
Hintergrund
Das sind die «perfekten» Games unserer Community
von Domagoj Belancic
Von Pixel-Orks über Fitness-Gandalf bis zu aufreizenden Achtbeinern – ich habe mich durch 40 Jahre «The Lord of the Rings»-Spiele gezockt und die besten virtuellen Mittelerde-Trips aussortiert.
Am 29. Juli ist mit «Tales of the Shire: A Lord of the Rings Game» das neueste Spiel erschienen, das auf J.R.R. Tolkiens Fantasy-Epos basiert. Die Lebenssimulation ist das erste vollwertige Game des Entwicklers Wētā Workshop – was sich schnell bemerkbar macht.
Das Spiel hat Performance-Probleme, eine ganze Menge Bugs und ist darüber hinaus schlicht langweilig. Metacritic straft das Spiel dafür mit 57 und Opencritic mit 61 von 100 Punkten ab.
Dabei ist die Idee charmant: «Animal Crossing im Auenland». Ein bisschen Farming, mit der Hobbit-Gang abhängen und die Höhle dekorieren. Cozy Gaming halt. Nicht meins, aber der Markt dafür ist riesig und das Konzept hatte Potenzial.
«Tales of the Shire» ist allerdings nur das jüngste Beispiel in einer tragischen Historie der miesen Tolkien-Adaptionen. Zockende Fans der Franchise sitzen schon länger auf dem Trockene.
Damit will ich mich nicht abfinden und begebe mich auf eine Quest würdig eines jeden «LotR»-Nerds: der Suche nach dem besten Mittelerde-Videospiel. Eine Reise durch vier Jahrzehnte Gaming-Geschichte, von Textadventures bis MMORPGs.
Die Reise beginnt im Jahr 1982, als Beam Software beweist, dass man Tolkiens Meisterwerk auch mit bunten Pixeln ehren kann. «The Hobbit» für den ZX Spectrum ist ein kompetentes Textadventure. Für alle, deren Gaming-Lebenslauf nach 1985 startet: Textadventures sind interaktive Geschichten, bei denen du per Keyboard-Kommando wie «>GO NORTH» oder «>USE DOOR» durch die Level navigierst und dabei oft an der Sturheit des Parsers verzweifelst.
«The Hobbit» ist eines der ersten Games mit eigenständig handelnden NPCs, zu denen auch deine Mitstreiter gehören. Gandalf kann einfach abhauen, woanders auftauchen oder sogar sterben. Für 1982 ist das revolutionäres Gameplay. Ein guter Start.
Das erste Spiel zur Buchtrilogie folgt drei Jahre später, knüpft an das Ende von Bilbos Abenteuer an und ist etwas benutzerfreundlicher. Abstriche gibt es hingegen bei der zuvor erwähnten NPC-KI. «Shadows of Mordor» (1987) und «The Crack of Doom» (1989) schlagen später in dieselbe Kerbe, können aber weder kommerziell noch qualitativ mithalten. Als Spieler frage ich mich zudem, warum ich nicht einfach das Buch lese.
Als Publisher von «Fallout» und «Baldur’s Gate» schrieb Interplay in den späten 90ern Rollenspiel-Geschichte. Beide Games entwickelte die US-Spieleschmiede allerdings nicht selbst und für «J.R.R. Tolkien's The Lord of the Rings, Vol. I» hätten sie das Ruder auch besser einem anderen Studio überlassen.
Das Action-RPG darf wohlwollend als ambitioniert bezeichnet werden. Während die Heimcomputer-Versionen noch einigermassen ok sind, ist die Umsetzung für das SNES ein Desaster. Die Gefährten bleiben ständig an Bäumen und anderen Hindernissen hängen, die Steuerung zickt und das Leveldesign ist in etwa so aufregend wie das «Silmarillion». Meine Suche geht weiter.
Das Action-RPG «J.R.R. Tolkien's The Lord of the Rings, Vol. I» erhält 1992 eine Fortsetzung. Danach liegt die Franchise brach, bis im Dezember 2001 «Der Herr der Ringe: Die Gefährten» in den Kinos startet. Peter Jackson gibt Mittelerde ein Gesicht, einen Soundtrack und vor allem: ein riesiges Marketing-Budget. Tolkiens Epos ist zurück im Spotlight und damit auch die Videospielumsetzungen.
Basierend auf dem Buch, nicht dem Film (ist eine lange Geschichte über Rechte und Lizenzen, aber die willst du nicht hören und ich nicht erzählen), versucht sich Surreal Software an einem Action-Adventure. Das Ergebnis ist ... naja. Du spielst abwechselnd Frodo, Aragorn oder Gandalf, kämpfst gegen Wölfe, Nazgûl und deine eigene Geduld. Das Kampfsystem fühlt sich an, als würde man mit einem nassen Handtuch auf Gegner einprügeln und die Grafik war 2002 schon veraltet. Immerhin: Tom Bombadil hat einen Auftritt und Gandalf sieht aus, als ob er sich die letzten 500 Jahren exklusiv von Whey-Protein ernährt hat.
