

Elektroautos: Warum Tesla das Rennen machen wird

Das Auto lädt sich so langsam wieder auf. Gesammelte Gedanken von Tankstellen aus der Schweiz und Deutschland zum Thema Laden von Elektroautos und deren fehlende Standards.
Ich sitze auf einer metallenen Wendeltreppe nahe Kriens. Seit 20 Minuten. Hinter mir lädt sich mein Hyundai Kona EV langsam auf. Mir ist langweilig. Ich blicke in die Luzerner Gegend hinaus und denke darüber nach, was ich nahe einer verlassen wirkenden Schreinerei und einer geschlossenen Autogarage so tun könnte.
Am selben Abend packe ich ein Buch ins Handschuhfach.

Ich verbringe viel Zeit an Tankstellen. Genug Zeit, um darüber nachzudenken, wo die Autoindustrie hingeht. Genug Zeit, um zu spekulieren, zu analysieren und zu schreiben.
Das Problem der Elektroautos
Elektroautos haben ein grosses Problem: Es geht ewig und zwei Tage, bis sie aufgeladen sind. Stell dir einen Diesel vor. Oder einen Bleifrei. Der Tank wird leer, du fährst an die Tankstelle, Zapfhahn in Tanköffnung. Fünf Minuten später gehst du an die Kasse, sagst «Die drei, bitte» und zahlst. Kostenpunkt: Irgendwie 90 Franken.
Bei Electric Vehicles (EV) geht das etwas anders. Dein Akku wird leer. Du nimmst dein Handy hervor. Du suchst entweder auf Google Maps oder einer App wie SwissCharge den nächsten Charger. Das machst du besser schon vorher, denn Charger ist nicht gleich Charger. Da gibt es zig Anschlüsse mit mal mehr, mal weniger Output. Du suchst eine Kilowatt-Zahl. Je höher die ist, desto schneller lädt dein Akku. Es sei denn, dein Auto lässt das nicht zu. So kann dein Charging-Erlebnis noch etwas länger werden. Dazu hoffst du, dass keiner deinen Charger zugeparkt hat.
Du steckst dein Auto ein und fummelst an der App herum bis der Ladevorgang beginnt. Dieser Prozess wird bei Road Trips in die Ostschweizer Pampa, zum Beispiel, dadurch erschwert, dass die Charger in den coolen Städten – Zürich, zum Beispiel – gut verbreitet sind, aber an Orten wie Oberriet rar. Altstätten hat ein paar. Also musst du halt am Abend vorher laden gehen und keine Etappen über 200 Kilometer planen.
Dann beginnt das Warten. Du hast jetzt eine halbe Stunde Zeit. Wofür? Harry Potter, zum Beispiel.
Warum Tesla das Rennen machen wird
Ich wecke Videoproduzentin Stephanie Tresch auf. Zeit, sich die Beine zu vertreten. Wir sind an einer Raststätte irgendwo zwischen Schaffhausen und Stuttgart. Wir haben 40 Minuten Zeit, bis mein Tesla Model S am Charger genug Saft für die weiterfahrt getankt hat. Wir kaufen uns ein Brötli, einen grauenhaften Kaffee und eine Tafel Schoggi.

Tesla macht das richtig, was dem Unternehmen wohl den Sieg im Feld der EVs bringen wird. Da gibt es nur einen Stecker und das Aufladen ist mindestens europaweit, wenn nicht sogar weltweit, gratis. Klar, Swisscharge und Co. sind auch nicht teuer, aber gratis schlägt 20 Franken. Dazu ist Tesla recht damit beschäftigt, das Netzwerk an sogenannten Superchargern aggressiv auszubauen. Wenn du also eine Raststätte betreibst und nur limitiert Platz hast, dann kannst du nicht einfach jeden Stecker anbieten. Wenn da Tesla daherkommt und zuerst fragt, dann gibt's halt einen Tesla Supercharger. Andere Autos haben dann eventuell das Nachsehen, da die Autoindustrie sich nicht auf einen Standard einigen kann. Wir Fahrer haben das Nachsehen.
Dazu hat Tesla sich einen Namen gemacht. Das Wort Tesla ist fast schon synonym mit dem Begriff Electric Vehicle. Ich habe Leuten an Tankstellen erklärt, dass der Kona «Der Hyundai-Tesla» ist. Spätestens dann war alles klar.
Was kostet mehr? Charging oder die Zeit?
Ich sitze in Zürich Altstetten im Auto. Der Kona lädt und der Progress Bar schleicht sich langsam aber sicher in Richtung 80%. Nachher wird das Laden so dermassen langsam, dass der Akku für die verbleibenden 20% eine Stunde oder mehr braucht. Mir ist so langweilig, dass ich an der Tankstelle aufs WC gehe.

