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Ratgeber

Was wäre, wenn … das Glas plötzlich wirklich halb leer wäre?

Physikalische Fragen wie diese habe ich mir noch nie gestellt. Trotzdem liebe ich die wissenschaftlich fundierten und mit Comics verzierten Antworten von Randall Munroe. Schliesslich führen sie nur im Konjunktiv ins Verderben.

Physik spaltet. Ich denke dabei nicht an Atome, sondern an Schulklassen. Auf der einen Seite die Wenigen, die alles checken und begeistert die Welt und ihre Zusammenhänge entdecken. Auf der anderen die Vielen, denen schon beim Anblick von Formeln der kalte Angstschweiss ausbricht und die den Unterricht über sich ergehen lassen. In mein Leben trat die Physik in Form eines weissbekittelten Mannes mit Haarkranz, Lehrplan und sehr viel Kreide. Anfangs noch motiviert, war ich bald eher am Blick aus dem Fenster interessiert.

Jetzt, Jahrzehnte später, bereue ich das manchmal. Denn alles ist Physik. Und Physik kann alles sein. Sogar ausgesprochen lustig! Das beweist Randall Munroe mit seinen Büchern. Der Mann ist mir schon deshalb grundsympathisch, weil er eine Karriere bei der NASA gegen Strichmännchen und wissenschaftliche Antworten auf absurde Fragen eingetauscht hat. Ganz egal, wie dein Verhältnis zu Naturwissenschaften ist – sie sind absolut lesenswert.

What if? 2 - Was wäre wenn? (Deutsch, Randall Munroe, 2022)
Sachbücher
CHF17.90

What if? 2 - Was wäre wenn?

Deutsch, Randall Munroe, 2022

What if? Was wäre wenn? (Deutsch, Randall Munroe, 2020)
Fachbücher
CHF15.70

What if? Was wäre wenn?

Deutsch, Randall Munroe, 2020

HOW TO - Wie man's hinkriegt (Deutsch, Randall Munroe, 2019)
Sachbücher
CHF17.90

HOW TO - Wie man's hinkriegt

Deutsch, Randall Munroe, 2019

Munroe ist der Schöpfer des Webcomics xkcd und besitzt nicht nur das Talent, die Dinge mit wenigen Strichen auf den Punkt zu bringen. Er stürzt sich auch mit heiligem Ernst auf die absurden Fragen seines Publikums. Diese denkt er auf der Suche nach Antworten derart konsequent zu Ende, dass es mich selbst als Siebtklässler interessiert hätte. Denn die physikalischen Herleitungen sind ebenso treffend wie Munroes Humor. Im Konjunktiv ist schliesslich alles erlaubt – und das menschliche Gehirn hat ein grosses Areal für absurdes Wissen reserviert. Drei Beispiele dafür, warum der Disclaimer «do not try any of this at home» nur bedingt ernst zu nehmen ist. Was wäre, wenn …

… die Erde sich plötzlich nicht mehr drehen würde?

Wichtig ist hier der Zusatz, dass die Atmosphäre ihre Geschwindigkeit beibehält. Die kurze Antwort (so gut wie alle würden sterben), ist wenig überraschend. Eher Munroes Erkenntnis, dass es dann erst interessant wird. Leider nicht mehr für die 85 Prozent der Weltbevölkerung, die zwischen dem nördlichen und dem südlichen 42. Breitengrad leben und von einem gigantischen Sturm und dessen Folgen ausgelöscht würden, die er nach und nach aufzeigt. Zu Beginn des Desasters würden vielleicht noch ein paar Leute auf einer Forschungsstation am Südpol übrig bleiben – die dann nach Munroes Video-Erklärung auf Youtube suchen könnten. Spoiler: Es wird so schnell nicht besser.

Kurz zusammengefasst: Weitere Unannehmlichkeiten wären die je sechs Monate langen Tage und Nächte, die auf der Tagseite zu neuen Konvektionsstürmen und auf der Nachtseite zu klirrender Kälte führen. Bis der gute alte Mond zum Retter wird: Er kreist in diesem Modell immer noch um die Erde. Während er sich in der Realität Jahr für Jahr 3,8 Zentimeter von der Erde entfernt, käme er nun der stillstehenden Erde langsam wieder näher, bis sich diese wieder zu drehen beginnen würde. Ende gut, aber alles kaputt.

... ein Glas wirklich halb leer wäre?

Die eine sieht eher die Chancen, der andere immer die Risiken – und wir alle kennen die Glasfrage, mit der wir Pessimisten und Optimistinnen sprichwörtlich trennen. Sicher ist nur: In beiden steckt das Wort «Mist». Und Mist passiert schnell, wenn Munroe zum Stift greift, um die Luft im Glas durch ein Vakuum zu ersetzen. Hier geht zwar nicht direkt die Welt unter. Aber der Physiker versteckt sich lieber unter dem Tisch, solange sich die Optis und Pessis streiten.

Die meisten Menschen könnten sich vermutlich zumindest darauf einigen, welche Hälfte des Glases gefüllt und welche leer ist. Munroe treibt auch diese Frage auf die Spitze und zeigt, dass Scherben in der Regel kein Glück bringen. Zumindest nicht, wenn der Optimist zu nahe am Glas ist.

… alle Menschen einen Laserpointer auf den Mond richten würden?

Würde er die Farbe wechseln und grün oder rot leuchten (auf die Farbe müsste sich die Menschheit noch einigen)? Die schnelle Antwort ist Munroe natürlich nicht genug. Ein Teil des Lichts käme zwar an, aber selbst Milliarden von diesen Dingern könnten nichts gegen das Sonnenlicht ausrichten. Wie langweilig. Mehr Power muss her. Was wäre, wenn die Weltbevölkerung das gebündelte Licht von Suchscheinwerfern oder IMAX-Projektoren mit 30 000-Watt-Lampen nehmen würde? Immerhin: Das brächte erste kleine Erfolge. Und ist nur der Auftakt zum grossen, apokalyptischen Kino in Munroes Kopf.

Mit Milliarden militärischen Megawatt-Lasern liesse sich endlich die Helligkeit der Sonne erreichen. Mit den restlichen Ölreserven des Planeten und noch mehr Power könnten wir sie für zwei Minuten überstrahlen und den Mond zum Glühen bringen. Ein voller Erfolg, der nur die Vorstufe dafür ist, den Erdtrabanten endgültig in einen Plasmaklumpen zu verwandeln. Bewundernswert, wie viel Energie Munroe in seine Gedankenexperimente steckt.

Mit seinen Comics hat er über die Jahre übrigens so viele Fans gefunden, dass ein Asteroid nach ihm benannt wurde. Wie passend. Für mich sind seine Bücher eine tolle Mischung aus Nonsens und Wissen, das die Welt nur auf den ersten Blick nicht braucht. Auf den zweiten helfen sie dabei, Zusammenhänge zu verstehen und die Dinge mit anderen Augen zu sehen.

Es stellt sich heraus, dass der Versuch, eine dumme Frage gründlich zu beantworten, dich an ziemlich interessante Orte führen kann.
Randall Munroe

Wie schön, dass er Leute wie mich mitnimmt. Ich weiss jetzt nicht nur, wie viele Drucker ich bräuchte, um alle Wikipedia-Updates auszudrucken. Sondern auch, wie Wissen besser hängen bleibt.

Titelbild: Screenshot Youtube/@xkcd_whatif

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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