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Die Siedler von Kapla

Als mitten im Wohnzimmer eine neue Stadt entsteht, gerät der Familienfrieden in Gefahr. Eine Geschichte von Vater und Sohn, Vertreibung und Versöhnung.

Fünfzehn Jahre später war Tom van der Bruggens Schloss fertig – und refinanziert, schätze ich mal. Ich gönne es ihm. Doch für mich ist sein Erfolg eine Warnung. Während er wahrscheinlich durch seinen Schlossgarten wandelt und ab und an ein wenig Wichtelhölzchen im Kaminzimmer stapelt, wächst bei uns zuhause der Dichtestress.

Kein Hochstapler

Ja zur Wohnzimmerinitiative

Da ich Baudirektion, Sicherheitsdepartement und Entsorgungsbetrieb in Personalunion bin, erweitere ich den pädagogischen Nutzen des Holzspielzeugs um eine weitere Dimension. «Hast du schon mal das Wort 'Bürokratie' gehört, mein Sohn? So geht das nicht! Nicht ohne Baubewilligung!» Und überhaupt: Die innerwohnzimmerliche Zersiedelung muss ein Ende haben.

Während er relativ gefasst reagierte, als ich im Halbdunkel versehentlich wie Godzilla in ein hübsches Holzchalet gestampft bin, bringen ihn Umsiedlungspläne zur Weissglut. Ich verweise auf seinen Erstwohnsitz im Kinderzimmer und die Wohnzimmerinitiative, die ich einstimmig annehme.

Nach etwas Geschrei und einer angeregten Diskussion einigen wir uns darauf, dass hier alle machen dürfen, was ich will. Mein basisautokratisches Urteil lautet: Enteignung wegen übergeordnetem öffentlichen Interesse. Dafür stelle ich ihm ein Ersatzgrundstück unter seinem Hochbett zur Verfügung und helfe bei der Erschliessung.

Dort entsteht nun ein neues Musterdorf mit elf Häusern, einem Parkplatz und einem Aussichtsturm, den er bei jeder Gelegenheit als besondere Attraktion bewirbt. Angeblich bekommt dort das Sams seine Wunschpunkte. Ich frage mich, ob sein Schatten den Häusern nicht die Sonne nimmt.

Ansonsten ist jedes Bauwerk ein Bijoux, nach dem sich Investoren die Finger lecken dürften. Bei einer Nettowohnfläche von 60 Quadratzentimetern pro Chalet müsste in Zürich ein Verkaufspreis von 250 000 Franken realistisch sein.

Auch wenn nichts daraus werden sollte und wir mit dem Kapla-Grosseinkauf am Ende «nur» in die Kreativität unseres Sohnes investiert haben, geht das in Ordnung. Jetzt, da das Wohnzimmer wieder frei und der Familienfrieden vorerst gesichert ist. Der Kleine sendet mir zumindest eine versöhnliche Botschaft.

Was der Nachwuchs-Baulöwe noch nicht weiss: Eines Tages wird der Zyklon Miele Triflex über sein Dorf hinwegfegen und es dem Erdboden gleich machen. Dann folgt auf eine kurze Phase der Verzweiflung hoffentlich ein neuer kreativer Höhenflug.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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