Bloober Team
Kritik

«Cronos: The New Dawn» im Test: ein furchterregendes, fast perfektes Horror-Meisterwerk

«Cronos: The New Dawn» ist beklemmend, unangenehm und furchterregend. Also alles, was ein Horrorspiel sein sollte. Es grenzt gar an Perfektion – auch wenn einige Design-Entscheidungen unter Horror-Fans für kontroverse Diskussionen sorgen werden.

Das polnische Entwicklerstudio Bloober Team galt unter Fans des Horror-Genres lange Zeit als Underdog. Ihre Games, wie zum Beispiel «Layers of Fear» oder «The Medium» waren zwar ambitioniert, konnten jedoch weder Fachpresse noch Spielerschaft vollends überzeugen. Mit dem Remake von «Silent Hill 2» kam letztes Jahr der überraschende Befreiungsschlag. Die Neuauflage des Klassikers kassierte Höchstwertungen von Kritikern und wurde von Fans als Meisterwerk gefeiert.

Nach dem erfolgreichen Remake folgt mit «Cronos: The New Dawn» wieder ein eigenes Projekt. Schafft es das Studio, auch ohne Vorlage einen Survival-Horror-Hit zu produzieren?

Die Antwort ist: ja. Und wie, verdammt nochmal!

Die Story stellt mehr Fragen, als sie Antworten gibt

Die Geschichte des Spiels ist bewusst vage gehalten. Ich übernehme die Rolle einer namenlosen weiblichen Spielfigur in einem bedrohlich aussehenden, metallischen Taucheranzug. Sie redet mit einer roboterartigen Stimme. Irgendwie creepy.

Durch kryptische Nachrichten enthülle ich mehr von der Protagonistin. Ich erfahre, dass ich eine «Reisende» bin, die im Auftrag des mysteriösen «Kollektivs» ein postapokalyptisches Ödland durchstreift. In diesem wimmelt es von abscheulich entstellten Kreaturen, die entfernt an Menschen erinnern. Das Spiel offenbart mir, dass dieses Ödland früher mal Polen war, bevor es von einer verheerenden Epidemie heimgesucht wurde.

Das war mal Polen. Jetzt ist es ein Albtraum.
Das war mal Polen. Jetzt ist es ein Albtraum.
Quelle: Bloober Team

In dieser trostlosen Welt gibt es Zeitrisse, durch die ich schreiten muss, um in die Vergangenheit zu reisen – genauer gesagt ins Polen der Achtziger Jahre. Mein Auftrag ist es, dort wichtige Personen zu finden, die die Apokalypse verhindern können. Doch meine Mission besteht nicht darin, diese Personen zu retten – im Gegenteil. Ich muss sie töten und ihre Seelen digitalisieren, damit ich sie in der Gegenwart analysieren kann. That escalated quickly.

Anfangs führe ich meinen Auftrag für das «Kollektiv» brav aus. Spätestens nach der ersten geernteten Seele denke ich mir aber: Moment mal. Objektiv betrachtet hört sich das, was ich mache, doch nach einer klassischen Bösewicht-Nummer an. Bin ich in dem Spiel etwa die Böse? Und wer oder was ist dieses «Kollektiv» überhaupt?!

Auf meiner Reise treffe ich kaum andere Charaktere. Eine Ausnahme ist der mysteriöse «Aufseher» – eine weitere Figur, die im Namen des «Kollektivs» handelt.
Auf meiner Reise treffe ich kaum andere Charaktere. Eine Ausnahme ist der mysteriöse «Aufseher» – eine weitere Figur, die im Namen des «Kollektivs» handelt.

Bloober Team liefert keine klaren Antworten auf meine Fragen. Im Gegenteil – sobald eine Frage beantwortet wird, werden Dutzend weitere aufgeworfen. Ich liebe diese Art von Storytelling. Das Game traut mir zu, selbst zu überlegen und serviert mir nichts auf dem Silbertablett.

Wie ein Süchtiger suche ich die Levels nach Brotkrümeln ab, die mir mehr Infos geben. Notizen, Zeitungsausschnitte, Tonaufnahmen. Ich setze mir die Puzzleteile selbst zusammen und versuche zu verstehen, wie die mysteriöse Epidemie, die Apokalypse und «das Kollektiv» zusammenhängen.

