Meinung

Das stumme Kompliment: 4 Gründe, warum ich gern Anzüge trage

Thomas Meyer
27.1.2021

Seit ungefähr acht Jahren trage ich regelmässig Anzüge. Nicht nur für Auftritte, sondern auch im Alltag. Das macht mir viel Freude – und auch manch anderen.

«Hast du heute noch einen wichtigen Termin?»
«Ja, jetzt, mit dir!»
«Oh!»

Dieser kleine Dialog findet oft statt, wenn ich jemanden treffe und dabei einen Anzug trage (Corona-Edit: Wenn ich jemanden traf und einen Anzug trug). Die Wertschätzung, die von dieser Garderobe ausgeht, wird zwar sofort wahrgenommen, aber auf eine andere, wohl wichtigere Person beziehungsweise Zusammenkunft bezogen. Umso freudiger reagieren die Menschen, wenn ich ihnen mitteile, dass ich mich allein ihretwegen in Schale geworfen habe.

1. Weil ich anderen zeigen möchte, dass sie mir etwas bedeuten

Das ist der erste Grund, warum ich gern Anzüge trage: um meinen Mitmenschen zu zeigen, dass sie mir wichtig sind. Ein Anzug verkündet: «Du bedeutest mir etwas. Darum gebe ich mir Mühe für dich. Beim Benehmen, bei der Wortwahl und bei der Kleidung.»

Ein Anzug ist ein stummes Kompliment. An den Menschen, mit dem man sich trifft, aber auch an alle anderen, denen man draussen begegnet, und die dem Anblick, den man ihnen zumutet, wehrlos ausgeliefert sind. So fühle ich mich jedenfalls, wenn ich im Tram sitze und eine Person reinkommt, die ihre Garderobe sichtlich nur nach den Kriterien «Will nicht frieren!» (Winter) bzw. «Kann halt nicht nackt rumlaufen!» (Sommer) ausgewählt hat.

Übrigens muss es nicht immer ein kompletter Anzug sein. Eine schöne Hose und ein schönes Hemd sind meist schon Kompliment genug. Bei meinen Auftritten trage ich aber immer einen Anzug, als Zeichen der Ehrerbietung meinem Publikum gegenüber, das extra meinetwegen gekommen ist – und mich eine Stunde lang anschauen muss, während ich vorlese. (Corona-Edit: Ich trug einen Anzug, als ich noch Auftritte hatte.)

2. Weil es sich gut anfühlt

Kleider machen Leute, heisst es, und wie wahr das ist, merkt man, wenn man in einen massgefertigten Anzug steigt. Es fühlt sich einfach besser an: Man sitzt anders darin, man steht anders darin, man geht anders darin, man verhält sich anders darin. Man drückt sich sogar gewählter aus und trifft die besseren Entscheidungen – einfach, weil alles ein bisschen wichtiger ist, wenn man einen Anzug trägt. Am meisten man selbst.

3. Weil ich nicht schlecht angezogen sterben will

Folgendes Szenario: Ich spaziere durch die Stadt, und jemand fährt mich über den Haufen. Und dann liege ich da in meinem Blut, blicke in die ernsten Gesichter der Notfallkräfte und denke: «Verdammt, ich trage alte Jeans und eine Outdoor-Jacke. Auch das noch.»

4. Weil es enorm Freude macht, einen Anzug zu gestalten

Am Ende spaziere ich mit meinem neuen Anzug aus dem Atelier. Vielleicht direkt vor ein Auto. Das wäre ärgerlich, weil ich gern noch eine Weile leben würde. Aber stilistisch wäre es hinzunehmen.

Wie denkst du über Mode? Welchen Zweck hat sie für dich? Zu welchen Gelegenheiten ziehst du dich hübsch an, und wie? Schreib es in die Kommentare!

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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