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Kritik

«Cronos: The New Dawn» im Test: ein furchterregendes, fast perfektes Horror-Meisterwerk

«Cronos: The New Dawn» ist beklemmend, unangenehm und furchterregend. Also alles, was ein Horrorspiel sein sollte. Es grenzt gar an Perfektion – auch wenn einige Design-Entscheidungen unter Horror-Fans für kontroverse Diskussionen sorgen werden.

Nach dem erfolgreichen Remake folgt mit «Cronos: The New Dawn» wieder ein eigenes Projekt. Schafft es das Studio, auch ohne Vorlage einen Survival-Horror-Hit zu produzieren?

Die Antwort ist: ja. Und wie, verdammt nochmal!

Die Story stellt mehr Fragen, als sie Antworten gibt

Die Geschichte des Spiels ist bewusst vage gehalten. Ich übernehme die Rolle einer namenlosen weiblichen Spielfigur in einem bedrohlich aussehenden, metallischen Taucheranzug. Sie redet mit einer roboterartigen Stimme. Irgendwie creepy.

Durch kryptische Nachrichten enthülle ich mehr von der Protagonistin. Ich erfahre, dass ich eine «Reisende» bin, die im Auftrag des mysteriösen «Kollektivs» ein postapokalyptisches Ödland durchstreift. In diesem wimmelt es von abscheulich entstellten Kreaturen, die entfernt an Menschen erinnern. Das Spiel offenbart mir, dass dieses Ödland früher mal Polen war, bevor es von einer verheerenden Epidemie heimgesucht wurde.

In dieser trostlosen Welt gibt es Zeitrisse, durch die ich schreiten muss, um in die Vergangenheit zu reisen – genauer gesagt ins Polen der Achtziger Jahre. Mein Auftrag ist es, dort wichtige Personen zu finden, die die Apokalypse verhindern können. Doch meine Mission besteht nicht darin, diese Personen zu retten – im Gegenteil. Ich muss sie töten und ihre Seelen digitalisieren, damit ich sie in der Gegenwart analysieren kann. That escalated quickly.

Anfangs führe ich meinen Auftrag für das «Kollektiv» brav aus. Spätestens nach der ersten geernteten Seele denke ich mir aber: Moment mal. Objektiv betrachtet hört sich das, was ich mache, doch nach einer klassischen Bösewicht-Nummer an. Bin ich in dem Spiel etwa die Böse? Und wer oder was ist dieses «Kollektiv» überhaupt?!

Bloober Team liefert keine klaren Antworten auf meine Fragen. Im Gegenteil – sobald eine Frage beantwortet wird, werden Dutzend weitere aufgeworfen. Ich liebe diese Art von Storytelling. Das Game traut mir zu, selbst zu überlegen und serviert mir nichts auf dem Silbertablett.

Wie ein Süchtiger suche ich die Levels nach Brotkrümeln ab, die mir mehr Infos geben. Notizen, Zeitungsausschnitte, Tonaufnahmen. Ich setze mir die Puzzleteile selbst zusammen und versuche zu verstehen, wie die mysteriöse Epidemie, die Apokalypse und «das Kollektiv» zusammenhängen.

Auch Tage, nachdem ich den Abspann gesehen habe, denke ich über die verwobene und symbolträchtige Story nach. Mehr noch: Die Reisende und die hässlichen Monster suchen mich in meinen Träumen heim. Kurzum – das Spiel lässt mich nicht mehr los.

Timing ist alles

Die Reisende bewegt sich nur langsam und schwerfällig durch die Levels. Auch in hektischen Kampfsituationen kann die Spielfigur nicht viel Tempo aufnehmen. Das ist kein Kritikpunkt – die Steuerung fühlt sich genau und befriedigend an. Zudem ist so ein metallischer Taucheranzug halt einfach schwer.

Blöd nur, dass der Anzug trotz mächtigem Erscheinungsbild nicht viel wegstecken kann. Meist reichen wenige gegnerische Attacken, bis ich das Zeitliche segne. Spezielle Fähigkeiten im Kampf, wie Sprünge oder Dodges, suche ich vergebens – ein Punkt, der in einigen Vorschauen zum Spiel kritisiert wurde.

Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Das beschränkte Moveset der Reisenden trägt massgeblich zur Survival-Horror-Atmosphäre bei. Ich will keine akrobatische Spielfigur haben, die elegant Attacken ausweicht und zu verheerenden Kontern ansetzt. Weniger ist im Horror-Genre manchmal mehr.

Im Verlauf des Abenteuers kann ich meine Waffen und meine Rüstung mit wertvollen Upgrades versehen. Auch verschiedene Perks lassen sich ausrüsten. Diese geben mir beispielsweise stärkere Nahkampfangriffe oder lassen mich mehr Ressourcen finden.

Besonders makaber: Bei den Perks handelt es sich um die zuvor erwähnten menschlichen Seelen, die ich «ernte» und digitalisiere. Lösche ich eine Seele aus meinem Inventar, höre ich, wie sie stirbt.

Okay, ich glaube, ich gehöre definitiv nicht zu «den Guten».