Auch Tage, nachdem ich den Abspann gesehen habe, denke ich über die verwobene und symbolträchtige Story nach. Mehr noch: Die Reisende und die hässlichen Monster suchen mich in meinen Träumen heim. Kurzum – das Spiel lässt mich nicht mehr los.

Hinweise zur verheerenden Pandemie hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack.
Hinweise zur verheerenden Pandemie hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack.

Timing ist alles

Das Kampfsystem von «Cronos: The New Dawn» ist bewusst simpel gehalten. Meine Reisende ist mit mehreren futuristischen Knarren bewaffnet. Jede davon hat eine besondere Mechanik, die ich durch einen langen Druck auf den R2-Trigger aktiviere. So lässt sich zum Beispiel meine Pistole aufladen, um noch mehr Schaden anzurichten. Später finde ich auch ein Maschinengewehr, das bei lang gedrücktem Trigger eine Barrage an zielsuchenden Geschossen abfeuert. Bei allen Waffen ist das Timing entscheidend – lade ich einen Schuss zu spät auf oder eine Waffe zu spät nach, werde ich von den Monstern überrumpelt.

Die Reisende bewegt sich nur langsam und schwerfällig durch die Levels. Auch in hektischen Kampfsituationen kann die Spielfigur nicht viel Tempo aufnehmen. Das ist kein Kritikpunkt – die Steuerung fühlt sich genau und befriedigend an. Zudem ist so ein metallischer Taucheranzug halt einfach schwer.

Die Reisende stampft wie ein Koloss durch die Levels.
Die Reisende stampft wie ein Koloss durch die Levels.

Blöd nur, dass der Anzug trotz mächtigem Erscheinungsbild nicht viel wegstecken kann. Meist reichen wenige gegnerische Attacken, bis ich das Zeitliche segne. Spezielle Fähigkeiten im Kampf, wie Sprünge oder Dodges, suche ich vergebens – ein Punkt, der in einigen Vorschauen zum Spiel kritisiert wurde.

Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Das beschränkte Moveset der Reisenden trägt massgeblich zur Survival-Horror-Atmosphäre bei. Ich will keine akrobatische Spielfigur haben, die elegant Attacken ausweicht und zu verheerenden Kontern ansetzt. Weniger ist im Horror-Genre manchmal mehr.

Im Spielverlauf erhalte ich einen Waffenaufsatz, der mir mit einem Licht mitteilt, ob eine Kreatur noch lebt. Ziemlich praktisch.
Im Spielverlauf erhalte ich einen Waffenaufsatz, der mir mit einem Licht mitteilt, ob eine Kreatur noch lebt. Ziemlich praktisch.
Quelle: Bloober Team

Im Verlauf des Abenteuers kann ich meine Waffen und meine Rüstung mit wertvollen Upgrades versehen. Auch verschiedene Perks lassen sich ausrüsten. Diese geben mir beispielsweise stärkere Nahkampfangriffe oder lassen mich mehr Ressourcen finden.

Besonders makaber: Bei den Perks handelt es sich um die zuvor erwähnten menschlichen Seelen, die ich «ernte» und digitalisiere. Lösche ich eine Seele aus meinem Inventar, höre ich, wie sie stirbt.

Okay, ich glaube, ich gehöre definitiv nicht zu «den Guten».

Body-Horror vom Feinsten

Die Monster sorgen mit verschiedenen Grössen, Angriffsmustern und Spezialfähigkeiten für spielerische Abwechslung während des rund 15-stündigen Abenteuers. Einige Viecher attackieren mich auf zwei Beinen, andere krabbeln wie Spinnen an Wänden entlang und manche spucken gefährliche Säure aus der Ferne. Cool, aber ich hätte mir etwas mehr visuelle Abwechslung gewünscht.

Die Bosskämpfe gegen richtig grosse Brummer sind ein Highlight des Spiels.
Die Bosskämpfe gegen richtig grosse Brummer sind ein Highlight des Spiels.

Die fehlende optische Variation wird durch eine geniale Spielmechanik ausgeglichen. Noch lebendige Kreaturen können mit bereits getöteten Gegnern fusionieren. So werden sie grösser, stärker und erhalten zusätzliche Panzerung. Dieser spannende Twist sorgt dafür, dass selbst bezwungene Gegner noch eine Gefahr für mich darstellen. Jedes getötete Monster ist potenzielles Futter für das nächste Monster, das mich angreift.

