Produkttest

The Forever Purge: Der kreative Bankrott eines Franchises

«The Forever Purge» verspricht Gewalt und Satire. Nur, dass letzteres nicht passiert, da der Macher der Purge-Serie sein eigenes Konzept verloren hat und Konflikte nicht aufbauen kann.

Es sollte eine Nacht werden. Eine Nacht, in der jedes Verbrechen legal ist. Mord, Vergewaltigung, Raub. Alles. Doch das amerikanische Volk des Jahres 2030 hat davon die Schnauze voll. The Purge, so wird diese Nacht genannt, soll weitergehen. Für immer.

Das ist der Plot von «The Forever Purge», dem fünften Film in der Purge-Serie, der heute ins Kino kommt.

Der Film ist ein Reinfall. Das aus gleich mehreren Gründen. Ausser du bist ein Hardcore-Ultra-Fan der Serie und du bist dir zu 100 Prozent sicher, dass da einer in leuchtenden Maske vor deinem Haus lauert und dich umbringt, es sei denn, du gehst ins Kino… lass es.

Satire: Eine Frage der Charaktere

The Purge wird von James DeMonaco geschrieben. Nicht nur der fünfte Film, sondern auch alle vier davor. Bei einigen hat er sogar Regie geführt. Daher können die Filme als eine Art Kolumne verstanden werden. Alle paar Jahre gibt es eine neue Kolumne, in der James der Welt einen Zerrspiegel vorhalten will. Er will seine Satire zeigen, getarnt als Action/Horror-Filme.

In «The Forever Purge» will sich DeMonaco nicht der Präsidentschaft Donald Trumps annehmen, sondern den gesellschaftlichen Auswirkungen des «orangen Mannes». Er thematisiert Radikalisierung, Gewaltbereitschaft und Wut. Aber halt alles in einer Satire auf 11 hochgedreht.

Das Problem: Satire funktioniert nur dann, wenn jemandem vor den Kopf gestossen wird. Jedes Argument braucht zwei Seiten. In einer guten Filmsatire kann die zweite Seite gut und gerne auch das Publikum sein. In Paul Verhoevens «Starship Troopers» aus dem Jahre 1997 ist die zweite Seite des Arguments das Publikum. Der Film ist unverhohlen faschistisch, behandelt das als ganz normal und bricht nie mit der Narrative.

Irgendwann kommt dir als Zuschauer der Gedanke: Das ist alles irgendwie falsch. Spätestens in der Szene, in der Robert David Halls Rekrutierungsoffizier mit Stolz und ohne Ironie sagt: «Die Mobile Infanterie hat aus mir den Mann gemacht, der ich heute bin.» Ihm fehlen beide Beine und ein Arm.

Der Rassist

Die Lösung könnte die Einführung von Charakteren sein, die visuell wie von der Message her stark sind. Der Film braucht vor allem zwei Figuren, damit die Satire funktioniert.

Dass das Produktionsteam die Idee einer solchen Figur hatte, wird beim Blick auf das Filmposter klar.

Da ist die Figur, die ultra-amerikanisch überzeichnet daherkommt. Nur blöd, dass dieser Mann und sein Pferd im Film so selten vorkommen, dass sich nach dem Ende des Filmes niemand mehr an sie erinnern kann.

Die Linke

Diesem Alt-Right-Redner muss eine mindestens ebenso starke Figur gegenüberstehen.

Das Problem

Das Problem: Irgendwer im Publikum wäre dann unzufrieden. Wenn die kreischende Feministin im Film in die Schulter geschossen wird, dann kreischt Twitter mit. Ein ganz klar frauenfeindlicher Film. Wenn der Alt-Right-Mann auf der Flucht vor Bewaffneten die Treppe runterfällt und sich den Arm bricht, dann schreit Twitter, dass der Film ganz klar gegen die neue Rechte ist und der Film von «Woke Hollywood» geschrieben wurde.

Aber: die beiden Seiten des Arguments können sich zwischen Actionszenen Wortgefechte liefern, sich finden, sich nicht finden, übertreiben und sich vertragen. Im Publikum dann Erkenntnis, Kopfschütteln, Lacher. Satire.

