
Aberglaube – aber ich glaube

Wenn ich einen Atheisten frage, ob er gläubig ist, dann ist dies eine rhetorische Frage. Rhetorisch, da er selbstverständlich gläubig ist. Moment mal?! Ja, das meine ich durchaus ernst, denn selbst ein «Nichtgläubiger» glaubt, dass nach dem Tode nichts folgt und seine Existenz endet. Beweisen kann es der Atheist nicht, daher handelt es sich hierbei nicht um Wissen, sondern um Glauben.
Klar, die physische Existenz unseres Daseins wird definitiv nicht fortbestehen. Eines Tages wird unser Körper Freundschaft mit Wurm und Made schliessen. Oder im Feuer verbrennen. Die Existenz des Zellverbundes endet. Doch endet nicht die Existenz der Materie. Jedes einzelne Atom in uns bleib bestehen – beim Verbrennen gehen sie in Gasformen über. Eines Tages werden sie wieder Teil von Lebewesen sein. Alles ist ein Kreislauf. Wir atmen jeden Tag unsere Ahnen und Urahnen. Jeder kann aus allem bestehen was war oder sein wird. Wir sind Natur.
Jeder ist gläubig
Schlussendlich glauben wir dem, was unser Hirn uns darstellt. Was es aus den elektronischen Impulsen macht, welche beispielsweise vom Augapfel ausgehend verarbeitet werden sollen.
Hast du schon mal davon gehört, dass man Bilder auch hören kann? Oder Geräusche sehen? Es gibt tatsächlich Menschen, welche über eine sogenannte Synästhesie verfügen. Bei dieser werden zwei oder mehr Sinneswahrnehmungen zu einer subjektiven Empfindung verknüpft. So gibt es Synästhetiker, welche bewegte schwarze Linien auf weissem Grund hören können. Oder sie sehen bei Zahlen bestimmte Farbeindrücke (bspw. Rot für die Sechs, Grün für die Zwei), welche bei Mathematik unterstützend eingesetzt werden können. Synästhesie kann man vererbt erhalten und es kann auch ganz schön praktisch sein, ein Geräusch zu schmecken. Wie wohl Mozarts Zauberflöte schmecken würde?
Synästhesie kann aber auch in Form von Schizophrenie oder durch Einnahme von Halluzinogenen auftreten. Auch in ausgeprägter Form, in welcher Realität und Kreativität des Gehirns neue Welten entstehen lassen.
Nochmals; Wir glauben, was unser Hirn darstellt – inklusive dem, was uns allenfalls durch eine Glaubensgemeinschaft, politische Partei oder Familie anerzogen wurde oder wird. Das heisst; wer wir sind und was wir glauben hängt auch stark davon ab, wo wir auf der Welt geboren werden, in welcher Kultur wir ins Leben starten und, so tragisch es auch ist, ob wir als Frau oder Mann zur Welt kommen.
Glaubst du noch, oder hinterfragst du bereits?
Die Frage ist etwas überflüssig, da wir (meiner Meinung nach) schlichtweg immer glauben. Dennoch sollte es nicht schaden, sich zumindest an allgemein bekannte Naturgesetzte (welche wir alle gleich erleben) zu halten. Gesunder Menschenverstand, etwas Empathie und logisches Denken sollten insbesondere da angebracht sein, wo Aussenstehende den eigenen Geist mit neuem Material füttern. Also auch bei diesem Text würde ich als Leser im Hintergrund eine imaginäre Alarmanlage laufen lassen, welche bei allfälligen Angriffen auf das eigene Weltbild warnend schrillt und zum Hinterfragen anregt.
Jeder einzelne Mensch hat seine eigene Wahrnehmung der Welt und in Situationen extremer Belastung kann der Körper auch durch Ausschüttung körpereigener Drogen (Hormone) das Bewusstsein verändern. Zum Guten, wie auch zum Schlechten – je nachdem, ob die richtige Droge zur passenden Situation verabreicht wird. Erhält unser Körper über längere Zeit beispielsweise zu viel vom Stresshormon Cortisol, neigen wir zu Angsterkrankungen. Zu wenig Cortisol kann dagegen zu Depressionen führen. Bei manchen Menschen schüttet der Körper in Stresssituationen zu viel Adrenalin aus. Die Folge davon können, nebst erhöhtem Puls und Blutdruck, auch Angst- oder Fluchtgefühle sein. Hormone beeinflussen unsere Wahrnehmung, wie es auch der Missionar an der Tür versucht. Doch mit dem Unterschied, dass die Hormone meist mehr Erfolg damit haben.
