

«Wir wollen nicht bekannt werden – nur ein nachhaltiges Produkt anbieten»
Transparenz in der Herstellungskette von Textilien ist für die Gründer vom Label «Na'is» essenziell. Franziska und Damian Carnevale wissen alles über die Entstehung ihrer Produkte in Indien. Wie ihnen die Qualitätssicherung trotz der Distanz gelingt, erzählen sie im Gespräch.
Das Gründerpaar von «Na'is» und der dazugehörigen Firma «Beyond Textiles» hat sich in der Schweiz kennen und in Indien lieben gelernt. Seit zehn Jahren verbringen Franziska und Damian Carnevale fast jede Sekunde miteinander und nutzen ihre kreative Partnerschaft für gemeinsame Projekte. Textildesign, Innenausstattung, zwei Eigenmarken, ein Concept Store in der Schweiz sowie ein Büro in Indien. Da kommt einiges zusammen. Bei meinem Besuch im Atelier und Shop in Baden erfahre ich, wie sie das bewältigen und welche Tücken die Selbstständigkeit hat.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Franziska Carnevale: Wir haben vier Jahre für dasselbe Textilunternehmen in der Schweiz gearbeitet. Als Damian nach Indien zog, besuchte ich ihn auf einer meiner Geschäftsreisen. Drei Monate später wurden wir ein Paar.
Wann habt ihr Beyond Textiles gegründet und wie kam es dazu?
Damian Carnevale: Mir war schon früh klar, dass ich nicht nur Reisender in Indien sein möchte. Darum arbeitete ich einige Jahre für eine Firma, die Pionier in der Produktion von Biobaumwolle ist. Ich war für das Supply Chain Management zuständig und überprüfte, ob Lieferanten ökologische und soziale Voraussetzungen erfüllen. In diesem Bereich wollte ich mich irgendwann selbstständig machen. Mir fehlten nur noch einige Kunden. 2010 war es dann soweit. Ich gründete die Firma «Beyond Textiles» in Indien. Ein Jahr später meldete ich die GmbH in der Schweiz an. Franziska kam zwei Monate später dazu. In den ersten zehn Jahren von Beyond Textiles lebten wir in Indien. Als unsere Kinder schulpflichtig wurden, gingen wir zurück in die Schweiz.

Welche Services bietet Beyond Textiles an?
D: Wir starteten mit Bekleidung und entwickelten Textilien für Streetwear-Marken wie Zimtstern. Später kamen unter anderem Interio und Pfister für Heimtextilien dazu. Irgendwann wollten wir mehr als Konverter sein und eigene Kollektionen designen. So kam es zum mittlerweile sechs Jahre alten Label Lili Pepper und dem Neuzuwachs Na’is. Zwei Mal pro Jahr entwerfen wir anhand der Moodboards Kollektionen für externe Kunden. Die restliche Zeit widmen wir unseren eigenen Brands.
Wer übernimmt, was im Prozess?
F: Die Ideensuche übernehmen wir beide. Damian besucht dafür mindestens zweimal im Jahr unsere Stofflieferanten in Indien und recherchiert, welche neuen Gewebe es gibt. Er hat ein Gefühl für Proportionen und erkennt spannende Stoffstrukturen. Die Zeichnungen fertige ich von Hand an – ohne vorher ein Produkt im Kopf zu haben. Ich scanne zuerst das Rohmaterial ein oder fotografiere es ab. Dann beginne ich damit zu arbeiten und vergrössere oder repetiere die Illustrationen. Anschliessend entwickeln Damian und ich das Produkt. Bei Entwürfen wie einem Geschirrtuch konnte ich die Originalzeichnung eins zu eins auf das Format übertragen.

