
Hintergrund
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von Philipp Rüegg
Fallout 76 holt sich den coolsten Charakter der TV-Serie ins Spiel: Walton Goggins' Ghoul wird zum Questgeber in der neuen Erweiterung «Burning Springs».
Was ist das Coolste an der «Fallout-»TV-Serie von Prime Video? Die Set-Desings? Nein. Die detaillierte Umsetzung der Spielwelt? Auch nicht. Es ist Walton Goggins, der als namenloser Ghoul die beste Performance der Serie abliefert. Das haben offenbar auch die Entwicklerinnen und Entwickler bei Bethesda gecheckt, denn in der neuen «Fallout 76»-Erweiterung «Burning Springs» wird der lederhäutige Cowboy zum zentralen NPC – inklusive Goggins' Originalstimme im englischen O-Ton.
Damit setzt «Fallout 76» seine bemerkenswerte Rehabilitierung fort. Zur Erinnerung: Der Launch vor mittlerweile sieben Jahren war ein Desaster nuklearen Ausmasses. Keine NPCs, Bugs à discrétion, ein Endgame, das aus... nichts bestand, die Canvas-Bag-Kontroverse und vieles mehr. «16 times the detail», versprach Todd Howard damals, in einer Ankündigung, die später zum Meme werden sollte. Was er nicht erwähnte: Die Details waren alle kaputt.
Aber das war 2018. Seitdem hat sich viel getan: «Wastelanders» brachte NPCs, «Steel Dawn» fügte die Brotherhood of Steel hinzu, «The Pitt» expandierte nach Pittsburgh. Und jetzt kommt mit «Burning Springs» das grösste Update seit 2020 – eine komplett neue Region im postapokalyptischen Ohio, die sich über eine verbrannte Wüsten-Landschaft erstreckt.
Ohio liegt im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten und gehört de facto nicht zum Wilden Westen, dessen romantisierte Form uns die Popkultur seit Jahrzehnten verkauft. In der Welt von «Fallout 76» ist das allerdings Wurscht: Highway Town, der zentrale Community Hub der Erweiterung, strahlt eine staubige Western-Atmosphäre aus, die mich sofort packt.
Hier trifft man den Ghoul im Last Resort Saloon (subtil), um seine berüchtigten Kopfgeldjagd-Missionen anzunehmen. Das System ist durchdacht: Es gibt einfache Routinejagden für zwischendurch und anspruchsvollere Kopfgeldjagden als Public Events, bei denen sich alle Spieler auf dem Server beteiligen können. Diese gewaltige Man-Power braucht es auch, denn laut Entwickler John Rush gehören die Quests zum Anspruchsvollsten, was das Game auf die Spieler loslässt.
Bethesda verspricht regelmässig rotierende Kopfgelder, sodass Spieler einen Grund haben, immer wieder beim Ghoul vorbeizuschauen. Wer fleissig Kopfgelder einkassiert, kann sogar den legendären Revolver des Ghouls aus der TV-Serie ergattern.
Die Preview-Session, an der ich virtuell teilnehmen konnte, zeigte einige vielversprechende Dialog-Möglichkeiten, die an klassisches «Fallout» erinnern. So begann eine Mission mit der Unterhaltung mit einer scheinbar hilflosen Frau, die sich nach einigen falschen (?) Entscheidungen aber als gar nicht so hilflos herausstellte. Das resultierte darin, dass der Spieler später in einem Gefängnis wieder zu sich kam.
Hinter Gittern lernte er dann verschiedene Mithäftlinge kennen, mit denen man wahlweise Allianzen schmieden oder Streit anzetteln kann. Diese Art von mehrschichtigen Quests machen die «Fallout»-Serie aus. Sofern man der Präsentation glauben kann, finden die verzweigten Storylines nun auch im Online-Ableger des Rollenspiels weitaus mehr Platz.
Neben dem Ghoul erhält «Fallout 76» einen weiteren spannenden neuen Charakter namens Rust King – ein intelligenter Supermutant, der mehr zu bieten hat als das übliche «GRAAAAH SMASH!». Viel zu sehen gab es von dem hässigen Muskelprotz zwar noch nicht, aber was gezeigt wurde, war vielversprechend. Als Questgeber zieht sich sein Einfluss durch die gesamte «Burning Springs»-Region. Spieler müssen mit ihm und seinen Schergen in verschiedenen Missionen interagieren.