Komplett eliminieren kann ich die Leichen nur, indem ich sie verbrenne. Leichter gesagt als getan: Ressourcen für die Herstellung von sekundären Waffen wie Feuergranaten sind in den verwinkelten Levels von «Cronos: The New Dawn» extrem rar.

Hier will ein Monster sich mit einem gefallenen Freund verbinden.
Hier will ein Monster sich mit einem gefallenen Freund verbinden.

Ressourcenknappheit

Das Spiel nimmt das «Survival» in «Survival Horror» sehr ernst. Munition für meine Knarren ist genauso rar wie Rohstoffe für die Herstellung von Medizin. Jeder Schuss ist wertvoll, jedes Medkit Gold wert. Panisch suche ich jeden neuen Raum nach Items ab.

Im Verlauf des Spiels kann ich mein Inventar erweitern. Auch Waffen- und Rüstungsupgrades sind möglich.
Im Verlauf des Spiels kann ich mein Inventar erweitern. Auch Waffen- und Rüstungsupgrades sind möglich.

Mein Inventar ist extrem beschränkt. Ich kann jeweils nur wenige Items und Ressourcen gleichzeitig tragen. Alles steht in Konkurrenz zueinander. Nehme ich lieber eine Knarre mehr mit oder spare ich einen Inventar-Slot für ein Quest-Item, das ich transportieren muss? Verwende ich die gefundenen Ressourcen für die Herstellung von Munition oder doch lieber, um Medizin zu mischen?

Zugegeben – das Inventarmanagement ist bisweilen etwas anstrengend. Für mich untermalen die knappen Ressourcen und der knappe Inventarplatz jedoch die beklemmende Horror-Erfahrung zusätzlich.

Gut versteckte Katzen geben mir in den Levels wichtige Upgrade-Materialien.
Gut versteckte Katzen geben mir in den Levels wichtige Upgrade-Materialien.
Quelle: Bloober Team

Geniales Leveldesign mit strikten Grenzen

«Cronos: The New Dawn» führt mich entlang seiner straff inszenierten Erzählung durch grösstenteils enge und verschachtelte Spielgebiete. Die genial designten Levels gleichen Labyrinthen, die sich wie Gedärme durch die postapokalyptische Welt winden. Eine Map suche ich vergebens. Die Angst, sich zu verlaufen, stärkt die Horror-Atmosphäre. Ich bahne mir den Weg durch Korridore, die von ekliger Biomasse durchwachsen sind, und finde immer wieder Abkürzungen oder gut versteckte, geheime Räume.

Auch visuell erinnern die ekligen Auswüchse an Gedärme.
Auch visuell erinnern die ekligen Auswüchse an Gedärme.

Trotz verschachteltem Leveldesign ist «Cronos» insgesamt ein sehr lineares Spielerlebnis. Überall finde ich arbiträre Levelgrenzen, wie zu hoch gestapelte Kisten oder Stühle, die meinen Bewegungsradius einschränken. Das wirkt bisweilen etwas lächerlich (wieso kann meine mächtige Reisende nicht über dieses Pult springen?) hat aber den Vorteil, dass das Pacing aufgrund der strikten Grenzen beinahe perfekt ist.

Ich verweile nie zu lange in einer Umgebung oder Spielsituation. Schweisstreibende Action-Szenen wechseln sich mit ruhigeren Story-Momenten oder cleveren Rätseleinlagen ab. In letzteren manipuliere ich beispielsweise Zeit-Anomalien, um bestimmte Objekte «zurückzuspulen», die mir den Weg versperren. Besonders gelungen sind auch die Abschnitte, in denen ich mit meinen Anti-Gravitationsschuhen unterwegs bin. Plötzlich laufe ich kopfüber durch die Levels oder schwebe bis zum nächsten Gravitationspunkt durch die Luft. Immer wieder lege ich den Controller kurz ab, um innezuhalten: «Fuck, ist das genial».