Am selben Abend packe ich eine Rolle WC-Papier in den Kofferraum. Sollte eh zur Standardausrüstung eines Autos gehören. Nicht nur fürs WC.
Die Frage, die wir uns am Schluss stellen müssen, ist die der Kosten: Was kostet mich mehr? Die 60 Franken, die ein Benziner mehr kostet, oder die Zeit, die ich an Tankstellen, an Raststätten, irgendwo in der Luzerner Pampa, nahe Stuttgart oder in Zürich Altstetten verbringe? Wenn ich das während der Arbeitszeit mache, dann kann ich das ausrechnen. Aber in der Freizeit, dann ist die Frage, wie viel Lebensqualität ich opfere, um auf die Prozentanzeige zu warten.
Die Lösung für das Problem wäre einfach: An jedem Tiefgaragenparkplatz eine Charging Station. Damit sich aber Immobilienbewirtschafter dafür interessieren könnten, Geld in Garagen zu stecken, müsste sich die Welt auf einen Charger-Standard einigen. Zudem hat nicht jeder einen Tiefgaragenplatz. Oder eine Garage.
Hier würde sich wieder der Platzhirsch Tesla beliebt machen können. Denn nicht nur hat Tesla ein grosses Netzwerk an Chargern, sondern auch den Ruf, den einer braucht, der Standards setzen will. Zudem wäre das ein nettes Standbein für Tesla, sollte die Sache mit den eigenen Autos nicht funktionieren. Tesla könnte seine Charging-Technologie und seine Superchargers lizenzieren. Dann würde ein Autohersteller wie Hyundai oder Mercedes einen Betrag an Tesla abdrücken, Fahrer könnten dann an Superchargern ihre Autos laden.
Eine wirklich schlaue Antwort auf die Frage, was mehr wert ist – Zeit oder Strom – habe ich nicht. Denn wenn du ein EV fährst, hast du keine Wahl. Wenn du dich bewusst für weniger Kohlendioxid entscheidest, dann nimmst du das in Kauf. In meinem Fall verschiebt sich eine meiner Leidenschaften, das Lesen, vom Sofa an Tankstellen. Es ist etwas, das mich nicht stört. Eine Auszeit dann und wann wieder tut gut. Aber mich erwischt immer wieder der Gedanke «Ich könnte jetzt gerade...». Denn Tankstellen sind nicht so der kulturelle Hotspot unserer Gesellschaft.
Warum Teslas teuer sind, aber dann doch nicht
Harry Potter muss mal schnell warten. Denn ich muss kurz was nachschauen. Ich sitze im Kona. Es ist etwa 1 Uhr morgens. Morgen muss ich eine grössere Etappe machen, will aber nicht früher aufstehen. Ich kriege zwar nicht mehr Schlaf, aber muss nicht frühmorgens an einer Tankstelle rumhängen wo die Charger eventuell besetzt oder zuparkiert sind. Letzteres geschieht in Städten öfter. Offensichtlich finden die Benzinfahrer, dass eh keiner ein EV fährt und daher kann man einfach auf den Charger Spots parkieren. Mich interessiert auf einmal Preispolitik. Denn wenn du alleine an einer Tankstelle spätnachts rumhängst, dann interessiert dich sowas.

Teslas sind als Fahrzeuge verdammt teuer. Die Einstiegsversion des Modell 3 ohne Extras gibt es ab 47 000 Franken. Dafür entstehen kaum Folgekosten. Zudem ist das Aufladen des Akkus gratis. Wenn du einen anderen Wagen an den Tesla Supercharger hängst, dann ist das Diebstahl. Als Tesla-Besitzer zahlst du aber trotzdem für den Strom, halt einfach im Voraus.
So fällt es anderen EVs leicht, preismässig unter den Teslas zu liegen. Der Porsche Taycan ohne Extra-Ausstattung ist mit seinen 100 000 Franken preiswerter als das 2019er Tesla Modell S mit seinen 122 000 Franken.
Ein Kona EV kann mit seinen höchstens 45 000 Franken locker den Grossen auf dem Markt Konkurrenz machen. Als günstige Alternative. Aber dann halt mit Folgekosten. Die hat der Taycan laut ersten Indizien auch.

Daher könnte die Zukunft so aussehen. Taycan, Kona und Co. werden beim Kauf teurer, aber der Strom wird in der Folge gratis durch Supercharger. Jeder, der einen Kona oder einen Taycan kauft, zahlt etwas obendrauf und darf auf ewig gratis laden.
Derweil baut Tesla sein Netzwerk weiter aus, setzt einen Standard und alle sind glücklich. Marktwirtschaftlich ist das zwar wenig sinnvoll, aber der Zug ist abgefahren, Tesla den Rang ablaufen zu wollen. Wenn das jemand will, dann entweder mit überragender Leistung und phänomenalen Marketing. Oder Tesla verbockt die ganze Sache intern so dermassen hart, dass sie den Laden zumachen müssen. Denn wenn du ein EV dort, wo «Porsche Taycan» scheitert, mit «Porsche-Tesla» beschreiben kannst und jeder weiss, welches Gefährt du meinst, dann ist da ein Standard. Das Modell mit dem hohen Einstiegspreis und den tiefen Folgekosten funktioniert, die Autos gefallen.
Es würde der Industrie gut tun, ein Stück von Tesla abzuschneiden. Selbst, wenn das nicht Kompatibilität mit den Superchargern der Amerikaner bedeutet, so kann das Preismodell übernommen werden. Das klingt auch marketingtechnisch super: «Zahl nie wieder für den Sprit»? Grossartig, auch wenn das gar kein Sprit ist. Und nicht «Lade dein innovatives EV an eine der 23 hochwertigen Charging Stations in der Schweiz zu vergünstigten Konditionen.»
Dazu fehlt der Fokus. Hyundai macht den Kona in gefühlten 20 Editionen. Tesla sagt «Das ist das Modell S und basta». Porsche macht das leicht besser mit «Das ist der Taycan und basta». Und abstreiten, dass der Taycan ein Porsche ist, kann und will keiner. Der Taycan könnte nichts ausser Porsche sein. Andere Autohersteller wurschteln mit ihren EV-Angeboten im Gejät rum und verwässern so ihren eigenen Markt.
Derweil bleibt Tesla geradlinig. Sogar Aktionen und Sonderangebote will Firmengründer Elon Musk abwürgen. Denn jeder, der einen Tesla kaufen will, soll die gleichen Konditionen für die gleiche Leistung haben. Dazu keine Folgekosten und ein gutes Netzwerk an Superchargern. Das ist Revolution. Nicht das Geschwurbel aus anderen Ecken.
So. Fertig. Akku ist wieder auf etwa 80%. Alles darüber wird kompliziert und langwierig. Ich fahr weiter.


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.