Für gewöhnlich halten Möbel wie ein Sideboard Dinge unter Verschluss. Aber die Möbelkollektion #talktaboos ist da anders: Aufbewahrungsmöbel «Ark» von Christina Olsen und Ida Høstrup lässt durchblicken.
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Design, das Tabus anspricht

Pia Seidel
26.4.2019
Bilder: Thomas Kunz

Gutes Design findet Antworten auf Fragen, die die Gegenwart stellt. Dazu gehören auch Fragen zu tabuisierten Themen. Das habe ich an der Möbelmesse «Salone del Mobile» herausgefunden.

Bevor Oliver mich auf eine Tour durch die Ausstellungsfläche mitnimmt, gibt er mir eine Holzkugel in die Hand. Ich solle sie in einem der sieben Gläser, die sich vor mir auf einem Podest befinden, platzieren. Auf jedem Glas steht ein Tabuthema: Übergewicht, Nacktheit oder Sex im Alter zum Beispiel. Ich wähle für meine Kugel das Tabu «Grief» – Trauer – aus. Daraufhin führt mich Oliver zum Objekt, das mit dem Begriff verknüpft ist.

Das Tabuthema «Trauer»

Auf den ersten Blick sehe ich vor mir ein Wandregal, das mit einer Steinplatte verbunden und mit einer Skulptur geschmückt ist. Noch weiss ich nicht, was dieses Regal von anderen unterscheidet. Auch ist mir unklar, was es mit meinem ausgewählten Tabu zu tun hat.

Oliver erzählt mir, dass das Design Annette Rosendals verstorbener Schwester gewidmet ist. Die Designerin erkannte nach dem Tod ihrer Schwester, dass ihr neben dem Gang zum Friedhof ein anderes Ritual zum Trauern fehlt. Deswegen entwickelte sie den Altar, der von den vielseitigen Traditionen anderer Kulturen – unter anderem denen aus Mexiko – inspiriert ist.

Die Idee, ein modernes Memento mori zu entwerfen, das Menschen helfen soll, mit Kummer umzugehen, bewegt Oliver und mich. Unser Gespräch wird ernster und persönlicher. Niemandem in meinem Umfeld – mich eingeschlossen – fällt es leicht, über Verlust zusprechen. Die meisten meiner Freunde sind unter oder knapp über Dreissig. Gesprächsthemen kreisen in diesem Alter rundum Familien- und Karriereplanung oder die nächste grosse Reise.

Für mich ist nachvollziehbar, warum es beispielsweise angenehmer ist, bei einem Apéro im Szene-Café nach der Arbeit über schwerelose Zukunftspläne zusprechen. Oftmals behalten die Menschen deswegen das, was sie gerade sonst noch beschäftigt, für sich. Selten gibt es im Alltag den richtigen Ort und Moment um schmerzhafte Ereignisse anzusprechen.

So kann selbst ein allgegenwärtiges Thema wie der Tod zum Tabu werden. Dabei sollte niemand mit seiner Trauerarbeit alleine sein. Umso schöner, dass es Designer wie Annette Rosendal gibt, die mit ihren Möbeln für Zuhause einen geschützten Raum zum offenen Gespräch schaffen. Nur so kann Design einen Beitrag zum Wohlbefinden jedes Einzelnen leisten.

Ein offenes Gespräch

In alle weiteren Abschlussprojekte der VIA-Studenten, bekomme ich dank Oliver im Anschluss ebenso einen Einblick. Jedes einzelne Möbel regt an, sich in ein Tabu hineinzudenken und zu hinterfragen, warum es eigentlich eines ist.

Titelbild: Für gewöhnlich halten Möbel wie ein Sideboard Dinge unter Verschluss. Aber die Möbelkollektion #talktaboos ist da anders: Aufbewahrungsmöbel «Ark» von Christina Olsen und Ida Høstrup lässt durchblicken.

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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