Apropos Missionen: Wolltest du schon immer mal Seite an Seite mit einer Deathclaw kämpfen? Dann habe ich gute Nachrichten für dich. In dem neuen Arena-Modus erhältst du situativ Unterstützung von den Bestien, während ihr gemeinsam Wellen von Gegnern niedermäht.
Das Update bringt zudem neue menschliche Fraktionen ins Spiel, deren Gunst du gewinnen musst. Jede Fraktion hat ihre eigenen Questreihen, Belohnungen und moralischen Dilemmas. Die Entwickler versprechen, dass die Entscheidungen der Spieler tatsächlich Konsequenzen haben werden.
Zu den Belohnungen gehören unter anderem einzigartige Waffen und Rüstungen, die sich am Western-Thema orientieren. Dazu gibt es neue legendäre Einrichtungsgegenstände für das C.A.M.P. und sogar neue Fische zum Angeln. Immer nur Ballern wird schliesslich auch irgendwann langweilig.
Die «Fallout 76»-Server haben dank der TV-Show reichlich Zuwachs bekommen und mit der zweiten Staffel, die in diesem Dezember erscheint, dürfte sich die Gemeinschaft weiter vergrössern. Bethesda weiss das und lässt die neuen Low-Level-Zugänge nicht im Regen stehen. Es braucht nämlich keinen Mindestlevel für einen Trip nach «Burning Springs».
Die Gegner skalieren mit dem Spielerlevel, sodass sowohl Neulinge als auch Veteranen ihre Herausforderung finden. John Rush von Bethesda meint dazu: «Es gab nie einen besseren Zeitpunkt für Abenteuer mit Freunden im Wasteland.» Das ist natürlich Marketing-Sprech, aber was an dem Event gezeigt wurde, untermauert diese Aussage.
Die letzten Updates haben das Spiel generell zugänglicher gemacht. Das berüchtigte Stash-Limit wurde erhöht, die Performance verbessert, und das Grind-Heavy Endgame wurde entschärft. «Fallout 76» ist im Jahr 2025 ein fundamental anderes Spiel als das Desaster von 2018 und es soll noch besser werden: Die Entwickler sprechen von Inhaltsplänen für «viele weitere Jahre», gaben sich gleichzeitig aber bedeckt, was die konkrete Spielzeit der kommenden Erweiterung angeht. Wie viele Stunden Unterhaltung in Ohio stecken, dürfte sich also erst im Dezember zeigen.
Ein guter Deal ist das Add-on aber so oder so, denn: «Burning Springs» ist kostenlos für alle Besitzer von «Fallout 76». Kein Season Pass, keine Premium-Währung, kein Haken. Nach den ganzen Kontroversen der Anfangsjahre ist das fast schon verdächtig. Aber vielleicht hat Bethesda wirklich gelernt, dass man Vertrauen nicht mit Mikrotransaktionen zurückgewinnt.
Ein verpatzter Launch muss nicht zwingend das Ende eines Games einläuten: «No Man's Sky» wurde nachträglich zum Indie-Darling und «Final Fantasy XIV» entwickelte sich nach dem Reboot zu einem der erfolgreichsten Multiplayer-Games aller Zeiten. Ob «Fallout 76» irgendwann eine ähnliche Erfolgsstory vorweisen kann, wird die Zukunft zeigen.
Bethesda ist aber auf dem richtigen Weg: Update für Update, Patch für Patch wurde aus dem unspielbaren Debüt von 2018 ein kompetentes Online-RPG und mit «Burning Springs» erhalten skeptische Franchise-Fans ein weiteres starkes Argument dafür, diesem nochmals eine Chance zu geben.
Dass es dafür einen TV-Star braucht, ist vielleicht symptomatisch für Bethesdas aktuelle Situation. Nach dem eher mediokren «Starfield» und den ewigen «Elder Scrolls VI»-Verzögerungen braucht das Studio dringend einen Sieg. Kann Walton Goggins dabei helfen? Zuzutrauen wäre es ihm.
«Fallout 76: Burning Springs» erscheint im Dezember 2025 für PS5, Xbox Series und PC.
In den frühen 90er-Jahren vererbte mir mein älterer Bruder sein NES mit «The Legend of Zelda» und startete damit eine Obsession, die bis heute anhält.
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