Hintergrund

«Borderlands 4» ist repetitiv, bietet kaum Innovation, aber die Beutegier lockt noch immer

Statt auf Innovation setzt «Borderlands 4» auf bewährte Kost mit kleinen Verbesserungen. Die Vault Hunter sind deutlich agiler, die Welt ist grösser und die Sucht nach neuen Waffen ist schnell geweckt.

Das Erfolgsrezept von «Borderlands» besteht aus Abermillionen Waffen und einer grossen Portion Humor. Letzterer fiel im letzten Teil deutlich ab. Die Memeification war vielen eingefleischten Fans schlicht zu dumm – mich eingeschlossen. Es war der erste Teil, den ich nicht zu Ende gespielt habe.

Mit «Borderlands 4» will Studio Gearbox alles besser machen. Statt der nervtötenden Streamer-Zwillinge Troy und Tyreen wartet mit dem Zeitwächter wieder ein klassischer Bösewichte darauf, zur Strecke gebracht zu werden. Der Zeitwächter ist der tyrannische Chef des Planeten Kairos, dessen Bevölkerung er per Gedankenkontrolle unterjocht. Dieses Schicksal blüht auch mir, einem Vault Hunter – auf Deutsch sinnfrei mit «Kammerjäger» übersetzt – nachdem meine Figur auf dem Planeten abstürzt.

Als Dankeschön bekomme ich ein Implantat verpasst, das dem Zeitwächter die Kontrolle über mich gibt. Bevor er mich zu seinem Vasallen machen kann, werde ich von einer Rebellengruppe gerettet und damit beginnt das Abenteuer.

Alte Bekannte und viel Frasendrescherei

Zur Auswahl stehen vier Klassen mit unterschiedlichen Talenten und Spezialfähigkeiten. Vex ist eine Sirene, die über magische Kräfte wie Phasenexplosion verfügt. Ritter Amon sorgt mit seiner Schmiedefaust oder Energiepeitsche für explosive Stimmung. Harlowe, eine Wissenschaftlerin, setzt auf Energieschilde oder Schwerelosigkeit, um mehrere Gegner zu kontrollieren. Soldat Rafa verlässt sich unter anderem auf zwei Schulterkanonen. Ich habe mich für Letzteren entschieden – weil drei Knarren besser sind als eine.

Mit Rafa folge ich den freundlichen Rebellen, die mich befreit haben. Auf dem Weg treffe ich auf Claptrap, dem einrädrigen Roboter. Wenn dich sein Geplapper früher schon genervt hat, wirst du dir auch jetzt einen Vorspulknopf wünschen. Ich gehöre zu Team Claptrap und finde die blecherne Ulknudel immer noch sehr unterhaltsam.

Der tollpatschige Claptrap ist auch wieder mit von der Partie.
Der tollpatschige Claptrap ist auch wieder mit von der Partie.

Die Story gewinnt allerdings keinen Blumentopf. Dafür nerve ich mich auch nicht über schlecht gealterte Internet-Witze. Sie bietet das richtige Mass an Unterhaltung, um die exzessiven Ballereskapaden aufzulockern. Das gleiche gilt für meine Spielfigur Rafa. Mit seinem spanischen Akzent und seiner grossspurigen Art bedient er so ziemlich alle Klischees, die Latinos im Actionkino zugeschrieben werden. Dass sich seine Sprüche schon in den ersten Stunden mehrfach wiederholen, bereitet mir aber Sorgen.

Ballern als wär’s 2006

Claptrap erklärt mir auch die neuen Mechaniken. Ich kann gleiten, Doppelsprünge vollführen, in der Luft dashen und mich mit einem Enterhaken an bestimmten Stellen hochziehen. Letzteres macht die Kämpfe dynamischer, weil ich mich schnell auf den Schlachtfeldern bewegen kann. Ausserdem kann ich damit Kanister auf meine Gegner schmeissen – auch wenn ich noch etwas an meinen Zielfertigkeiten feilen muss.

Ein Enterhaken hat noch jedes Spiel besser gemacht.
Ein Enterhaken hat noch jedes Spiel besser gemacht.

Von diesen Fähigkeiten abgesehen verlaufen die Kämpfe immer noch nach Schema F. Die Gegner stürmen aus allen Richtungen auf mich zu. Mangelnde Taktik machen sie mit Masse, Angriffen aus der Luft oder flächendeckenden Projektilen wett. Meine Strategie bleibt ähnlich simpel. Ich renne im Kreis und weiche Angriffen aus. Das funktioniert dank der neuen Bewegungsmöglichkeiten deutlich geschmeidiger als zuvor. In erster Linie verlasse ich mich aber auf die Durchschlagskraft meiner Waffen und halte einfach so lange drauf, bis Ruhe einkehrt.