D: Die Leute sind oft überrascht, wenn sie erfahren, dass die Drucke ursprünglich von Hand gezeichnet wurden. Die meisten gehen davon aus, dass Franziska auf dem Computer illustriert. Das unterscheidet uns von anderen Marken und sorgt dafür, dass die Produkte nicht alle gleich aussehen.
Wie wird der Stoff bedruckt, wenn der Entwurf fertig ist?
D: Einige unserer Küchentücher entstehen zum Beispiel durch Block-Printing. Für dieses Holzdruckverfahren senden wir Franziskas Handzeichnung zu unserem Holzschnitzer Sri Ram nach Indien. Er schnitzt das Motiv und druckt es von Hand auf den Stoff.
F: Aquarellbilder entstehen hingegen mittels Digitaldruck. So lassen sich Wasserfarbverläufe besser darstellen und du erkennst den Unterschied auch haptisch. Bei diesem Verfahren ist der Stoff weicher, weil sich die Farbe mit dem Textil verbindet. Für Muster ohne Farbverläufe wenden wir den Siebdruck an. Bei dieser Methode bin ich eingeschränkt, weil nur bis zu acht Farben möglich sind.


Ihr produziert alles in Indien. Wie behaltet ihr aus der Ferne den Überblick?
D: Wir kennen alle Lieferanten persönlich und arbeiten mit zertifizierten Betrieben zusammen, die soziale und umweltbewusste Standards erfüllen. Sie kaufen das Bio-Baumwollgarn ein, weben und bedrucken es. Je nach Produkt und Herstellungsprozess sind sie GOTS- zertifiziert. Die Betriebe willigen auch ein, dass du die Fabrik jederzeit unangekündigt besuchen kannst. Unsere sechs Mitarbeiter, darunter unsere zwei Merchandiser Ranganath und Praveen und die drei Qualitätskontrolleure Gautam, Krishna und Venkatesh schauen immer nach dem Rechten. Wir hören uns täglich per Skype. Sie würden uns melden, falls es Unregelmässigkeiten gibt.
Seid ihr manchmal auch vor Ort?
D: Eigentlich bin ich dreimal pro Jahr in Indien. Wegen Corona ist das gerade nicht möglich. Auch für unsere Mitarbeiter ist es zurzeit nicht einfach, zur Arbeit zu gehen. Der Übertritt von einem Bundesstaat zum anderen ist schwierig. Oft werden einzelne Quartiere wegen der ansteigenden Corona-Fälle zugemacht. Einer unserer Mitarbeiter musste sich schon einmal als Hilfsarbeiter verkleiden, um mit einem Gemüsewagen über die Grenze zu kommen und ins Büro gehen zu können.
Habt ihr euch schon mal überlegt, in der Schweiz zu produzieren?
D: Als Selbstständiger war ich damals froh, tiefe Fixkosten in Indien zu haben. Für den Fall, dass etwas schief geht. Heute ist es die Schnelligkeit in den indischen Textilzentren, die unvergleichbar ist. In Indien gibt es so viele Möglichkeiten, ein Produkt zu entwickeln. Das ist hier anders. Wir hätten im ganzen Land nach einem Weber, Färber und Drucker suchen müssen. Darum wären wir nicht so schnell vorangekommen. Dennoch schliessen wir die Schweiz und die umliegenden Länder als Produktionsort nicht aus. Zurzeit überlegen wir uns, gewisse Produkte in Italien und Portugal anfertigen zu lassen.
Wie läuft die Zusammenarbeit als Paar?
F: Wir verbringen gern viel Zeit miteinander, auch wenn wir vielleicht nicht mehr so viel zusammen ausgehen. Es hilft, dass wir beide selbstständig sind. Dein Partner versteht, wenn du am Samstagabend noch einmal ins Atelier statt ins Restaurant gehst.
D: Es gibt natürlich auch Meinungsverschiedenheiten. Es kommt aber selten vor, dass der eine ins Kino möchte und der andere lieber arbeitet. Wir klären Konflikte schnell und vergessen sie dann auch wieder.

