Hintergrund

Krieg der Kinobranche: Zerstört Netflix das Kino, wie wir es kennen?

Luca Fontana
13.3.2019

Netflix und Co. gelten als die grosse Konkurrenz des Kinos. Ironischerweise ist ausgerechnet ein Film des Streamers kürzlich mit drei Oscars geehrt worden. Macht Netflix’ neugewonnene Liebe für den Film das traditionelle Kino kaputt?

Alfonso Cuaróns «Roma» ist in aller Munde. Der Film erzählt die turbulente Geschichte einer Haushälterin im politisch instabilen Mexiko der 1970er Jahre. Drei Oscars hat er dieses Jahr gewonnen, unter anderem in der Kategorie «Beste Regie». Zuvor wurde er an den internationalen Filmfestspielen in Venedig mit dem goldenen Löwen ausgezeichnet.

«Roma» ist aber nicht nur ein preisgekröntes Meisterwerk, sondern auch ein Netflix Original.

Das ist aussergewöhnlich. Es ist die erst zweite Filmproduktion nach Primes «Manchester by the Sea», die unter dem Label eines Streaminganbieters einen Oscar gewinnen konnte oder für eine goldene Statuette auch nur in Betracht gezogen worden ist. Kein Wunder: Netflix, Prime und Konsorten gelten eher als Konkurrenten des traditionellen Kinos, nicht als potenzielle Titelkandidaten für die prestigeträchtigste Auszeichnung Hollywoods.

Stellt sich die Frage, was Netflix damit bezweckt. Etwa einen Krieg der Kinobranche?

Netflix entdeckt den Film

Bekannt geworden ist Netflix vor allem durch ein Serienangebot, das Quantität und Qualität erstaunlich gut vereinbart. Obwohl Filme anfangs eher eine Nebenrolle gespielt haben, macht sich der Streaminganbieter mittlerweile auch mit selbst produzierten Spielfilmen und Dokus einen Namen.

Zum Vergleich: Anno 2018 sind das etwas mehr als doppelt so viele Filme und Dokus gewesen als die Filmstudios Warner Brothers und Disney zusammen ins Kino gebracht haben. Das alleine zeigt, wie sehr Netflix Angebot wächst. Vergangenes Jahr hat sich der Streamer seine «Originale» – Serien und Marketing inklusive – etwa 13 Milliarden Dollar kosten lassen. Dieses Jahr sollen gar 15 Milliarden Dollar abgefeiert werden.

Mehr Geld als je zuvor in Film- und Doku-Eigenproduktionen zu investieren ist aber nur ein Teil der Strategie, um neue Abonnenten zu gewinnen. Mindestens genauso wichtig ist Aufmerksamkeit. Und die gibt’s auf den roten Teppichen dieser Welt.

Der Streamer macht ernst.

Es war einmal in Cannes

Die Kinobetreiber toben.

Ted Sarandos, Inhaltsverantwortlicher von Netflix, stinkt das gewaltig. Denn wenn er einen seiner Filme doch mal für kurze Zeit in ein paar Kinos zeigt – um sich für die Oscars zu qualifizieren –, besteht Sarandos auf ein Day-and-Date-Release. Also auf ein gleichzeitiges Startdatum fürs Kino und für die eigene Internetplattform.

«Was Cannes da feiert, ist nicht die Filmkunst, sondern den Filmverleih», wettert Sarandos.

«Netflix hat so viele Filme, die könnten doch einfach für Cannes eine Ausnahme machen», antwortet Frémaux.

Netflix mit gewaltiger Starpower und eigenem Kino

Netflix jedenfalls macht Druck. Und Festivalleiter Frémaux wird in Zukunft kaum an seiner Haltung festhalten können. Ausser, er verzichtet in Cannes auf illustre Regisseure und Schauspieler; der Streaming-Gigant scheut keine finanziellen Mühen, um Hollywood-Glamour und Oscarpreisträger auf die eigene Internetplattform zu bringen.

Dann kam «Roma». Um überhaupt am Oscar-Rennen teilnehmen zu können, musste Netflix den Film im Kino zeigen. Was wie ein kleiner Schritt auf Kinobetreiber aussieht, sind eigentlich die Regeln der Academy, die Jahr für Jahr die Oscar-Gewinner kürt.

Wie schon bei «Roma» wird Netflix den Film wohl zwei- bis drei Wochen vorher in einigen wenigen Kinos zeigen. Vielleicht sogar in einer eigenen Kinokette, wenn den Gerüchten, dass der Streamer ernsthaft darüber nachdenkt, Kinoketten zu kaufen, Glauben geschenkt werden kann.

Unmöglich scheint dies nicht; einem Day-and-Date-Release stünde dann nichts mehr im Wege. Der Verkauf von Getränk und Popcorn würde zusätzliche Einnahmen generieren. Netflix könnte sogar Events veranstalten, wo visuell beeindruckende Sci-Fi-Serien wie «Star Trek: Discovery» oder «Lost in Space» gemeinschaftlich im Kino gebinge-watched werden. Menschen, die dafür zahlen würden, auch wenn sie die Serie zu Hause im Abo inkludiert hätten, gibt’s bestimmt.

Bedenklich daran ist nur, dass Netflix-Kinosäle ein weiterer Schritt in Richtung Monopolisierung der Film- und Serienlandschaft wäre, wo der Streamer nach eigenen Spielregeln spielen kann.

Leere Kinosäle wegen Netflix?

Sichert Netflix seine Zukunft auf Kosten des Kinos? Meine Antwort: ganz klar nein.

Natürlich ist Netflix bequem. Natürlich lohnt sich ein Netflix-Basic-Abo, das unbegrenzten Zugang auf das gesamte Film- und Serienportfolio für 11.90 Franken pro Monat sichert, wenn die Alternative ein einziges Kinoticket für etwa 20 Franken ist. Wären aber die Inhalte, die der Streaminganbieter produziert, nicht so gut, dann wäre das kalifornische Unternehmen auch nicht so erfolgreich – convenience hin oder her.

Ohne Netflix gäbe es also kein «The Irishman». Vielleicht auch nicht «Roma». «Ex Machina»-Macher Alex Garland hätte sein «Annihilation» nur in den USA zeigen können. Und Andy Serkis «Mowgli» war so kurz nach Disneys Real-Adaption von «The Jungle Book» zum Scheitern verdammt. Wenn Netflix-Programmchef Ted Sarandos also sagt, dass das Festival in Cannes eher den Filmverleih in Frankreich als den Film selbst unterstützt, dann hat er nicht ganz unrecht.

Die Zukunft des Kinos

Die Zukunft des Kinos steht vor Veränderungen. Vor allem die kleinen Betreiber jenseits von Multiplex-Kinos mit schicken Sälen, bequemen Sesseln und 4DX-Events fürchten um ihre Existenz. Schlussendlich liegt’s aber an uns Zuschauern, zu entscheiden, wo wir einen Film am liebsten schauen. Es spricht nichts dagegen, abends zu netflixen, am Wochenende ins Kino von nebenan zu gehen und im Sommer ein Festival oder Open-Air-Kino zu besuchen.

Auf den Punkt gebracht hat’s Venedigs Festspielleiter Alberto Barbera. Also derjenige, der schon 2015 mit «Beast of no Nation» einen Netflix-Film ins Programm aufgenommen hat und dafür kritisiert worden ist:

Es macht keinen Sinn, Filme aufgrund ihrer Herstellungsart zu diskriminieren. Ich suche Filme nach ihrem künstlerischen Wert aus. Egal, woher sie kommen, sie sind Bestandteil des heutigen Kinos.

Amen.

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.

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