Hintergrund

Die Kraft von Bildern: Als die Menschheit das Raumschiff Erde erkannte

David Lee
10.7.2019

Die Mondlandung gilt als der grösste Meilenstein der Raumfahrt. Ein wenig vergessen geht dabei, wie wichtig es für die Menschen war, erstmals einen Gesamtblick auf den eigenen Planeten zu bekommen. In den Köpfen entstand das Bild vom «Raumschiff Erde».

Derzeit ist die erste Mondlandung wieder in aller Munde, weil sie sich am 21. Juli zum 50. Mal jährt. Doch die Raumfahrt der 60er- und frühen 70er-Jahre brachte einen weiteren Meilenstein mit sich, der für das Bewusstsein der Menschen möglicherweise noch wichtiger war: Die ersten Fotos des Planeten Erde.

Versetz dich in die Zeit um 1965: Eine Welt ohne Internet, Digitalfotografie und Computergrafiken. Jedes Foto kostete Geld und musste erst entwickelt werden, nach wenigen Bildern war der Film voll. Es gab im Vergleich zu heute extrem wenige Fotos und fotorealistische Grafiken.

Was es aber schon gab, waren Massenmedien: Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften. Relativ wenige Fotos und relativ gute Verbreitungsmöglichkeiten – diese Kombination führte dazu, dass ein einzelnes Foto in der damaligen Zeit viel mehr bewirkte als es das heute tut. Zudem besassen Fotografien eine extrem hohe Glaubwürdigkeit, konnten sie doch im Vergleich zu heute sehr schlecht manipuliert werden.

Der Planet erkennt sich selbst

Am 20. September 1967 wurde vom DODGE-Satelliten aus das erste Farbfoto geschossen, das die Erdkugel voll erleuchtet zeigt. Es ist qualitativ noch sehr unbefriedigend. Eine TV-Kamera nahm drei Fotos mit je einem Farbfilter (Rot, Grün, Blau) auf, die anschliessend zu einem Farbbild zusammengesetzt wurden. Das rote runde Ding unten ist eine Farbkarte.

Das Bild wurde am 10. November 1967 im Magazin «Life» abgedruckt. An genau diesem Tag machte der ATS-3-Satellit der NASA ein viel besseres Foto der Erde.

Bewusstsein: Wir sind alle eins

1968 war die Welt durch den Kalten Krieg in zwei Teile geteilt. Ebenso war die Gesellschaft gespalten: In die junge und die alte Generation, die sehr unterschiedliche Ziele und Vorstellungen hatten. In den USA auch in Weisse und Schwarze. Die Zeichen standen auf Krieg und Krawall.

Auch die Friedensbewegung lässt sich durch den Erdball symbolisieren: Alle Menschen sind miteinander verbunden. Es gibt keine Erste, Zweite und Dritte Welt.

Befeuert wurde dieses Verbundenheitsgefühl von der Droge LSD, ohne die die ganze psychedelische Kultur undenkbar gewesen wäre. LSD hebt bei vielen Konsumenten die klaren Grenzen zwischen dem eigenen Ich und dem Rest der Welt auf – gleichzeitig wird die Wahrnehmung nicht benebelt, sondern eher erweitert. Es entsteht der Eindruck einer universellen Erkenntnis. Auch das symbolisiert das Bild des Blauen Planeten perfekt.

Das Foto unseres Planeten verwendete Steward Brand keineswegs nur, weil es halt grad verfügbar war. Schon 1966 startete er eine Kampagne, um von der NASA ein Foto «der ganzen Erde» zu fordern.

Je besser, desto eindrücklicher

In der Folge entstanden immer mehr und bessere Fotos, die den gesamten Erdball zeigten. Das bekannteste stammt vom letzten Apollo-Flug 1972 und hat sogar einen Namen: Blue Marble, zu Deutsch blaue Murmel. Es wurde mit einer Hasselblad-Mittelformatkamera aufgenommen. Klar: Je schöner die Bilder unserer Erde, desto grösser die Wirkung, die Stewart Brand mit seiner Whole-Earth-Bewegung beabsichtigte.

Auch dieses Bild wurde für die Umwelt- und Friedensbewegung intensiv genutzt. Ebenfalls aus dem Jahr 1972 stammt die Studie «Die Grenzen des Wachstums», welche die Probleme des exponentiellen Wachstums wissenschaftlich untermauerte und ein Umdenken bewirkte.

Noch viel eindrücklicher als jedes Foto ist natürlich, die Erde in echt aus dem Weltall zu sehen. In der Kurzdoku «The Overview Effect» erzählen Astronauten, wie sie dieses Erlebnis geprägt hat.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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