Hintergrund

Wenn dein Kind nicht nur das Spiel, sondern komplett die Fassung verliert

Martin Rupf
7.3.2022

Jede Familie kann ein Lied davon singen: Ein eigentlich harmonisch angedachter Spielnachmittag endet in Wutausbruch und schlechter Stimmung, weil der Sohnemann oder die Tochter verloren hat. Die Erziehungsberaterin Maya Risch verrät im Gespräch, weshalb verlieren gelernt sein will und wann es ok ist, seine Kinder extra gewinnen zu lassen.

Maya Risch, Sie selber haben zwei Söhne. Können diese beide gleich gut verlieren?
Maya Risch: Nein (lacht). Während es dem Jüngeren leichter fiel, tat sich der Ältere mit Verlieren schwer. Ich verwende bewusst die Vergangenheitsform, denn das war so, als sie noch Kinder waren. Inzwischen hat auch mein Älterer – vor allem dank Mannschaftssport – verlieren gelernt.

Wieso können die einen Kinder besser verlieren als andere?
Ich denke, es verhält sich beim Verlieren wie mit anderen Charaktereigenschaften. Sprich, jeder bringt andere Persönlichkeitseigenschaften mit. Ich erlebe das auch bei meiner Arbeit als Kindergartenlehrperson. Es gibt auf der einen Seite sehr kompetitive Kinder, auf der anderen Seite Kinder, denen gewinnen schlicht nicht so wichtig ist.

Was zur Frage führt, bis zu welchem Grad es sich um gesunden Ehrgeiz handelt und ab wann sich diese kompetitive Ausprägung negativ auswirkt?
Richtig, es gibt einen gesunden Ehrgeiz, der uns antreibt, erfolgreich zu sein und Ziele zu erreichen. Ungesund wird es dann, wenn das Gewinnenwollen zum Lebensinhalt wird. Wenn also das ganze Selbstwertgefühl davon abhängt, immer der Sieger sein zu müssen.

Also eher trösten?
Kommt darauf an, was sie darunter verstehen. Sätze wie «hey, das ist doch nur ein Spiel» machen die Sache eher noch schlimmer, weil sich das Kind nicht ernst genommen fühlt. Denn ist ein Kind erst mal wütend, erreichen wir es mit rationalen Argumenten nicht mehr. Es ist hilfreicher, dem Kind Worte zu geben, um seine Gefühle zu benennen.

Was wäre denn der richtige Ansatz?
Auch ich habe oft nicht optimal reagiert und würde heute das eine oder andere anders angehen. Das Hauptproblem ist die Erwartungshaltung – nämlich eine schöne Zeit mit der Familie zu haben. Wenn dieses Zusammensein dann wieder im Streit endet, ist die Enttäuschung gross. Wenn wir aber damit rechnen, dass Kinder auch Frustration zeigen könnten und dass das dazugehört, sind wir in einer besseren Ausgangslage.

Und wie können wir das unseren Kindern konkret vermitteln?
Da gibt es sicher viele Möglichkeiten. Ein Weg könnte sein, in einem ruhigen Moment das Gewinnen und das verlieren zu thematisieren und unsere Haltung dazu klar zu machen. Nämlich, dass beides zum Leben gehört und es nichts mit uns als Person zu tun. Zum Teil ist es schlicht einfach Glück oder Pech, wer verliert.

Ungesund wird es dann, wenn das Gewinnen wollen zum Lebensinhalt wird.
Maya Risch

Ich selber bin ein miserabler Verlierer. Wie wichtig sind Eltern als Vorbilder?
Es ist wie bei allem: Besonders kleine Kinder lernen durch Nachahmung, indem sie von ihren Eltern ganz viel abschauen. Dasselbe gilt fürs Spielen. Wenn wir verlieren und dabei trotzdem cool bleiben, kann das auf unsere Kinder nachhaltig Eindruck machen und sie erhalten ein Modell dafür, wie das gehen könnte.

Sie sind seit 20 Jahren als Kindergartenlehrerin tätig. Können Kinder heute besser oder schlechter verlieren als früher?
Diesbezüglich eine Aussage zu machen, ist schwierig. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich Kinder und Jugendliche heutzutage schwerertun mit Verlieren.

Weshalb?
Die Digitalisierung führt dazu, dass der Mensch bequemer wird. Er ist sich gewohnt, dass vieles auf Anhieb – quasi per Knopfdruck – funktioniert. Dadurch kann sich die Frusttoleranz verschlechtern. Auch halte ich es für möglich, dass viele auf Belohnungssystemen aufbauende Computerspiele den Ehrgeiz von Jugendlichen unverhältnismässig ankurbeln können. Aber das ist mehr eine persönliche Vermutung.

Du erkennst Dich oder deine Kinder in den oben genannten Situationen selber? Kein Problem: Es gibt sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene spannende und vor allem lehrreiche Bücher, wie man ein besserer Verlierer, eine bessere Verliererin wird. Vielleicht ist es höchste Zeit, dass auch ich mich eingehend mit dieser Materie auseinandersetze.

Maya Risch arbeitet als Familienberaterin, ist Familylab Seminarleiterin und Waldkindergartenlehrperson. Sie lebt mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann in Zürich-Oerlikon.

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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