
Meinung
Warum mir Kinderschuhe auf den Senkel gehen
von Michael Restin
Vom ständigen Schuhebinden habe ich die Schnauze voll. Weil meine G-Junioren in Endlosschleife mit offenen Schuhbändeln vor mir stehen, experimentiere ich mit Klettkabelbindern. Die ersten Ergebnisse sind nicht schön, aber vielversprechend.
Bevor ich zum Punkt komme, muss ich etwas ausholen. Wie bei der Schleife. Die führt auch über Umwege zum Ziel und die Sachlage ist komplizierter, als es zunächst scheint. Ich weiss, die Menschheit hat drängendere Probleme als offene Schuhe. Das Binden ist eine schöne Fingerübung für Kinder, die nach und nach lernen sollen, auf eigenen Füssen und nicht auf ihren Schnürsenkeln zu stehen. Beim Fussball gelingt das Sechsjährigen leider nur selten. Die Schleifen gehen reihenweise wieder auf. Ich weiss auch, dass die Schnürfrage nicht nur kleine Menschen beschäftigt. Selbst Erwachsene geben auf grosser Bühne zu, sich die Schuhe jahrelang falsch gebunden zu haben. Andere googeln fleissig nach «Schnürsenkel ohne binden». Ich weiss das alles, weil ich mich schon mal über all die versagenden Verschlusssysteme aufgeregt und daraufhin viel Feedback bekommen habe.
Ich weiss jetzt, dass ich den Granny-Knot vermeiden soll, bei dem der erste Knoten und die Schleife in die gleiche Richtung gebunden sind. Ich weiss, dass ich mit Ians Knoten schnell und mit dem Double Slip Knot theoretisch auf der sicheren Seite bin. Ich ahne, warum die Metal-Band Slipknot so wütend klingt – vermutlich hält in der Praxis nicht einmal dieser «Henkersknoten». Und ich weiss, dass die Wissenschaft das Problem ernst nimmt. Forschende haben ermittelt, warum sich ein Knoten beim Rennen überhaupt löst. Es hat mit Trägheit zu tun. Und damit ist nicht die Trägheit gemeint, die uns befällt, wenn wir uns mal wieder zum Binden bücken müssen.
Ich weiss, dass mir Community-Mitglied janbrunner mit seiner Technik weit voraus ist, die er von ungefähr zehnjährigen OL-Läufern gelernt hat und folgendermassen beschreibt: «Ich starte mit einem normalen Schuhknoten, schnüre eine Schlaufe durch die andere ab und ‘häkle’ dann abwechselnd mit beiden Enden durch die jeweils verbleibende Schlaufe.»
Bis hierhin kann ich folgen, aber es geht noch weiter: «Nach ein paar Zentimetern Häkellänge wird das Werk ohne Schlaufe beendet und optional die restlichen Schnürsenkel mit der Schnürung verstaut und fixiert. Leider finde ich keine Bildbeschreibung, aber die Methode übersteht auch Orientierungsläufe in dornigem Gelände problemlos und kann relativ rasch wieder geöffnet werden.» Ich weiss, dass das für seine Zwecke gut ist und für mich trotzdem nicht funktioniert. Denn ich weiss, dass mein Hirn auch beim tausendsten Versuch nur eines denkt, wenn ich vor einem Sechsjährigen knie und quasi spiegelverkehrt schnüre, während mindestens drei weitere Kinder auf mich einreden. Und zwar: «Hä????»
Ich weiss, dass du das zurecht belächeln kannst. Was ich immer noch nicht weiss: Wie ich einer Horde zappeliger Fussballkinder in brauchbarer Zeit und mit meinen dicken Daumen die Schuhe so zubinde, dass sie zu bleiben, selbst wenn sie sich gegenseitig auf die Füsse treten. Meistens entsteht aus meiner Schleife innert Minuten ein fingernagelbrecherischer Monsterknoten, der weitaus komplexer ist als jeder Matchplan von Pep Guardiola. Das wiederum erschwert mir die nächste Schnürung massiv. Kurz gesagt: Ich hab’s satt. Und setze jetzt auf Klettkabelbinder.
Bemero Klett-Kabelbinder 16015BK-MP 10 Stk.
Klettkabelbinder, 160 mm, 10 Stk.
Die lassen sich kürzen, durch die Zungenlasche ziehen und um die Schleife schliessen. Oder einfach direkt um den Knoten kletten. Ich weiss, dass das nicht die schönste Lösung ist. Aber sie erspart mir viel Knotarbeit. Diese Standardschleife – vermutlich sogar ein dilettantischer gebundener Granny-Knot – hat ein ganzes Training lang gehalten. Klett sei Dank.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.