Aber ich glaube – was ist Aberglaube?
Obschon offensichtliche Beweise gegen eine in uns verfestigte Theorie sprechen, halten wir an eigentlich offensichtlichen Fantasien fest. Die Gewohnheit und allenfalls Konstitutionen aus der Kindheit (oder anderen Zeiten) können uns den neutralen Blick auf die Welt nehmen. Zu viel Glauben kann dem Denken Schranken auferlegen und dazu führen, dass wir uns von der allgemeinen Realität lösen. In extremen Beispielen lassen sich Menschen massenmanipulieren. Man denke dabei an die Geschichte der Religionen (Kreuzzüge, Hexenverfolgung, Unterdrückung der Frau, Unterdrückung der Sexualität und der eigenen Natur, …) oder an Hitler und das deutsche Volk, welches leider in Massen jubelte.
Der Ausdruck «Aberglaube» bezeichnet einen als irrsinnig angesehenen Glauben. Also eigentlich Dinge, welche mit klarem Verstand offensichtlich falsch sein müssen. Für mich als konfessionslosen Menschen mit philosophischer Ader sind allerdings alle Gläubig. Ob der Glaube nun irrsinnig ist oder nicht, liegt immer im Auge des Betrachters. Für mich ist das Wort Aberglaube ein Konstrukt, welches zur Deformation Andersgläubiger dient. Genauso wie das Wort Heide, welches einen Menschen beschreibt, der nicht an das Christentum glaubt.
Richtet man das Augenmerk auf die zig zehntausenden verschiedenen Glaubensgemeinschaften unserer Welt, muss man auch sagen, dass bis auf eine einzige Sekte/Religion sicher alle anderen nicht der Wahrheit entsprechen können. Wenn man denn von der einen Wahrheit ausgeht. Und die Chance, dass eine Religion tatsächlich die Wirklichkeit eingefangen hat und abbildet, erscheint mir bei rationalem Denken ebenfalls als gleich Null. Somit sind wir alle auch mit dem eigenen Weltbild Angehörige der Abergläubigen – ob wir es wollen oder nicht.
Ich weiss, dass ich nichts weiss
Der Mensch strebt seit jeher danach, neues Wissen zu erfahren und die grossen Fragen der Welt zu lösen. Doch selbst wenn wir es schaffen eine Antwort auf eine unserer Fragen zu erhalten, resultieren daraus meist mehrere Folgefragen, welche unsere Neugierde und den Wissensdrang enttäuschen und alleine zurücklassen.
Vielleicht liegt es daher in unserer Natur, dass wir lieber eine massgeschneiderte Lösung (Religion/Sekte) mit Behauptungen an uns ranlassen, als uns selbst einzugestehen, dass wir (wie bereits Sokrates feststellte) nichts wissen.
Wo liegt die Realität – was ist Wirklichkeit?
Wahrscheinlich liegt die (allgemeine) Realität genau da, wo wir 7.49 Milliarden Menschen gemeinsam das selbe sehen, fühlen oder hören. Da, wo wir unser Gegenüber spiegeln und ihm sagen, dass gerade ein Stück Petersilie zwischen seinen Zähnen hängt. Oder da, wo man sich endlich traut, der geheimnisvollen Schönheit im Lift ein Kompliment zu machen. Für mich ist real, was sowohl im Geiste, wie auch in der physischen Welt stattfindet.
Es ist fraglich, ob es überhaupt wichtig ist, zu wissen, was real ist. Vielleicht sollen wir nicht wissen, sondern lediglich erfahren, geniessen und lernen (?). Vielleicht ist der Sinn des Lebens ganz wo anders zu finden, als wir bisher dachten.
Aber egal ob Realität, Fantasie oder Traum. Solange durch die Gedanken niemand zu Schaden kommt, soll jeder seinen eigenen Glauben ausleben dürfen.
…nur zu schade, dass jede grosse Religion dieser Welt auch eine kriegerische Vergangenheit hat.
PS:
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Der tägliche Kuss der Muse lässt meine Kreativität spriessen. Werde ich mal nicht geküsst, so versuche ich mich mittels Träumen neu zu inspirieren. Denn wer träumt, verschläft nie sein Leben.