Echte Abwechslung durch unterschiedliche Gegnertypen habe ich in den ersten zehn Stunden nicht entdeckt. Egal, ob maskierte Irre, fliegende Magier oder schwertschwingende Roboter-Ninjas – es läuft immer aufs Gleiche hinaus. Das wurde schon im ersten Teil 2006 mit der Zeit eintönig.

Der Spass der Action steht und fällt darum mit dem Mordwerkzeug. 30 Milliarden Waffen sollen es laut offizieller Beschreibung sein. Seit dem ersten Teil ist es das Markenzeichen von «Borderlands». Sie kommen in verschiedenen Seltenheitsgraden, von gewöhnlich bis legendär. Letztere sollen nun deutlich rarer sein, dafür umso durchschlagender. Bisher habe ich noch keine entdeckt.

An Loot mangelt es «Borderlands 4» definitiv nicht.
An Loot mangelt es «Borderlands 4» definitiv nicht.

So richtig originell war leider noch keines meiner Schiessgeräte. Am ehesten die Maschinenpistole, die sich beim Nachladen in eine zielsuchende Rakete verwandelt. Hier erhoffe ich mir mehr in den nächsten Spielstunden. Dafür sehen die Waffen originell aus und klingen richtig wuchtig.

Zu den vier ausrüstbaren Knarren und dem Granatenslot, der auch ein Wurfmesser beinhalten kann, gibt es neu eine Heilspritze. Sie funktioniert über einen Cooldown und besitzt Bonuseigenschaften. Das ist definitiv besser, als wie früher Lebenscontainer einsammeln zu müssen.

Jede der vier Klassen besitzt drei Talentbäume, mit je einer ultimativen Fähigkeit, wie in diesem Fall die Schulterkanonen.
Jede der vier Klassen besitzt drei Talentbäume, mit je einer ultimativen Fähigkeit, wie in diesem Fall die Schulterkanonen.

Spassiger als Kairos alleine aufzumischen, ist es, zu viert durch die Gegend zu gurken. Im Koop-Modus kann ich die komplette Kampagne spielen. Sobald sie abgeschlossen ist, eröffnen sich zusätzliche Modi wie Bossruns. Leider konnte ich meine Freunde, anders als in der Vergangenheit, bisher nicht für den Kauf begeistern. Also bin ich mit Fremden um die Häuser gezogen. In einer Session hat mich eine Person begleitet, die Vex gespielt hat. Die kann sich ein violett leuchtendes Panther-Wesen herbeizaubern, das für sie kämpft. Wie geil. Eventuell habe ich mit Rafa doch die falsche Figur ausgewählt. Meine beiden Schulterknarren kann ich nämlich nicht streicheln.

Während sich am grundlegenden Spielprinzip kaum etwas getan hat, liefert Gearbox willkommene Quality-of-Life-Verbesserungen. Ich kann mir einen leuchtenden Pfad zum nächsten Ziel einblenden lassen. Waffen sind im Inventar oder beim Händler nach verschiedenen Kriterien filterbar. So kann ich viel schneller alle gewöhnlichen und ungewöhnlichen abstossen und werde sogar darauf hingewiesen, falls ich eine davon ausgerüstet haben sollte.

Fast so viel Nebenbeschäftigung wie Waffen

Statt in sich geschlossener Gebiete besteht Kairos aus einer einzigen grossen Spielwelt. Mit dem neuen Hoverbike kann ich sie ziemlich flott erkunden. Das Bike verfügt über eigene Waffen, die ich hoffentlich upgraden kann. Aktuell machen sie so wenig Schaden, dass mir das Gesicht einschläft. Dafür kann ich das Hoverbike jederzeit herbeirufen und muss nicht wie früher erst eine Garage aufsuchen.

Das neue Fahrzeug kann auf Knopfdruck aktiviert werden.
Das neue Fahrzeug kann auf Knopfdruck aktiviert werden.

Schnellreisepunkte müssen wiederum manuell freigeschaltet werden. Meist handelt es sich dabei um Bunker oder ähnliche Stützpunkte, die von Gegnern befreit und dann über ein einfaches Tür- oder Energierätsel aktiviert werden müssen.

Von solchen Nebenaktivitäten wimmelt es in Kairos. In besagten Bunkern kann ich Kopfgeldjäger-Aufträge annehmen. In den Siedlungen erhalte ich Nebenquests. Und sonst gibt es jede Menge Sammelkram wie Rebellen-Logos finden, geheime Schatztruhen öffnen oder Arenen von Minibossen zu säubern. Spielerisch sind sie alle gleich. Ich vernichte alles, was sich mir in den Weg stellt und am Ende kassiere ich eine Belohnung. Ich schwanke darum schon jetzt regelmässig zwischen Langeweile und «uuuh, die neue Waffe macht schön pewpew».

