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Zürich stellt erste KI-Schauspielerin vor – Hollywood reagiert entsetzt
von Luca Fontana

Was kommt nach der KI-Schauspielerin Tilly Norwood? Das Studio Particle6 lässt nun am History Channel Geschichte durch Algorithmen neu generieren. Die Vergangenheit wird zur perfekt inszenierten, aber günstigen KI-Kulisse.
Vor ein paar Wochen war es noch eine KI-Schauspielerin, die die Filmwelt in Aufruhr versetzte. Tilly Norwood, die synthetische 24-Jährige aus dem Hause Particle6, wurde zum Symbol einer Branche, die plötzlich nicht mehr sicher ist, wo Kunst aufhört und wo Algorithmen beginnen.
Und jetzt? Jetzt geht es noch einen Schritt weiter: Dieselbe Firma bringt am niederländischen History Channel ein Format an den Start, das Geschichte buchstäblich neu generiert – mit KI, natürlich.
«Straten van Toen» («Streets of the Past») heisst die neue Kurzserie, über die der Hollywood Reporter zuerst berichtet hat. Und sie ist das bisher ambitionierteste Experiment von Particle6, das Geschichtsschreibung, Archivmaterial und KI zu einem einzigen, fast schon unheimlich nahtlosen Mix vereinen will.
Die Hauptrolle übernimmt der niederländische Autor, Historiker und Reality-Star Corjan Mol (bekannt aus «The Curse of Oak Island»). In jeder Folge besucht er eine berühmte Strasse oder ein ikonisches Plätzchen der Niederlande, nur eben im Jahr 1650. Oder 1880. Oder wann immer dort etwas Entscheidendes passiert ist. Klingt soweit nach klassischem History-TV.

Neu ist: Sämtliche Hintergründe und Szenerien werden samt Menschen und Effekten nicht etwa von teuren Firmen produziert, sondern deutlich günstiger von der Particle6-KI. Diese baut das Setting, basierend auf Gemälden, Stichen und alten Fotografien, komplett nach. Eben: Ein Algorithmus, gefüttert mit Archiven, der Vergangenheit «visuell rekonstruiert», wie es sonst nur teure VFX-Studios können.
Corjan Mol taucht dann in den von der KI generierten Szenen auf und wird zum geschichtlichen Zeitzeugen – oder zumindest Zeuge davon, was eine Maschine für Geschichte hält. Am Ende jeder Episode reflektiert er dann, welchen Einfluss das gezeigte Ereignis auf die heutigen Niederlande hatte. Der einzige klar menschliche Moment in einer Produktion, die sich ansonsten wie ein Feldtest für die Zukunft anfühlt.
Produzentin Eline van der Velden sagt gegenüber THR, dass Particle6 schon länger mit KI arbeite, sowohl in der Recherche als auch in der Postproduktion. Aber dies sei die erste Serie, bei der KI auch on screen eine tragende Rolle spiele. «Von Menschen überwacht natürlich», wie sie betont. Gleichzeitig nennt sie das Format eine mögliche Blaupause für das Geschichtsfernsehen der Zukunft.
Und genau hier schliesst sich der Kreis zu Tilly Norwood.
Particle6 steht plötzlich an einem Punkt, an dem ihre KI nicht nur Schauspieler, sondern auch Kostümbildnerinnen, Modellbauer, Set-Konstrukteurinnen, Kamerafrauen, Tonmänner, Lichtexpertinnen, Make-Up-Artistien und was sonst noch alles zu so einer Produktion gehört ersetzen kann. Dazu liefert Particle6 fertige Ergebnisse in deutlich weniger Zeit. Und mit weniger Aufwand.
Kein Wunder, sind sie günstiger.
Gerade deshalb wirkt «Straten van Toen» wie die Machtdemonstration, dass KI mehr wird als «nur» die Kulisse, Zeit und vermeintliche Realität zu imitieren. Sie ersetzt die Menschen gleich mit. Der letzte menschliche Anker in dieser KI-Maschinerie, Historiker Mol, der am Ende darüber reflektiert, könnte so zur tragischen Figur werden: der letzte Zeuge einer Vergangenheit, die nun vollständig der Regie des Algorithmus untersteht.
KI verändert nicht nur Abläufe, sie verschiebt Machtverhältnisse. Nicht weil sie «besser» wäre, sondern weil sie schneller, günstiger und unermüdlich ist – und damit wirtschaftlich verführerisch. Wenn Firmen merken, dass ein Algorithmus nicht nur Schauspielende, sondern ganze Fachbereiche ersetzen und dadurch Geld sparen kann, dann hat das Konsequenzen.
Dabei kann KI als Werkzeug enorm wertvoll sein. Etwa, wenn sie jene Arbeit übernimmt, die Menschen Zeit, Energie und Kreativität raubt. Gefährlich wird es erst, wenn sie beginnt, die Kreativität selbst zu übernehmen. Ohne Vision. Ohne Intuition. Ohne Bedeutung. Vor allem für Berufe, die lange als unersetzbar menschlich galten.
Norwood und Co. sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs: Auf TikTok und Instagram etwa produziert Bigfoot schon lange Abenteuer-Vlogs, während Katzen beim Rumballern mit Lenkraketen erwischt werden. Machen wir uns nichts vor: Das Zeitalter der KI-Produktion hat längst begonnen – und mit ihm die Ära einer perfekt inszenierten, aber womöglich seelenlosen Realität.
Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.
Vom neuen iPhone bis zur Auferstehung der Mode aus den 80er-Jahren. Die Redaktion ordnet ein.
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