

Zwischen Glaube und Popkultur: Was passiert bei einer Paranormal-Show?
Ich bin zu Gast bei Paranormal-Podcastern. Und spreche mit ihnen über Safe Spaces und Gruselgeschichten aus der Schweiz.
Der «Kent Club» mitten in Hamburg-Altona, einem eher alternativen Stadtteil. Hier finden regelmäßig Konzerte, Poetry Slams oder Parties statt. Im Gebäude nebenan spielt das Musical «Tarzan». Ich bin heute hier, um meinen Lieblings-Mystery-Podcast «Aktenzeichen Paranormal» live zu sehen. Der läuft seit drei Jahren auf Spotify und Co. Jetzt sind die Hosts Conny und Patrick auf Tour. Das Motto ihres Programms: «Glaubt, was Ihr wollt, aber fühlt Euch gut unterhalten.»
Die Location ist mit knapp 200 Gästen fast bis auf den letzten Platz ausverkauft. Wer ein Selfie mit Constantin Groß oder Patrick Jost möchte, muss sich in eine lange Schlange stellen. Ich beobachte vor mir zwei sichtlich aufgeregte Freundinnen. Die eine zeigt stolz ihr Fledermaus-Tattoo am Arm, die andere sorgt sich um ihre Haare – wegen des Fotos, versteht sich.

Quelle: Anika Schulz
Ich hole mir ein Bier und setze mich. Die Show beginnt.
Die Bühne gehört dem Publikum
Conny legt mit einer urbanen Legende über das noble Hamburger «Hotel Vier Jahreszeiten» los. Es geht um schaurige Schritte auf dem Flur und eine verschwundene Tote. Erstes Gruseln im Publikum. Dann wird eine Zuschauerin auf die Bühne geholt. Freiwillig natürlich. «Wir haben inzwischen über 1300 Einsendungen von Zuhörenden, die uns ihre paranormalen Erlebnisse schildern. Geistererscheinungen, Schatten an den Wänden, sich selbst öffnende Schubladen. Und wenn jemand von vor Ort dabei ist, verbinden wir das mit unserem Auftritt», erklärt Conny.
Wer an «Aktenzeichen Paranormal» schreibt, weiß, dass seine Erlebnisse ernst genommen werden. «Wir sind ein Safe Space. Uns geht es nicht darum, zu werten oder zu hinterfragen. Wir bieten den Leuten einfach eine Anlaufstelle für die Dinge, die sie nirgendwo anders loswerden können.»
So auch besagte Zuschauerin, die nun auf der Bühne des «Kent Clubs» spricht. Ihr Erlebnis dreht sich um das berühmt-berüchtigte «Cecil Hotel» in Los Angeles. Am 19. Februar 2013 wurde die Leiche der wochenlang vermissten Kanadierin Elisa Lam aus dem Wassertank des Hotels geborgen. «Ich hatte mir an dem Tag noch mit dem Wasser die Zähne geputzt. Als die Polizei dann die Leiche gefunden hat, habe ich sofort ausgecheckt», erinnert sich die Zuschauerin. Patrick guckt betroffen. Conny witzelt: «Auf Reisen immer nur Wasser aus Flaschen trinken.» Die Zuschauerin lacht, die Pointe sitzt.
Ich fühle mich wie ein Alien
Offiziell gilt der Fall Elisa Lam als Unfall, doch unter Mystery- und True-Crime-Fans kursieren andere Theorien. War es Mord? Oder doch ein Spuk? Als Mystery-Fangirl kenne ich die Story rund um das «Cecil Hotel» natürlich auch. Doch bei einem paranormal angehauchten Live-Event bin ich zum ersten Mal. Ich schaue mich neugierig im «Kent Club» um, wer da außer mir so hingeht. Ich sehe ein paar Studierende, viele Pärchen Mitte dreißig, einige ältere Personen, und jemand hat sieben Piercings im Gesicht. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Alien. Den «Aktenzeichen Paranormal»-Podcast zu Hause beim Putzen zu hören, ist das eine. Unter Menschen zu sein, die so selbstbewusst mit übernatürlichen Themen umgehen, ist was anderes.