Das wäre eigentlich ziemlich gut so. Nur, dass «The Forever Purge» sich ziert. Keiner darf sich vom Film in seiner politischen und/oder menschlichen Haltung angegriffen fühlen. Dem Film wird als kreativer Entscheid die Zähne gezogen.

Was uns «The Forever Purge» gibt

Ihm gegenüber ist Juan, der illegale Einwanderer in die USA auf der Suche nach Wohlstand und dem amerikanischen Traum. Vielleicht. Denn so viel erfahren wir gar nicht über ihn. Er ist in den USA und der Dylan ist immer so fies zu ihm. Und das, obwohl er der bessere Cowboy als Dylan ist. Hui.

Dass beide Cowboys sind, also auf einer Farm mit Pferden arbeiten, führt dann dazu, dass die beiden visuell ziemlich genau gleich aussehen. Von wegen Tattoos und blaue Haare. Cowboyhüte sind jetzt Mode.

Natürlich ist da auch eine Frau. Mehrere sogar. Aber sie sind nur Dekoration, damit der Plot weitergeht und damit die Männer irgendwas haben, worum sie sich sorgen können. Hätte man jetzt auch mehr draus machen können. Aber wenn die beiden Hauptfiguren schon sterbenslangweilig sind, dann dürfen die Nebenfiguren auch nicht zu interessant werden.

In die Ecke geschrieben

Jedem ist klar: Unsere Gruppe ist gut, auch wenn der eine so bisschen leicht rassistisch sein könnte. Die anderen sind böse und haben keinen eigenen Gedanken. Wo ist da der Konflikt? Wo ist da der Diskurs? Wo ist da die Satire? Sogar der Trailer des zweiten Teils mit «America the Beautiful» im Hintergrund ist satirischer als der ganze Forever Purge.

Da musst du dir die Frage stellen: War da niemand sauer auf Hollywood und James DeMarco? War da nirgends jemand, der sich darüber aufgeregt hat, dass sich da ein Filmemacher erdreistet, ein wunderbar patriotisches Lied für die Horrorvision aus Gewalt und Perversion zu missbrauchen? Genau da setzt Satire an. Sie tut weh, sie trifft ins Herz und am Ende lädt sie zum Denken ein.

Dazu kommt die Tatsache, dass sich James DeMarco mit «The Forever Purge» im Rahmen seiner eigenen Serie komplett ins Abseits bugsiert. Gehen wir davon aus, dass da Fans der Serie sind, selbst wenn da keine Charaktere sind, die in mehr als zwei Filmen vorkommen und so den Fortsetzungscharakter etwas abschwächen.

Da stellt sich die Frage: Wohin jetzt?

Nach der ironischen «Amerikaner reisen illegal nach Mexiko»-Chose und der Tatsache, dass jetzt immer Purge ist, ist da nicht mehr viel Potenzial für gehaltvolle Satire – gut oder schlecht – übrig. Nur sowas wie «$charakter muss nach $usCity, weil $grund. Gewalt folgt». Diskurs? Unmöglich. Ideen? Nein.

The Purge, das Franchise, ist kreativ bankrott.

Jetzt ist der Zerrspiegel zerschlagen. Durch die Dummheit eines Autors und die Zurückhaltung eines Studios.

Daher, wenn du wirklich ins Kino willst, dann schau dir doch lieber «The Suicide Squad» an. Da ist die Gewalt mindestens ebensogut, der Film schont niemanden und am Ende macht er auch noch Spass.

Apropos: Im Film nennen die Forever-Purger ihre andauernde Kampagne der Gewalt «The Purge Ever After». Hat da etwa ein cleverer Studioboss den Filmtitel gesetzt, ohne das Script gelesen zu haben?

22 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


Audio
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Filme und Serien
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Produkttest

Unsere Expertinnen und Experten testen Produkte und deren Anwendungen. Unabhängig und neutral.

Alle anzeigen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Produkttest

    Trotz kleiner Problemchen: «Fantastic Beasts 3» ist einfach magisch

    von Luca Fontana

  • Produkttest

    Der erste «Harry Potter»-Film wird 20! Ranken wir die Filme

    von Luca Fontana

  • Produkttest

    Artemis Fowl Review: Nein

    von Dominik Bärlocher