Die Filmlizenz sichert sich EA und startet die Brand-Partnerschaft sogleich mit einem Banger: «The Two Towers» ist ein knallhartes Hack'n'Slash-Spiel, in dem du wahlweise als Aragorn, Legolas oder Gimli haufenweise Orks tötest, während dazu Howard Shores Soundtrack donnert.
Entgegen dem Titel behandelt das Game auch die wichtigsten Ereignisse von «The Fellowship». Dazu gibt es reichlich Filmsequenzen, die nahtlos ins Gameplay übergehen sowie eine dezente RPG-Mechanik. «The Lord of the Rings: The Two Towers» ist bis zu diesem Zeitpunkt das beste Game zur Franchise. Wird das so bleiben?
Nope. Ein gutes Jahr später erscheint die Fortsetzung und perfektioniert das spassige Fantasy-Gemetzel. Kooperativer Zweispieler-Modus! Mehr Charaktere! Epischere Schlachten! Das Spiel ist unterm Strich eine interaktive Version der Film-Action. Der Kampf auf dem Pelennor, die Verteidigung von Minas Tirith – alles fühlt sich an wie Peter Jacksons Meisterwerk, nur dass man selbst das Schwert schwingt, respektive den Bogen spannt.
Ebenfalls erwähnenswert: «The Return of the King» und «The Two Towers» erscheinen auch für den Gameboy Advance. Beide Games sind dreiste «Diablo»-Klone, stehen ihren «grossen» Konsolengeschwistern in Sachen Spielspass aber kaum nach.
EA so: «Was, wenn wir ‹Final Fantasy X› nehmen und dem Spiel ein ‹Lord of the Rings›-Cosplay verpassen?». Klingt erstmal grauenhaft, funktioniert aber überraschend gut.
Rund 20 Jahre bevor «Clair Obscure: Expedition 33» demonstrierte, dass tolle JRPGs nicht zwangsläufig aus Japan kommen müssen, stolperst du in «The Third Age» mit einer Truppe von Nicht-Gefährten semi-zufällig über Aragorn & Co. Das Kampfsystem ist solide, die Geschichte ebenfalls. Für alle, die nach dem Abschluss der Filmtrilogie ihre Entzugserscheinungen haben, ist das Rollenspiel ein gelungenes Substitut.
EA so: «Was, wenn wir ‹Command & Conquer› nehmen und dem Spiel ein ‹Lord of the Rings›-Cosplay verpassen?». Klingt erstmal grossartig und war es dann auch.
Das Studio EA Los Angeles schafft DAS Strategiespiel zu den Filmen: Massive Schlachten, Basenbau, Helden-Einheiten – alles, was das RTS-Herz begehrt. Die Kampagne,wahlweise auf der guten oder bösen Seite, folgt den wichtigsten Schauplätzen, der Skirmish-Modus bietet endlose Möglichkeiten und die Präsentation ist phänomenal. Bis heute wird mir warm ums Herz, wenn ich an die wunderschöne Worldmap denke. Oder an die optionale Quest, in der ich Boromir vor den Uruk-hai retten kann.
Gerechtigkeit für Sean «Boromir» Bean und ein Kniefall für einen weiteren Anwärter auf den Titel für das beste «Lord of the Rings»-Game.
Mehr Fraktionen! Mehr Einheiten! Mehr alles! «BFME2» ist spielerisch komplexer, mit ausgefeilteren Mechaniken und mehr strategischer Tiefe. Aber irgendwie fehlt die cineastische Magie des Vorgängers. Die selbst erstellten Helden sind cool, die neuen Fraktionen interessant, aber es fühlt sich mehr nach «gutem RTS» an als nach «Mittelerdes Vermächtnis». Spass machen die Taktikschlachten trotzdem. Sofern du es nicht auf der Xbox 360 spielst, wo die Ladezeiten länger dauern als Frodos Trip nach Mordor.
2007 steht «World of Warcraft» vor dem Peak und Blizzard setzt Monat für Monat das Bruttoinlandprodukt Andorras in Aboeinnahmen um. Der MMORPG-Kuchen war heiss und jeder wollte ein Stück davon.
Entwickler Turbine entschied sich für einen Trip nach Mittelerde und schuf eine virtuelle Fantasy-Welt, in der sich bis heute tausende tummeln. Nach einem eher holprigen Start wechselte «The Lord of the Rings Online» im Jahr 2010 zu einem Free-to-play-Modell. Dieses bietet überraschend viel Inhalt, bevor du das erste Mal das Portemonnaie öffnen musst.
Das Kampfsystem ist archaisch und trotz einigen Updates merkt man dem Spiel sein Alter an. Aber: Die Quests sind gut geschrieben und die Immersion unvergleichlich. Hier bist du Teil von Mittelerdes Geschichte mit allem was dazu gehört. Ausserdem kannst du als flötespielender Hobbit durch die Gegend wandern und deinen Party-Freunden auf die Nerven gehen. 10/10.
