News & Trends

Wie gut können wir Lügen erkennen?

Wann immer wir jemanden reden hören, bilden wir uns bewusst oder unbewusst eine Meinung darüber, ob wir ihm glauben können. Dabei verlassen wir uns auf unsere Augen und Ohren. Zu Recht?

Der Lügenexperte ist das Alter Ego von Paul Ekman, 86, dem bekanntesten Lügen- und Emotionsforscher der Welt. Er hat nicht nur die Macher der Krimi-Serie «Lie to me» beraten, sondern auch zahlreiche US-Behörden wie FBI und CIA. Sein Kredo: Die Wahrheit steht uns ins Gesicht geschrieben.

Die Idee hat eine lange Tradition. Eine indische Schrift aus dem Jahr 900 v. Chr. beschreibt einen Giftmörder wie folgt: «Er antwortet nicht auf Fragen oder weicht aus, er spricht Unsinn, reibt die Zehen am Boden und zittert, sein Gesicht ist blass, er reibt die Haut mit den Fingern …»

«Ekmans Idee, Mikroexpressionen zum Aufdecken von Täuschung zu verwenden, wird von vielen Forschern nicht besonders ernst genommen», sagt die Rechtspsychologin Kristina Suchotzki von der Universität Mainz. Nicht nur wegen der fehlenden Empirie: Auch an der Theorie hapere es. «Wenn jemand bei einem Verhör Angst hat, heisst das nicht, dass er lügt. Man kann aus einer Emotion nicht auf eine Täuschung schliessen.»

Eltern schätzten ihre Kinder nicht besser ein als Fremde

«Die Effekte sind so klein und instabil, dass sie in der Praxis nicht dabei helfen, Lügen zu erkennen», sagt Kristina Suchotzki. Sprachliche Merkmale hätten sich als etwas aussagekräftiger erwiesen. «Aber auch diese Effekte sind nicht gross und die Befunde womöglich zu optimistisch.»

Wenig verwunderlich, denn Sprache lässt sich leichter aufzeichnen. Um Mimik und Gestik verlässlich zu erfassen, bedarf es geschulter Beobachter oder einer aufwändigen Verkabelung von Gesicht und Körper. Erst seit einigen Jahren experimentieren Forschende zunehmend mit computergestützten Methoden wie der automatischen Gesichtserkennung. Diese versprechen neue Erkenntnisse, weil sie grosse Datenmengen verarbeiten und komplexe Muster identifizieren können.

In der Körpersprache unterschieden sich die schuldigen nicht von den unschuldigen Angehörigen, wie der Vergleich von 75 000 Standbildern ergab. Aber auf den Gesichtern der Schuldigen tauchten mehr Anzeichen für versteckte Gefühle wie Freude und gespielte Trauer auf, berichten die beiden Autoren. «Unschuldige zeigten echte, das ganze Gesicht umfassende Trauer und Belastung.»

Eine souveräne Lüge kann glaubhafter wirken als eine gestotterte Wahrheit

Nicht zu wissen, was in anderen vorgeht, kann uns teuer zu stehen kommen. Ein gutes Gespür für die Wahrheit sollte sich in der Evolution also durchgesetzt haben. Und doch lassen wir uns leicht zum Narren halten. Vielleicht ist das die Kehrseite eines zivilisierten Miteinanders: Die harmlosen, kleinen Alltagslügen haben uns Gutgläubigkeit gelehrt.

Warum meinen dennoch viele Menschen, dass sie Lügen sehen können? Kehrt man die Frage um, liegt die Antwort auf der Hand: Was wäre, wenn sich Lüge und Wahrheit glichen wie ein Ei dem anderen? Wenn Schuldige davonkommen und Unschuldige an ihrer Stelle büssen? Der Gedanke sei schwer zu ertragen, schreibt Maria Hartwig. «Wir wollen daran glauben, dass Lügner sich selbst verraten.»

Tipp der Galaxus-Redaktion: Wie eine Welt aussieht, in der niemand lügt, hat Ricky Gervais in seiner Komödie «The Invention of Lying» gezeigt.

Spektrum der Wissenschaft

Wir sind Partner von Spektrum der Wissenschaft und möchten dir fundierte Informationen besser zugänglich machen. Folge Spektrum der Wissenschaft, falls dir die Artikel gefallen.

Originalartikel auf Spektrum.de

5 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Experten aus Wissenschaft und Forschung berichten über die aktuellen Erkenntnisse ihrer Fachgebiete – kompetent, authentisch und verständlich.


News & Trends

Vom neuen iPhone bis zur Auferstehung der Mode aus den 80er-Jahren. Die Redaktion ordnet ein.

Alle anzeigen