Quelle: Anika Schulz
Bevor ich weiter nachdenken kann, geht das «heiße Mikrofon» rum. Die Aufforderung ans Publikum, selbst gruselige Erlebnisse zu erzählen. Ein Mann in Hoodie und Jeans fängt an und berichtet mit ruhiger Stimme, wie er auf der Autobahn den Geist seines verstorbenen Vaters gesehen hat. Anschließend erzählt eine Frau mittleren Alters, wie sie als Kind nachts eine leuchtende Gestalt in der Küche ihres Elternhauses getroffen hat. Jemand Drittes erzählt davon, dass sein zweijähriger Sohn im Spiegel seinen Onkel gesehen hat, obwohl dieser gar nicht im Raum war. «Den Spiegel habe ich danach weggeworfen.» (Hätte ich auch. HELP.)
Nach anderthalb Stunden ist das Live-Event vorbei und ich bin innerlich ziemlich durchgeschüttelt. Und ich habe Fragen. Viele Fragen.
Diese ganzen Gruselgeschichten, heftig. Ist Eure Show stellenweise gescriptet?
Conny: Nein, das ist alles echt. Wir bereiten für unsere Shows kaum etwas vor und improvisieren das meiste. Wer was erzählen will, darf das tun. Und wir sagen den Gästen auch immer: Wir sind ganz normale Leute, ihr könnt alles mit uns teilen. Dennoch gibt es immer ein paar Menschen, die sind so aufgeregt, die kriegen kein Wort raus.
Aber das ist ja krass. Dann stehe ich da vor 200 Leuten und erzähle davon, dass ich meinen toten Vater gesehen habe.
Patrick: Ja, dazu gehört schon Mut. Aber wir zwingen ja niemanden, seinen Namen zu sagen. Wir hatten bei einer Show auch mal einen Gast, der sein Erlebnis völlig anonym erzählen wollte. Und das war okay. Klar, stehst du da dann vor 200 Leuten, aber du weißt auch, da kommt nichts nach draußen und wir sind hier unter uns.
Conny: Ob ich das selbst könnte, weiß ich allerdings nicht. Also mich vor 200 Leuten hinstellen und mein paranormales Erlebnis schildern.
Gab es auch mal negative Reaktionen aus dem Publikum?
Conny: Nein, gar nicht. Und wir tun alles, um die Leute zu schützen. Wir haben beispielsweise auch schon Anfragen von Youtubern bekommen, ob sie Reaction-Videos auf unsere Podcasts machen dürfen. Wir haben das immer abgelehnt. Wir wollen nicht, dass unsere Zuhörenden womöglich lächerlich gemacht werden.
Patrick: Meine Horrorvorstellung ist ja, dass jemand aus dem Publikum ruft: «Was ist das für ein Quatsch hier?». Zum Glück ist das nie passiert.
Conny: Und am Ende können wir ja nicht überprüfen, ob das stimmt, was die Gäste uns erzählen. Das ist Entertainment. Die Leute kommen zu uns, weil sie sich gruseln wollen. Und weil sie sich freuen, dass endlich mal jemand über diese Themen spricht.

Quelle: Patrick Jost
Wenn ich mich so im «Kent Club» umsehe, scheinen Conny und Patrick wirklich einen Nerv zu treffen. Die Stimmung im Saal ist still, schon fast andächtig. Alles lauscht gebannt. Und nicht nur die Tour läuft gut, auch der Podcast. Jeden Monat erreicht «Aktenzeichen Paranormal» über 260 000 Menschen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein. Tendenz steigend.
Mystery ist längst kein Nischenthema mehr
Vielleicht liegt das daran, dass Mystery allgemein langsam aus seiner schrulligen Nische herauskommt und «gesellschaftsfähig» wird. So beschäftigt sich etwa das Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene – kurz IGPP – mit der «systematischen und interdisziplinären Erforschung von bisher unzureichend verstandenen Phänomenen und Anomalien an der Grenze unseres Wissens» und bietet Beratung für Betroffene an. Wer meint, einem Geist begegnet zu sein, kann sich ans IGPP wenden und erhält psychologische Unterstützung. Dass das kein kompletter Blödsinn ist, erkennst du allein schon daran, dass die rund 60 000 Exemplare umfassende Büchersammlung des Instituts zur Universitätsbibliothek Freiburg gehört.