Ein Koop-Action-RPG von den Machern der «Baldur's Gate: Dark Alliance-Spiele», in Mittelerde? Her damit! Eigentlich müsste das Ding ein Homerun sein, aber die Snowblind Studios wussten damals schon, dass «War in the North» ihr letztes Spiel als unabhängiger Entwickler sein würde. Wenig später wurden sie Teil von Warner Bros. und hatten offenbar keinen Bock mehr, sich besonders Mühe zu geben.
Das Spiel ist nicht per se schlecht, aber durchs Band unspektakulär. Verkauft hat es sich ebenfalls nicht besonders gut, was aber auch daran liegen könnte, dass ein kleiner Indie-Hit namens «Skyrim» zur gleichen Zeit herauskommt.
2014 darf sich Monolith Productions («F.E.A.R.», «The Operative: No One Lives Forever») der Franchise annehmen und serviert mit «Shadow of Mordor» die Antwort auf die nie gestellte Frage: «Was wäre, wenn Batman nicht in Gotham, sondern in Mittelerde im Einsatz wäre?»
Sämtlicher Lore-Respekt fliegt aus dem Fenster und die Geschichte hat Fanfiction-Niveau – Celebrimbor als Geist-Kumpel, seriously? Aber das Nemesis-System, das sämtliche Bosskämpfe zu persönlichen Mini-Plots macht, ist bahnbrechend. Darüber hinaus spielt sich das Stealth-Abenteuer ein bisschen wie «Assassin's Creed», was 2014 noch kein komplett ausgelutschtes Konzept ist. Hach, das waren noch Zeiten.
Grösser, besser, mehr Mikrotransaktionen! Eigentlich klar das bessere Spiel, verscherzt es sich der Nachfolger zu Beginn mit einem absurden In-Game-Shop, der in einem Singleplayer-Spiel nichts verloren hat. Monolith erlaubte sich dazu weitere Freiheiten mit der Buchvorlage: Die Timeline macht null Sinn, ein zusätzlicher Ring wird geschmiedet und Shelob – die riesige Spinne, die Frodo beinahe kalt macht – ist plötzlich ein horny Goth Girl, weil Gründe.
Die Mikrotransaktionen werden später entfernt und «Middle-earth: Shadow of War» kann sich ein Stück weit rehabilitieren. Monolith Productions hat weniger Glück: Das Studio wurde im gleichen Jahr geschlossen.
Im Frühling 2019 kündigt der deutsche Publisher Daedalic an, dass man an einem Action-Adventure arbeitet, das dich in die Rolle des gefallenen Hobbits Sméagol aka Gollum versetzt. Meine einzige Frage damals: «Wieso?».
Zwei Jahre nach der Veröffentlichung fehlt mir immer noch jegliches Verständnis dafür, wie jemand glauben konnte, dass ein Spiel mit Gollum in der Hauptrolle eine gute Idee war. Sicher, er ist eine interessante und wichtige Figur in der Saga, aber niemand, der bei klarem Verstand ist, schaut diesen schizoiden Gnom mit seinen drei fettigen Haarsträhnen an und kommt zum Entschluss: «That’s it! Dieser sexy Draufgänger ist der ideale Protagonist für mein Game.».
Entsprechend ist die Qualität des Spiel auf Augenhöhe mit der Idee – «The Lord of the Rings: Gollum» ist eins der schlechtesten Games dieser Konsolengeneration.
Kleine Randbemerkung vor dem Fazit: Bei meiner Suche nach dem besten Mittelerde-Game habe ich die Lego-Adaptionen bewusst ausgelassen. Die Klötzchen-Games sind zwar herzig und perfekt für Koop-Sessions, verwässern meiner Meinung nach aber den Brand zu sehr, als dass sie wirklich infrage kommen.
Vor mehr als 40 Jahren erschien das erste Game, das in J.R.R. Tolkiens epischer Fantasywelt spielt. Das virtuelle Mittelerde-Debüt sollte über 20 Jahre hinweg die beste Umsetzung bleiben, bis sich EA der Franchise annahm und in kürzester Zeit gleich mehrere Blockbuster ablieferte.
Turbine zeigte wenig später, dass das Setting auch in MMORPG-Form funktioniert und Monolith Productions Duologie war eine Erinnerung daran, wie viel Potential noch in dem Brand schlummert.
Was das «Eine» Spiel ist, hängt stark von deinen Präferenzen ab, für mich erreicht aber kein anderer Ausflug nach Mittelerde die Brillanz von «The Lord of the Rings: The Battle for Middle-earth» . EAs Epos verschmilzt die unvergleichliche Atmosphäre von Peter Jacksons Filmen mit einem der besten Echtzeit Strategie-Games überhaupt.
Erhältlich ist das Spiel heute leider nicht mehr. Zumindest nicht auf legalem, unkompliziertem Weg. Aber dies, mein Gefährte, ist eine andere Geschichte.
In den frühen 90er-Jahren vererbte mir mein älterer Bruder sein NES mit «The Legend of Zelda» und startete damit eine Obsession, die bis heute anhält.