Oben ist unten, rechts ist links. Die Abschnitte mit den Gravitationsschuhen gehören zu den Highlights des Spiels.
Oben ist unten, rechts ist links. Die Abschnitte mit den Gravitationsschuhen gehören zu den Highlights des Spiels.

Ostblock-Brutalismus, Retro-Futurismus und technische Probleme

Die visuelle Präsentation des Games ist eine Wucht. Der Artstyle verbindet retro-futuristische Elemente des «Kollektivs» und die brutalistische Architektur aus Polens kommunistischer Vergangenheit zu einem einzigartigen Gesamtpaket.

Es fühlt sich herrlich unverbraucht und frisch an, in einem Horrorspiel durch sozialistische Wohnblöcke und brachiale Stahlfabriken zu wandern. Einige Gebäude erinnern mich auch an meine Heimatstadt Zagreb in Kroatien, die ebenfalls von ähnlicher Architektur geprägt ist. Ich entdecke polnische Graffitis an den Wänden, die ich mit meinen Kroatisch-Kenntnissen teilweise entziffern kann. Ich würde mich über mehr Games mit einzigartigen Settings freuen, deren Geschichte mal nicht in den USA oder Japan angesiedelt sind.

Der Artstyle und das Setting überzeugen mich.
Der Artstyle und das Setting überzeugen mich.
Quelle: Bloober Team

Und die Musik... oh mein Gott, die Musik. Bedrohliche, dröhnende Klänge unterstreichen die allgegenwärtige Gefahr, die in den dunklen Ecken der Spielwelt auf mich lauert. In actionreichen Momenten verwandelt sich die Soundkulisse zu einer Symbiose aus Synth-Klängen à la «Stranger Things» und gespenstischen Chorgesängen. Gänsehaut.

Schade, kann die Technik nicht immer mit den Ambitionen des Spiels mithalten. Die Zwischensequenzen, in denen «echte» Menschen zu sehen sind, fühlen sich mit abrupten Animationen und steifen Gesichtern nicht so glatt an wie der Rest des Spiels. Auch die Performance ist nicht über alle Zweifel erhaben. Ich spiele das Game auf einer PS5 Pro im Performance-Modus – in hektischen Gefechten und Wechseln zwischen Räumen spüre ich Ruckler. Einige Texturen laden zu spät oder sehen unscharf aus. Und einmal musste ich sogar einen alten Spielstand laden, weil ich in einem Raum steckengeblieben bin – Bloober ist sich des Problems bewusst und verspricht, solche Bugs auszumerzen.

Insgesamt bleiben diese technischen Ungereimtheiten zum Glück nur eine Randnotiz in einem einzigartigen Horror-Meisterwerk.

«Cronos: The New Dawn» ist ab dem 5. September für PS5, Xbox Series X/S, Switch 2 und PC erhältlich. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Bandai Namco für die PS5 (Pro) zur Verfügung gestellt.

Fazit

«Cronos: The New Dawn» ist ein einzigartiges Horror-Meisterwerk, das zum Denken anregt

«Cronos: The New Dawn» überzeugt mit einer cleveren Story und einem unverbrauchten Setting zwischen Retro-Futurismus, Brutalismus und Sci-Fi-Horror. Das simple und langsame Kampfsystem ist Geschmackssache. Lässt du dich darauf ein, erwarten dich nervenaufreibende Gefechte. Monster, die mit bereits besiegten Gegnern fusionieren, bringen einen spannenden Twist in die Begegnungen.

Das geniale Leveldesign ist zwar sehr linear, besticht durch ein fast perfektes Pacing, in dem sich Action, Story und Rätsel laufend abwechseln. Die knappen Ressourcen sorgen für eine dauerhafte Anspannung, die durch einen hervorragenden Synth-Electro-Soundtrack untermalt wird. Kurzum – «Cronos: The New Dawn» ist eines der besten Horror-Games, die ich je gespielt habe.

Pro

  • einzigartiges Setting und spannende Story
  • lineares, aber geniales Leveldesign mit perfektem Pacing
  • simples, aber effektives Kampfsystem mit fusionierenden Gegnern

Contra

  • einige technische Macken
Bandai Namco Cronos: The New Dawn (PS5, DE)
Game
Neu
CHF58.90

Bandai Namco Cronos: The New Dawn

PS5, DE

Titelbild: Bloober Team

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Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.


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