
Hintergrund
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von Kevin Hofer
Das JRPG «Chrono Trigger» stand jahrelang an der Spitze meines Pile of Shame. 30 Jahre lang, um genau zu sein. So alt ist das Spiel mittlerweile, weshalb ich mich zum Jubiläum endlich durch das Meisterwerk gezockt habe.
«Final Fantasy»-Mastermind Hironobu Sakaguchi, «Dragon Quest»-Schöpfer Yuji Horii und «Dragon Ball»-Mangaka Akira Toriyama: Dieses Team kam 1995 für «Chrono Cross» zusammen. Sakaguchi war schon damals bekannt für seine epischen Geschichten, Horii für seine sympathischen und witzigen Charaktere und Toriyama für seine ikonischen Charakterdesigns. Kein Wunder, wird das Spiel auch heute noch als bestes JRPG aller Zeiten bezeichnet.
Für mich war das Gamebislang bloss ein Name: Obwohl japanische Rollenspiele mein Lieblingsgenre sind, habe ich es bislang nicht gezockt. Über die Sommertage habe ich das Meisterwerk endlich auf mein Steam Deck gepackt und verstehe den Hype um das Spiel auch 30 Jahre nach dessen Erscheinen vollends.
Hier meine 6 Gründe, wieso mich «Chrono Trigger» auch heute noch begeistert.
Heutzutage sind komplexe Zeitreisegeschichten aus Videospielen nicht mehr wegzudenken. Mitte der Neunziger war das anders. Im Spiel nehmen es der junge Crono und seine Freunde auf sich, die Welt vor dem apokalyptischen Monster Lavos zu retten. Dazu müssen sie kreuz und quer durch die Zeit reisen – von 65 Millionen Jahren vor der Zeitrechnung bis 2300 nach Beginn der Zeitrechnung. Ich erlebe, wie sich die Welt entwickelt und entdecke in jeder Periode etwas Neues. Es gibt aber auch Dungeons und Städte, die die Zeit überdauern und ich in mehreren Epochen besuchen kann, etwa das Schloss von Guardia. Auch wenn die Geschichte aus heutiger Perspektive nicht mehr ganz auf Hochglanz poliert daherkommt, weiss sie immer noch zu überzeugen.
Damit nicht genug, haben meine Taten aber auch tatsächlich Einfluss auf die Welt. Die Statue eines Gegners wird etwa in der Gegenwart mit der eines anderen Charakters getauscht, nachdem ich ersteren in der Vergangenheit besiegt habe. Oder ob ich die Katze eines Mädchens rette, hat Einfluss auf einen Gerichtsprozess, der mir später gemacht wird. Aus heutiger Perspektive klingt das nicht wahnsinnig, aber Mitte der 90er war das revolutionär und hat für ein immersives Spielerlebnis gesorgt. «Chrono Trigger» hat zudem 13 mögliche Enden, die sich wiederum durch Kleinigkeiten aufgrund meiner Entscheidungen unterscheiden.
«Chrono Trigger» wäre nicht halb so gut ohne die toll geschriebenen Charaktere. Die intelligente, aber nerdige Erfinderin Lucca oder die kecke Prinzessin Marle wirken zu Beginn klischiert. In diversen Subplots, sei es in der Hauptstory oder in Side-Quests, erhalten sie aber erstaunlich viel Tiefe. Sie behalten zwar ihre Eigenheiten, aber ich lerne, wieso sie so sind. Beim Charakter Frosch erfahre ich etwa, wieso er ein Frosch ist – das war er nämlich nicht immer. Oder ich erhalte einen Blick hinter die Motivation meines einstigen Widersachers. So bleibt auch das vermeintlich Böse nicht einfach nur böse, sondern hat auch ihr Gutes.
Ja, Crono sieht aus wie Son-Goku aus «Dragon Ball» mit roten Haaren. Das ist aber überhaupt nicht schlimm: Vor allem bei uns im Westen, wo wohl viele über den legendären Manga oder Anime Zugang zum Medium erhalten haben, sorgt das für Vertrautheit. Bei den anderen Hauptcharakteren und den Gegnern ist die Handschrift von Mangaka Akira Toriyama ebenfalls deutlich erkennbar. Auch wenn ich heute nicht mehr der «Dragon Ball»-Fan bin, der ich mal war, liebe ich die Designs in «Chrono Trigger». Einfach, weil ich mich gleich «zu Hause» fühle. Im Re-Release für die erste Playstation hat Toriyamas Studio dann gar noch Anime-Zwischensequenzen geschaffen, die sich exzellent in das Spiel einfügen.
In JRPGs der Neunziger waren zufällige Kämpfe die Norm. «Chrono Trigger» geht einen anderen Weg: Statt die Gegner auf einem separaten Kampfbildschirm wegzufegen, siehst du sie bereits, während du durch die zahlreichen Dungeons läufst. Kommst du mit ihnen in Berührung, startet der Kampf. Das ist es aber nicht, was das Spiel besonders macht. Die Gegner ploppen nicht einfach so auf oder stehen irgendwo rum, sondern sind in irgendwelche Handlungen involviert. So spielen etwa Kobolde mit einem Roundillo Ball. Kilwala drehen sich freudig im Kreis. Richtig fiese Gegner verstecken sich und greifen aus dem Hinterhalt an. Für all diese Aktionen wurden die Sprites spezifisch animiert – für diese Zeit nicht nur ein enormer Aufwand, sondern auch wegen des limitierten Speicherplatzes eine Herausforderung. Viele Kämpfe haben zudem irgendwelche Gimmicks, etwa, dass ich mit einer Attacke einen Schalter umlegen kann.
Der Soundtrack von «Chrono Trigger» ist hervorragend. Die Musik ergänzt die epische Story und die unvergesslichen Kämpfe perfekt. Seit ich das Spiel angefangen habe und auch jetzt darüber hinaus, höre ich mir gewisse Stücke auch abseits des Zockens an – das «Battle Theme» bekomme ich derzeit nicht aus dem Kopf. Komponist Yasunori Mitsuda hat im wahrsten Sinne des Wortes seine Karriere und Gesundheit für das Spiel gefährdet: Er hat so lange komponiert, bis er bewusstlos wurde. Am Ende musste er wegen Magengeschwüren gar ins Spital, weshalb der legendäre «Final Fantasy»-Komponist Nobuo Uematsu noch einige Tracks fertig machen musste.
Apropos Magengeschwüre: Die solltest du durch das Spielen von «Chrono Trigger» nicht bekommen. Der Schwierigkeitsgrad ist nämlich mässig, was das Game auch für Nicht-Genre-Fans leicht zugänglich macht. Spielen kannst du es heute am einfachsten über Steam oder mobil auf Android oder iOS.
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.