Auch wenn das Spiel auf den ersten Blick aussieht wie die vorherigen Teile, hat sich grafisch einiges getan.
Auch wenn das Spiel auf den ersten Blick aussieht wie die vorherigen Teile, hat sich grafisch einiges getan.
Quelle: Gearbox

Die Welt ist schön anzusehen. Am Himmel hängt ein bedrohlich violett leuchtender Planet, der auseinanderzubrechen droht. Das erste der vier grossen Gebiete ist eine Art futuristischer Wildwesten mit Farmhöfen, Büffelherden und gigantischen industriellen Bauten, die wahrscheinlich irgendwelche Mordmaschinen produzieren. Leider fühlt sich die Welt nicht lebendig an. Alles wirkt zusammengeflickt. Ein Gefühl einer kohärenten Welt, in der wirklich jemand wohnt, entsteht bisher nicht. Es ist ein anarchistisches Tollhaus, in dem es alle auf alle abgesehen haben. Viel Persönlichkeit versprüht das nicht.

Von den Nebenaufgaben ist mir auch nur eine in Erinnerung geblieben. Und zwar die, mit einer sprechenden Bombe, die eine Sinnkrise hat, weil sie möglicherweise ein Blindgänger ist. Leider ist die Auflösung etwas antiklimaktisch.

Diesem Sprengkopf helfe ich durch eine Lebenskrise.
Diesem Sprengkopf helfe ich durch eine Lebenskrise.

Visuell ist Gearbox dem ikonischen Celshading-Design treu geblieben. Auf den ersten Blick sieht das Spiel dann auch genauso aus wie der letzte Teil. Die Charaktermodelle sind beim genaueren Betrachten aber doch detaillierter und die Explosionen spektakulärer. Einen grafischen Überreiter solltest du trotzdem nicht erwarten – obwohl die Leistungsanforderungen diesen Anschein erwecken. Selbst mit einer RTX 5090 und einem Ryzen 7 9800X3D erreiche ich mit 4K-Auflösung und maximalen Details nur knapp 40 FPS. Mit DLSS auf Stufe «Qualität» werden es erträgliche 60 FPS, aber erst mit aktivierter 2x Frame Generation sind es angenehme 120 FPS. Auf dem Steam Deck ist «Borderlands 4» unspielbar. Das leistungsfähigere Lenovo Legion Go S schafft bei einer 1200p-Auflösung, niedrigen Details, FSR auf «Leistung» und aktivierter Frame Generation zwischen 30 und 40 FPS.

Gearbox-CEO Randy Pitchford scheint darin keine Probleme zu sehen. In seinem jüngsten Social-Media-Rant fordert er unzufriedene Spielerinnen und Spieler auf: Sie sollen ihre eigene Engine programmieren und zeigen, wie es geht. «Borderlands 4 ist ein Premium-Game, gemacht für Premium-Gamer», verkündet er auf X. Ich sehe durchaus Optimierungsbedarf – bei der Performance als auch beim CEO.

Egozentriker gibt es auch im Spiel zuhauf.
Egozentriker gibt es auch im Spiel zuhauf.

Das gilt eigentlich auch für den Rest des Spiels. Es ist mir mehrfach abgestürzt. Gelegentlich bewegen sich die Lippen in Dialogen nicht oder das Audio fehlt komplett. Und Waffen aus dem kostenpflichtigen DLC kann ich immer noch nicht verwenden, weil das Spiel überzeugt ist, dass ich ihn nicht besitze. Der Code, den mir 2K zu Testzwecken zugeschickt hat, enthält jedoch definitiv alle DLCs.

Fazit nach zehn Stunden: Hirn abstellen und losballern

Einen Innovationspreis gewinnt «Borderlands 4» wahrlich nicht. Das Gameplay hat sich in den 16 Jahren seit dem ersten Teil nur unwesentlich verändert. Noch immer ballere ich mit dem grössten Waffenarsenal, das es gibt, unzählige strunzdumme Gegner über den Haufen. So lange bis noch mehr Waffen aus ihnen heraussprudeln – und dann geht der Spass von vorne los. Ja, Spass. Zwar streift mich gelegentlich die Langeweile, aber dann stolpere ich über einen verrückten Miniboss, eine funkelnde Schatzkiste oder einen neuen verrückten Schiessprügel und meine Lootgier ist geweckt.

Die Waffen, das eigene Aussehen oder auch das Design des Bikes kann ich anpassen.
Die Waffen, das eigene Aussehen oder auch das Design des Bikes kann ich anpassen.

Etwas mehr Abwechslung hätte «Borderlands 4» trotzdem nicht geschadet. Ab und zu darf es aber auch mal ein Spiel sein, bei dem ich mein Gehirn abschalten und den Abzugsfinger bis zum Anschlag durchziehen kann. Vielleicht vergesse ich dann auch, dass zwischenzeitlich eine völlig spassbefreite Filmadaption erschienen ist.

«Borderlands 4» ist verfügbar für PC, PS5 und Xbox Series X/S. Switch 2 folgt am 3. Oktober. Ich habe die PC-Version getestet, die mir 2K zur Verfügung gestellt hat.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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