Body-Horror vom Feinsten

Die Monster sorgen mit verschiedenen Grössen, Angriffsmustern und Spezialfähigkeiten für spielerische Abwechslung während des rund 15-stündigen Abenteuers. Einige Viecher attackieren mich auf zwei Beinen, andere krabbeln wie Spinnen an Wänden entlang und manche spucken gefährliche Säure aus der Ferne. Cool, aber ich hätte mir etwas mehr visuelle Abwechslung gewünscht.

Die fehlende optische Variation wird durch eine geniale Spielmechanik ausgeglichen. Noch lebendige Kreaturen können mit bereits getöteten Gegnern fusionieren. So werden sie grösser, stärker und erhalten zusätzliche Panzerung. Dieser spannende Twist sorgt dafür, dass selbst bezwungene Gegner noch eine Gefahr für mich darstellen. Jedes getötete Monster ist potenzielles Futter für das nächste Monster, das mich angreift.

Komplett eliminieren kann ich die Leichen nur, indem ich sie verbrenne. Leichter gesagt als getan: Ressourcen für die Herstellung von sekundären Waffen wie Feuergranaten sind in den verwinkelten Levels von «Cronos: The New Dawn» extrem rar.

Ressourcenknappheit

Das Spiel nimmt das «Survival» in «Survival Horror» sehr ernst. Munition für meine Knarren ist genauso rar wie Rohstoffe für die Herstellung von Medizin. Jeder Schuss ist wertvoll, jedes Medkit Gold wert. Panisch suche ich jeden neuen Raum nach Items ab.

Mein Inventar ist extrem beschränkt. Ich kann jeweils nur wenige Items und Ressourcen gleichzeitig tragen. Alles steht in Konkurrenz zueinander. Nehme ich lieber eine Knarre mehr mit oder spare ich einen Inventar-Slot für ein Quest-Item, das ich transportieren muss? Verwende ich die gefundenen Ressourcen für die Herstellung von Munition oder doch lieber, um Medizin zu mischen?

Zugegeben – das Inventarmanagement ist bisweilen etwas anstrengend. Für mich untermalen die knappen Ressourcen und der knappe Inventarplatz jedoch die beklemmende Horror-Erfahrung zusätzlich.

Geniales Leveldesign mit strikten Grenzen

Trotz verschachteltem Leveldesign ist «Cronos» insgesamt ein sehr lineares Spielerlebnis. Überall finde ich arbiträre Levelgrenzen, wie zu hoch gestapelte Kisten oder Stühle, die meinen Bewegungsradius einschränken. Das wirkt bisweilen etwas lächerlich (wieso kann meine mächtige Reisende nicht über dieses Pult springen?) hat aber den Vorteil, dass das Pacing aufgrund der strikten Grenzen beinahe perfekt ist.

Ostblock-Brutalismus, Retro-Futurismus und technische Probleme

Die visuelle Präsentation des Games ist eine Wucht. Der Artstyle verbindet retro-futuristische Elemente des «Kollektivs» und die brutalistische Architektur aus Polens kommunistischer Vergangenheit zu einem einzigartigen Gesamtpaket.

Und die Musik... oh mein Gott, die Musik. Bedrohliche, dröhnende Klänge unterstreichen die allgegenwärtige Gefahr, die in den dunklen Ecken der Spielwelt auf mich lauert. In actionreichen Momenten verwandelt sich die Soundkulisse zu einer Symbiose aus Synth-Klängen à la «Stranger Things» und gespenstischen Chorgesängen. Gänsehaut.

Insgesamt bleiben diese technischen Ungereimtheiten zum Glück nur eine Randnotiz in einem einzigartigen Horror-Meisterwerk.

«Cronos: The New Dawn» ist ab dem 5. September für PS5, Xbox Series X/S, Switch 2 und PC erhältlich. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Bandai Namco für die PS5 (Pro) zur Verfügung gestellt.

Fazit

«Cronos: The New Dawn» ist ein einzigartiges Horror-Meisterwerk, das zum Denken anregt

«Cronos: The New Dawn» überzeugt mit einer cleveren Story und einem unverbrauchten Setting zwischen Retro-Futurismus, Brutalismus und Sci-Fi-Horror. Das simple und langsame Kampfsystem ist Geschmackssache. Lässt du dich darauf ein, erwarten dich nervenaufreibende Gefechte. Monster, die mit bereits besiegten Gegnern fusionieren, bringen einen spannenden Twist in die Begegnungen.

Das geniale Leveldesign ist zwar sehr linear, besticht durch ein fast perfektes Pacing, in dem sich Action, Story und Rätsel laufend abwechseln. Die knappen Ressourcen sorgen für eine dauerhafte Anspannung, die durch einen hervorragenden Synth-Electro-Soundtrack untermalt wird. Kurzum – «Cronos: The New Dawn» ist eines der besten Horror-Games, die ich je gespielt habe.

Pro

  • einzigartiges Setting und spannende Story
  • lineares, aber geniales Leveldesign mit perfektem Pacing
  • simples, aber effektives Kampfsystem mit fusionierenden Gegnern

Contra

  • einige technische Macken
Titelbild: Bloober Team

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Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.


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