Kürzlich fand ich sogar in der aktuellen Ausgabe des Magazins «Psychologie heute» einen sachlichen Beitrag darüber, welche Erklärungen die Psychologie für Paranormales hat. Da geht es beispielsweise um den «confirmation bias». Also das Phänomen, dass Menschen dazu neigen, Informationen so zu interpretieren, dass sie zu ihren Grundannahmen passen. Bedeutet: Wenn du ohnehin schon fest an Geister glaubst, siehst du sie auch eher.
Klingt trotzdem alles nach Hokuspokus für dich? Feel free. Mir gefallen besonders die Bücher, die Spiritualität und Wissenschaft verbinden.
Zurück zu Conny und Patrick von «Aktenzeichen Paranormal». Und welche Rolle sie in der Schweiz spielen.
Auch die Schweiz hat Gruseliges zu bieten
Ihr macht ja inzwischen noch ein weiteres Format, «Aktenzeichen Kids», in dem ihr Gruselgeschichten kindgerecht aufbereitet. Seid Ihr damit auch erfolgreich?
Conny: Das Kids-Format vermarkten wir nicht. Aber, und das ist total schön, eine Lehrerin aus der Schweiz nutzt den Podcast, um das Hörverständnis bei ihren Schülerinnen und Schülern zu fördern. Sie spielt ihnen im Unterricht eine Folge vor und die Kinder müssen hinterher Fragen dazu beantworten, wie «Was ist ein Bigfoot?». Die Kinder haben uns sogar Fan-Briefe geschrieben. Da geht mir das Herz auf.
Wie viele Fans habt Ihr in der Schweiz?
Patrick: Etwa 20 Prozent unserer Hörerinnen und Hörer kommen aus der Schweiz oder aus Österreich. Und wir bekommen auch einige Einsendungen mit paranormalen Erlebnissen aus der Schweiz, die wir dann im Podcast vorspielen.
Gibt es wiederkehrende Themen, die aus der Schweiz kommen?
Conny: Wir haben viele Einsendungen über gruselige Träume. Oder über den Mann mit Hut, der nachts im Zimmer steht. An sich unterscheiden sich die Geschichten länderübergreifend allerdings kaum.
Kennt Ihr eigentlich die Legende vom Belchentunnel?
Patrick: Nein, erzähl!
Es geht um zwei Freundinnen, die in den 1980ern eine ganz in Weiß gekleidete Anhalterin vor dem Belchentunnel im Auto mitgenommen haben. Dann sind sie mit ihr auf der Rückbank in den Tunnel gefahren. Und am Ende des Tunnels war die Frau verschwunden.
Conny: Die weiße Frau, der Klassiker…
Klassiker?
Conny: Ja, die spukt gerne an Autobahnen herum. Es gibt viele Orte, wo sie angeblich schon gesehen wurde. Überall auf der Welt. Manche sagen, sie bringe Unglück. Andere behaupten, sie würde vor einem Unglück warnen.
Patrick: Die Legende vom Belchentunnel können wir trotzdem mal in unseren Podcast aufnehmen, damit wir etwas internationaler werden. Wir haben ohnehin noch 130 unbearbeitete Themen auf der Liste.
Habt Ihr nie Angst, dass der Mystery-Hype mal zusammenbricht?
Conny: Das rattert ständig in meinem Kopf. Ich habe meinen Job im öffentlichen Dienst für den Podcast aufgegeben, weil beides nebeneinander nicht machbar war. Andererseits war unsere Tour fast ausverkauft. Also, durchatmen.
Durchatmen. Das muss ich jetzt auch erst mal. Ich stolpere aus dem «Kent Club» in die kalte Nacht und sauge die klare Luft ein. Hoffentlich begegnet mir jetzt kein dunkler Schatten auf dem Nachhauseweg. Schluck.
Als Kind wurde ich mit Mario Kart auf dem SNES sozialisiert, bevor es mich nach dem Abitur in den Journalismus verschlug. Als Teamleiterin bei Galaxus bin ich für News verantwortlich. Trekkie und Ingenieurin.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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