Wie geht ihr mit Fehlern um?
D: Wir haben eine gesunde Fehlerkultur. Sowohl was uns beide betrifft als auch mit unseren Mitarbeitenden oder Lieferanten. In Indien läuft es schon mal etwas anders als geplant. Statt auf dem Problem herumzuhacken, denken wir lieber an die Lösung. Es gibt wenige Lieferanten, die so detailverliebt arbeiten, wie wir es uns vorstellen und kleine Mengen wie unsere produzieren. Da können wir nicht andauernd unsere Partner wechseln.
F: Einmal waren zum Beispiel 2000 Produkte falsch ausgezeichnet. Wir gingen selbst ins Lager, um neue Etiketten anzubringen. Es war uns wichtiger, eine partnerschaftliche Beziehung zu pflegen, als dem Lieferanten die Kosten zu verrechnen und ihn in eine finanzielle Schieflage zu bringen.
Was sind weitere Hürden in der Selbstständigkeit?
D: Du musst aushalten können, dass Aufträge wegfallen und darfst dann nicht gleich in Panik geraten. Als wir zurück in die Schweiz kamen, haben wir einige Kunden verloren. Es war relevant für sie, dass sie uns vor Ort besuchen können. Wir hatten ein kleines Haus mit Showroom in Bangalore. Die Einkäufer liebten es, auf unserer sonnigen Veranda die Kollektionen zu begutachten. Die meisten haben den Wechsel jedoch akzeptiert und es kamen neue Kunden dazu. Darüber sind wir sehr dankbar. Seither wissen wir: Woanders geht wieder eine Tür auf.
F: Die wenige Zeit einzuteilen, ist für mich die grösse Hürde. Vom Design-Prozess über die Kommunikation mit Kunden, Lieferanten und dem Team bis hin zu administrativen Aufgaben – alles muss gemacht werden. Jeder Kunde, der kommt, möchte die Arbeit am liebsten gestern haben. Dann musst du auch irgendwann Platz haben, Neues zu entwickeln. Als Selbstständige habe ich glücklicherweise die Freiheit, am Abend etwas fertig zu machen.


D: Manchmal ist dabei allerdings die Abgrenzung schwierig. Solange die Arbeit Freude macht, arbeiten wir gerne mehr. Unser Antrieb ist sowohl das Team als auch unsere Produzenten in Indien. Wir wollen, dass es ihnen gut geht und, dass sie gerne für uns tätig sind. Wir brauchen sie und umgekehrt. Ohne sie gäbe es kein Beyond Textiles.
Könnt ihr euch vorstellen, jemals wieder Angestellte zu sein?
D: Es ist ein sehr kompetitives Umfeld. Du musst dazu bereit sein, ein wenig mehr als andere zu leisten. Im Gegenzug bekommst du viele Freiheiten. Wenn du damit Erfolg hast, ist das ein schönes Gefühl. Klar gibt es den Spruch: «Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite.» Dieser Gedanke schwingt ab und zu mit.
Was motiviert euch dennoch?
F: Dass wir seit zehn Jahren so frei und flexibel arbeiten können. Das macht uns etwas gelassener. Es freut uns auch, unsere Produkte zufällig bei jemandem zu sehen. Vor allem, wenn du weisst, wie viele Arbeitsschritte und Hände ein Produkt zurückgelegt hat. Wir machen ja auch viele Sachen für Externe, auf denen unser Name nicht drauf steht.

Stört es dich nicht, dass dein Name als Designerin bei externen Aufträgen anonym bleibt?
F: Modedesign war mir schon immer zu extrovertiert. Im Textildesign fühle ich mich wohler, weil du mitwirken kannst und dabei anonym bleibst. Wenn dein Stoff in einer Chanel-Kollektion vorkommt, wird niemand erfahren, dass du ihn entwickelt hast.
Ist das denn schon einmal vorgekommen?
F: Ja, vor einigen Jahren. Ich habe damals für eine italienische Firma Stoffe entworfen. Einer meiner Entwürfe ging plötzlich in Produktion. Als ich wissen wollte, wer ihn bestellt hat, hiess es, dass ihn Karl Lagerfeld ausgesucht hat. Damals gab es keine grosse Aufregung. Hätte ich nicht nachgefragt, hätte es mir auch niemand gesagt.
D: Mehr Lohn bekommst du in solchen Momenten nicht. Für solche Firmen sind das alltägliche Kunden. Als Einzelperson wirst du aber nur bekannt, indem du dein eigenes Designstudio gründest. Jetzt könnte Franziska mit ihrem Namen dahinter stehen. Bis heute ist es uns beiden nicht so wichtig, im Mittelpunkt zu stehen. Unser Anspruch ist es, ein qualitativ hochwertiges Produkt herzustellen, das unter fairen und nachhaltigen Bedingungen entsteht. Es spielt keine Rolle, wie bekannt wir damit werden.
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.