

Das Origami-Kayak aus der Tasche

Falten, klicken, zurren – und fertig ist das Kayak. Ein filigranes Leichtgewicht, das optisch jedes Gummiboot aussticht. Ich habe mir angeschaut, wie in zwei Minuten eine Umhängetasche zum Einsitzer wird.
Ich warte. Vor mir nimmt eine interessierte Frau die Herren am Stand von Oru in Beschlag. Sie fragt, fragt und fragt – und ich höre interessiert mit. Wie oft lässt sich das Boot falten? Reisst das Material nicht ein? Kann ich damit in die Wellen? Hält das Material auch Steinen stand? Trotz knapp gehaltener Antworten vergeht einige Zeit, bis ich an der Sportmesse OutDoor by ISPO zum Zug komme und mir das Origami-Kayak genauer anschauen kann, von dem eine gewisse Faszination ausgeht. Es wird sogar im San Francisco Museum of Modern Art ausgestellt.

An Schlauchboote sind wir gewöhnt. Da fragt sich niemand mehr, wie die funktionieren und ob die Luft auch wirklich drin bleibt. Die Faltkonstruktion dagegen muss das Gehirn erst als Boot zu verbuchen lernen, obwohl sie schon seit einigen Jahren auf dem Markt ist. Wie ich im soeben beendeten Kreuzverhör mitbekommen habe, ist das Oru Kayak nur für Flachwasser geeignet, soll in drei bis fünf Minuten startklar sein und Kollisionen mit Steinen unbeschadet überstehen. Ich bitte den freundlichen Kollegen am Stand um eine kurze Demonstration. «Soll ich dabei was erzählen?», fragt er, und scheint kurz vor Messeschluss ganz froh darüber zu sein, dass ich mich für die Praxis interessiere.
Er braucht für den Aufbau weder fünf noch drei Minuten, sondern nicht einmal zwei. Routiniert schnappt er sich die kofferraumtaugliche Tasche, aus der beim Öffnen der Schnallen eine grosse, gefaltete Kunststofffläche ploppt. Darin befinden sich wenige Einzelteile wie der Sitz, die eingebaut werden müssen. Ansonsten ist das Prinzip des Oru Inlet simpel: Ein bisschen falten, ab und zu klicken, anschliessend zurren und zur Sicherheit noch etwas kletten. Vorne und hinten wird jeweils ein Schott eingesetzt. Ein orangefarbenes Teil, das Stabilität verleiht. Drumherum wird gefaltet und befestigt. Kleine Handgriffe, bei denen du weder ins Schwitzen kommst noch Hilfestellung brauchst.
Beim Material handelt es sich um extrudiertes Polypropylen. Fünf Millimeter dick, doppelschichtig und UV-resistent fühlt es sich genau so an, wie es aussieht: stabil und leicht zugleich. «Bei der Extrusion werden plastisch verformbare bis dickflüssige Massen unter Druck kontinuierlich aus einer formgebenden Öffnung herausgepresst», lerne ich bei Wikipedia. «Die geformte Masse wird als Extrudat bezeichnet und härtet in der Regel beim Austritt aus der Öffnung des Werkzeugs durch Abkühlung oder chemische Reaktion aus.»
Das Extrudat, das zum Boot geformt werden kann, wiegt gerade mal neun Kilogramm. «Zehntausende Male» soll es das Falten überstehen, heisst es bei Oru. Mal angenommen, du unternimmst 20 Touren pro Jahr, solltest du die nächsten 500 Jahre keine Probleme bekommen. Die Konkurrenz von Terravent, deren Kayak vergleichbar aussieht, ist trotz ähnlichem Material und Konzept mit «bis zu 2000 Mal» deutlich zurückhaltender. Da selbst das bei 20 Paddeltagen pro Sommer für 100 Jahre reichen würde, übersetze ich die Angaben mit: «Wir Hersteller sind uns sicher, dass das Material an diesen Stellen nicht spröde wird, solange du uns dafür zur Verantwortung ziehen kannst.»

Auf jeden Fall sind beides selbstbewusste Ansagen. Ich mag das kaum glauben, denn mit etwas Abstand wirkt es tatsächlich fast so, als wäre das Kayak aus Papier gemacht. Schön; sogar auf dem Boden einer Messehalle. Trotzdem soll es bis zu 125 Kilogramm tragen und für Paddler:innen bis 1,88 Meter geeignet sein. Damit es seine Form behält und bequem ist, wird es noch verspannt. Einmal quer hinter dem Sitz. Einmal nach vorne, zur einstellbaren Fussstütze. Und einmal am Sitz selbst, der zuletzt eingesetzt wird. Danach hält es, was es verspricht: eine leichte und einfach transportierbare Alternative zum klassischen Kayak zu sein. Und noch dazu ein Hingucker.



Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.