Hintergrund

Einer ist immer der Deckel

Ein Tor in der Tiefe. Ein Ball, der fast schwebt. Unterwasser-Rugby ist schwerelos und sauschwer, hochintensiv und merkwürdig still. Ein faszinierender Sport, der die Sinne verwirrt. Zumindest meine.

Für mich ist da unten die Todeszone. Ich halte es nur kurz dort aus, bevor die Luft knapp wird. Meist treibe ich wie eine träge Meeresschildkröte darüber, bin ganz nah dran am Geschehen und manchmal, für einen Moment, mittendrin.

Als Anfänger ist es gar nicht so einfach, in dieses Spiel zu finden. Zu wenig Sauerstoff, zu viele Fragen im Kopf. Was mache ich hier? Wo soll ich hin? Was wollte ich? Ach ja, Luft. Atmen. Gedanken sortieren. Gut, dass Sabine oben im Video die Sportart erklärt. Tauch mal ein, es lohnt sich. Willkommen beim USZ Zürich.

Was sind das für Typen?

Widersprüchlich und interessant ist es beim Unterwasser-Rugby von Anfang an. Wenn dir ein Mann wie ein Baum die Hand drückt und sich als «Piccolo» vorstellt, fragst du dich unwillkürlich: Wer kommt da noch?

Es ist zum Glück keine Horde riesenhafter Kampfschwimmer, die nach und nach eintrudelt, sondern eine bunte Mischung aus Jungen und Alten, Männern und Frauen. Die einen stämmiger, die anderen wendiger. Unter Wasser sind zwar nicht alle gleich, aber die Unterschiede verschwimmen ein wenig. Schläge werden gedämpft, rohe Kräfte gebremst.

Piccolo grande

Trotzdem sehen Piccolos Hände so aus, als hätte er einer Horde hungriger Katzen den Futternapf geklaut. Kratzer überall. «Kurze Fingernägel sind gut, sonst passiert sowas», sagt er augenzwinkernd. Die hatten bei der Schweizer Meisterschaft wohl nicht alle. Aber den Titel hat er sich mit seinen Teamkollegen gekrallt.

Beim Meister trifft sich kein elitärer Zirkel von Freaks, Neulinge wie ich sind im Training willkommen. Unterwasser-Rugby ist ein Sport für alle, die abtauchen wollen und Ballspiele mögen. Oder, wie Piccolo sagt: «Ein perverser Teamsport in vier Dimensionen!» Er muss es wissen, schliesslich ist er schon seit 25 Jahren im Verein. Damals war er der kleinere von zwei Marcels und ist bis heute «Piccolo» geblieben. Sein Fachwissen ist allerdings grande.

Kampfschwimmer vs. Schnorchel-Touri

Teambesprechung. Wir tragen blaue Wasserball-Badekappen mit Ohrschutz und gleichfarbige Klett-Armbänder, um im Gewirr der Gliedmassen den Überblick zu behalten. Freund blau, Feind weiss.

Die anderen sehen aus wie eine Spezialeinheit der Marines. Mehrfach fixierte Taucherbrillen, abgesägte Schnorchel, Karbon-Flossen, die Speed versprechen. Ich bin der Prototyp eines Touristen, der Fische gucken will. Weite Shorts, quietschgelbe Ausrüstung. «Wir sind zu fünft – und haben noch ihn», höre ich, als wir vor dem Trainingsspiel am Beckenrand hängen.

Halb lachend, halb zustimmend schnaube ich durch meinen Schnorchel und rücke die Brille zurecht. Stimmt. Ich würde auch nicht auf mich zählen. Dieses Spiel wird die meiste Zeit unter meinem Niveau sein. Räumlich gesehen.

Stürmer, Goalie, Deckel

Wohin mit mir? Ich werde zum Stürmer erklärt. Lieber einen, der regelmässig an die Oberfläche stürmt und Luft schnappt, als eine löchrige Defensive. Die anderen beiden Positionen sind keine Option.

Da ist der Goalie, der vor dem Tor liegt und Angreifer abhält. Und als letzte Instanz der «Deckel», der mit dem Hintern über dem Korb Gegentreffer verhindert. Arsch auf Eimer. Das tönt lustig und sieht auch so aus, ist aber Schwerstarbeit. Denn am Tor darf sich keiner festhalten und die Gegner drücken, schieben, zerren sich ihrem Ziel entgegen.

Insgesamt spielen sechs gegen sechs. Zwei Spieler teilen sich eine Position und müssen darauf vertrauen, dass der jeweils andere zur Stelle ist, wenn die Luft knapp wird. Ihre Atempausen müssen koordiniert sein. Schlechte Nachrichten für Sabine. Sie stürmt mit mir.

Und auf einmal kommt der Ball

«Schau einfach, was geht», sagt sie noch. Dann tauchen wir ab. Richtung Ball, der in der Mitte auf dem Beckengrund wartet. Das Spiel beginnt. Ich bestaune zappelnde Arme, Körper und Beine. Druck habe ich nur auf den Ohren, Erwartungen an mich sind nicht vorhanden. Alles kann, nichts muss. Ich versuche, irgendwie in Sabines Nähe zu bleiben. Das ist schwierig genug.

Und dann kommt auf einmal der Ball, der sich überraschend gut passen lässt, zu mir. Bis eben fand ich es von Vorteil, dass nur der ballführende Spieler festgehalten werden darf. Jetzt nicht mehr. Ich höre nur mein überraschtes Röcheln und sehe einen kleinen Ausschnitt des Beckens, vom Rahmen meiner Taucherbrille begrenzt. Gepackt werden kann ich von überall. Vor mir ist nur verschwommenes Blau, viel freies Wasser. Es wäre ein guter Moment, um anzugreifen.

Könner würden jetzt beschleunigen, die Gunst der Sekunde nutzen. Ich drehe mich einmal um die eigene Achse und spiele einen überhasteten Pass, bevor es mich an die Oberfläche zieht. Ist der Ball angekommen? Keine Ahnung. Immerhin wurde ich nicht in die Mangel genommen.

Durchatmen

Mit jedem Tauchgang fühlt es sich ein kleines bisschen besser an. Ich komme der Sache näher, spüre den Rhythmus. Werde von Flossen und Körpern getroffen, die sich ihren Weg nach oben oder unten bahnen. Der Puls rast, die Lunge brennt. Wir leben, wir spielen. Es macht Spass. Nur die Stille irritiert mich. Keine Schrei, kein Frust, kein Jubel begleitet das, was ich sehe. Dabei wird in diesem intensiven Stummfilm hart gekämpft.

Glückwunsch, du bist ganz unten angekommen. Zumindest fast. Noch tiefer in meine Texte eintauchen kannst du hier.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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