikels möchte ich auf einige Kernelemente des ganzen Mythos rund um Cyberbrains – also menschliche Gehirne mit direktem Zugang zu Technologie – eingehen und so dem Film mit Scarlett Johansson etwas kulturellen Kontext geben.
Respekt für das, was vorher gekommen ist
«Ghost in the Shell» (2017) beginnt mit einer Texteinblendung. Unter Filmenthusiasten ist diese Technik, dem Zuschauer irgendwelchen Kontext ins Gesicht zu schmettern, verpönt. Das geht eleganter. Auch in «Ghost in the Shell». Diese zwei, drei wichtigen Informationen von wegen Robotik und anderem hätten die Autoren auch locker einer Figur in den Mund legen können, genau wie sie es bei den Begriffserklärungen für «Ghost» und «Shell» gemacht haben.
- Ghost: Der menschliche Geist, manchmal auch für das Gehirn als Organ verwendet
- Shell: Der Körper.
Das hat Juliette Binoches Charakter Dr. Ouelet in zwei Sekunden runtergeraspelt und gut ist. Zum Glück aber geht es nach dem Text auf dem Bildschirm los mit einer Szene, die in irgendeiner Form in praktisch jeder Interpretation vorkommt: Der Attacke auf das Dinner. Die Schlüsselmomente hier sind, dass Attentäter Schusswaffen aus Koffern ziehen, Kusanagi in engem Dress vom Dach springt und durch das Fenster ins Zimmer mit den Attentätern kommt. Danach springt sie aus dem Fenster und tarnt sich mit Thermo-optischer Tarnvorrichtung.
Im 1995er-Film sieht das so aus.
Die Szene ist bis ins Detail nachgebildet und beweist schon früh, dass der Film seine Ursprünge versteht, auch wenn die Szene ganz anderen Inhalt hat. Paramount Pictures hat die Szene, wohl um Fans und Kritiker zu beruhigen, schon mal vorab auf ihrem offiziellen Youtube-Kanal veröffentlicht.
Es ist wirklich erfrischend zu sehen, dass sich die Macher des Films nicht nur auf die Grundidee verlassen haben, sondern auch das Erbe der Comics und der Animationen miteinbezogen haben. Und in diesen Schlüsselszenen versteht der Film seine Ursprünge voll und ganz.
Ein Körper hat Gewicht
Etwas weniger versteht der Film sich in allem, was nicht direkt mit Motoko Kusanagis Arbeitgeber Sektion 9 zu tun hat. Vor allem das Setting hat der Film etwas versemmelt. Vor allem, wenn es um eine zentrale Frage, der nach dem Körper, geht. Denn in allen Medien wird im Subtext klar gemacht, dass Kusanagis Körper schwer ist. Weit schwerer als es ein Mensch sein sollte. Wenn sie vom Dach springt, dann birst der Boden unter ihren Füssen.

Im Film aber ist Scarlett Johansson federleicht und grazil. Das ist ein Fehler, den Animatoren oft im Film machen, denn computergenerierte Bilder haben kein Gewicht, und dieses zu simulieren ist schwierig. Daher wirkt das dann oft falsch und unrealistisch, da die Figuren zu leicht scheinen. Bei «Ghost in the Shell» wäre die Umkehr dieses Prinzips super gewesen. Denn Motoko Kusanagi ist zu schwer für ihren weiblichen Körper, der Normalgrösse hat. Daher wäre es ein netter Touch gewesen, wenn die Figur der Mira Killian schwerer wäre. Nicht bulliger, aber schwerer. Denn das würde eine Schlüsselszene gegen Ende des Films etwas eindrücklicher machen. Diese zu verraten, wäre ein Spoiler und den will ich euch ersparen.
Die Story mit einem kleinen Meta-Aspekt
Die Geschichte des Films ist aus mehreren Versionen zusammengestückelt. Schurke Kuze (Michael Pitt) stammt aus der zweiten Staffel von «Stand Alone Complex», erhielt aber Aspekte des Puppet Masters aus dem 1995er-Film. Kuze ist hinter den Chefs und Wissenschaftler der weltgrössten Robotik-Firma her. Die Gründe dafür liegen tief vergraben in einer Verschwörung aus dem militärisch-industriellen Komplex, den Nacht-und-Nebel-Projekten der Robotik-Firma und der persönlichen Geschichte des Majors. Denn diese hat es in sich.
Wo die animierten Filme und Serien bisher eine Art Gedankenanstoss zum Thema Menschlichkeit waren, ist der Film eher ein persönliches Drama des Majors. Denn diese Story der Mira Killian hat es in sich und liefert eine Erklärung für einen Hauptkritikpunkt des Castings der Scarlett Johansson.
Die Kritik, die nach Bekanntwerden der Rollenbesetzung laut wurde, war die, dass Scarlett Johansson eine Kaukasierin ist, Motoko Kusanagi aber eine Japanerin. Der Film löst dies auf eine ganz perfide und clevere Weise. Auch wenn ich persönlich dafür bin, dass mehr Frauen und Minderheiten in Hauptrollen zu sehen sind, finde ich die Art und Weise, wie der Film den Punkt in der Geschichte aufgenommen hat, clever und irgendwie beschäftigend. Fast so, wie der Originalfilm.
Denn sonst ist der Film nicht so provokant. Eine Geschichte über eine Frau in einer nicht allzu fernen Zukunft, wohingegen das japanische Original den Zuschauer zum Denken bringen will, egal, wie abgedroschen oder antwortfrei das Thema schon sein mag. Es fehlt dem Film der Mut, zu provozieren. Die Produzenten und Autoren verlassen sich auf Scarlett Johansson als Star und wollen persönliches Drama vor die Implikationen der Fortschreitenden Bionik stellen. Dadurch scheint die Story eine von vielen zu sein. Sie wird austauschbar, flach und banal.
Die finale Frage: Ist «Ghost in the Shell» ein guter Film? Ja. Von der Machart und dem Verständnis der Materie her ist der Film gut. Schauspielerische Leistungen, Spezialeffekte – praktisch wie computergeneriert –, und die Gestaltung der Welt sind wirklich sehr gut. Schade ist nur, dass die Schauspieler mit Ausnahme Scarlett Johanssons kaum zu Wort kommen. Vor allem von Pilou Asbæk als Batou, dem engsten und wohl einzigen Vertrauten, hätte ich gerne mehr gesehen. Ansonsten fehlt dem Film der Mut, aussergewöhnlich zu sein, wenn es nicht nur ums Visuelle geht. Es fehlt der Biss in der Story und die Herausforderung für das Publikum.


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.