
Mehr Muskeln durch die richtige Brille?

No pain, no gain? Schön und gut. Wenn’s nach mir geht, darf es gerne etwas weniger pain und etwas mehr gain sein. Eine Forschergruppe macht mir Hoffnung: Sie hat ihren Probanden beim Training VR-Brillen aufgesetzt – und verblüffende Effekte festgestellt.
Willkommen in der Zukunft. Immer noch werden in den Fitness-Tempeln die Muskeln gestählt, immer noch durchschneiden die Brunftschreie der extrovertierten Pumper die testosterongeschwängerte Luft. Aber zu den AirPods und Tank Tops ist noch ein weiteres unverzichtbares Accessoire hinzugekommen: VR-Brillen sitzen auf den rot angelaufenen Köpfen. Warum? Weil es Vorteile beim Training bringt.
Eine Forschergruppe um Maria Matsangidou von der University of Kent hat untersucht, welchen Einfluss auf das Körperbewusstsein das Training mit einer VR-Brille hat. 80 Teilnehmende waren dabei, im Schnitt 23 Jahre alt. Zu Beginn wurde das maximale Gewicht bestimmt, mit dem sie an der Wand stehend einen 180° Bizeps-Curl schafften. Mit 20 Prozent dieses persönlichen Maximalgewichts schritten sie dann an einem anderen Tag zur eigentlichen Tat.
Die Probanden ohne VR-Brille sahen:
Einen Stuhl an einem durch eine Yogamatte gepolsterten Tisch. Darauf sollten sie den Ellbogen vor sich abstützen und die Hantel mit dem entsprechenden Gewicht so lange es geht halten. Den Ellbogen schön im 90°-Winkel, den Unterarm im 45°-Winkel zur Tischplatte.
Die Probanden mit VR-Brille sahen:
Einen Stuhl an einem durch eine Yogamatte gepolsterten Tisch. Darauf ein Arm, der die Hantel im entsprechenden Winkel hält. Kurz: die gleiche langweilige Szene, nur virtuell statt real. Das Gewicht in der Hand und die damit verbundene Anstrengung war natürlich bei beiden Gruppen echt. Im gleichen Raum sassen alle Probanden auch.
Arm nicht echt. Tisch nicht echt. Schmerz nicht echt.
Nun hätte ich gedacht, dass das ja wohl nicht viel ausmachen kann. Schliesslich wurden die VR-Probanden nicht mit spektakulären Animationen abgelenkt und sahen auch keinen Schwarzenegger-Bizeps vor sich, der den Glauben an die eigene Stärke beflügeln könnte. Ob echte oder virtuelle Monotonie – was soll's? Aber unser Gehirn scheint sich zu sagen: Arm nicht echt. Tisch nicht echt. Schmerz nicht echt.
Die Cyborgs waren überlegen:
- Die VR-Probanden hielten die Übung im Schnitt fast zwei Minuten länger durch.
- Sie hatten dabei einen durchschnittlich drei Schläge langsameren Puls.
- Sie schätzten Schmerz und Anstrengung deutlich geringer ein.

Wow. Lässt sich unser Gehirn wirklich so leicht austricksen? Fühlen wir Blut, Schweiss und Tränen nicht mehr, sobald die Welt virtuell aussieht? Nicht mal, wenn zumindest Anstrengung und Schweiss real sind? Selbst bei (schmerz)empfindlicheren Personen unter den Probanden hiess es überspitzt gesagt: Brille auf, Schmerz aus.
VR the champions?
Vielleicht ist das effiziente Workout von morgen halb real, halb virtuell. Eindrücklich sind die Resultate des Versuchs auf jeden Fall, fast zwei Minuten mehr bis zur Erschöpfung der VR-Kandidaten eine ganze Menge. Und es ist nicht die einzige Studie, die dafür spricht, dass sich unser Schmerzempfinden recht leicht austricksen lässt. Auch wenn die virtuelle Fitnessstudiorealität noch Zukunftsmusik ist: Wir hätten alles für den Selbstversuch da. VR-Brillen gibt's bei digitec und Hanteln findest du bei uns weit mehr, als du tragen kannst. Fitness-Normalos wie ich starren vorerst noch nicht auf animierte Arme. Wir bestaunen uns beim Training weiterhin selbstverliebt im echten Spiegel. Ganz real. Höchstens ein wenig durch die rosarote Brille betrachtet.


Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.