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Sieht so die Zukunft des Wanderns aus?
von Siri Schubert
Ich hatte hohe Erwartungen an die Merrell «SpeedArc Matis» Schuhe. Sie wurden nicht erfüllt. Das lag zum Teil an mir – und an Merrells Marketing.
Es war ein Missverständnis. Ganz klar. Ich habe Hiking einfach zu wörtlich übersetzt – als Wandern. Und dachte dabei an gewundene Pfade, Wälder, Berge und nur wenig Asphalt. Bevor du jetzt die Augen rollst und denkst: «Wie traditionell!» – Warte kurz. Den Fehler kann ich erklären, denn es geht um einen neuen Schuh der Marke Merrell.
Der Brand versteht etwas von Outdoor-Schuhen. Ob Wander- oder Barfussschuhe, Merrell ist im Kern eine solide Abenteuermarke für Wege abseits von Stadtlärm und Beton.
Als Merrell auf der internationalen Sportmesse ISPO den «SpeedArc Surge Boa» vorstellte, war ich erstaunt. Der Space-Look passte schlecht zum sonst funktionalen Image des Brands. Mutig, dachte ich.
Nicht nur ich war beeindruckt. Die ISPO-Jury würdigte den Schuh mit einem Preis. Und das Time Magazine nannte den Schuh eine der besten Erfindungen des vergangenen Jahres.
Inzwischen konnte ich ein etwas günstigeres Modell, den «SpeedArc Matis», testen. Und schon sind wir beim Missverständnis. Wandern und Hiking sind – zumindest in der modernen Marketing-Lingo – nicht dasselbe. Vor allem, wenn es zum Urban Hiking wird, genauer gesagt, zum Flanieren in der Stadt. Aber der Reihe nach.
Happy, den Merrell «SpeedArc Matis» an den Füssen zu haben, geht’s raus in die Natur. Denn noch sind mir die sprachlichen Feinheiten nicht bewusst. Zum Ausprobieren des Wanderschuhs im Sneaker-Look zieht es mich nicht in die Berge, sondern auf einen einfachen, hübschen Wanderweg entlang eines Bächleins. «SpeedArc», da denke ich an Speedhiking, an schnelles Wandern auf moderaten Wegen.
Anders als der preisgekrönte Schuh hat der «SpeedArc Matis» keinen doppelten Boa-Verschluss, sondern ein Schnellschnürsystem – ist dafür aber auch deutlich günstiger. Die Vibram-Aussensohle ist etwas weniger strukturiert als die des auf der ISPO ausgezeichneten Schuhs.
Doch die wesentlichen Features sind gleich: Die markante Schaumstoff-Sohle, die teils an eine futuristische Raumfahrtmission und teils an ein cremiges Schicht-Dessert erinnert. Und die Zwischenplatte aus Nylon, die – ähnlich wie Carbonplatten bei Superschuhen – für eine bessere Energierückgabe sorgen soll.
Mit einer Dämpfung (Stack Hight) von 34 bis 26 Millimetern und einer Sprengung von acht Millimetern ist der Schuh üppig gepolstert. Das Gewicht von knapp 300 Gramm ist für einen Wanderschuh gut. Tatsächlich fühlt er sich am Fuss leicht an.
Der erste Eindruck ist gut und ich wollte den Schuh mögen. Doch der Praxistest hat mich auf den steinigen Boden der Tatsachen zurückgebracht.
Der Sitz des Schuhs ist für meinen Fuss nicht optimal. Vorne ist er zu eng und an der Ferse bietet er nicht genügend Halt. Klar ist die Passform individuell. Beim Modell «SpeedArc Surge Boa» kannst du die zwei Boa-Verschlüsse nutzen, um den Schuh anzupassen. Beim «SpeedArc Matis» geht das nicht.
Störender empfinde ich jedoch die üppige Polsterung und die Zwischenplatte. Ich habe so gut wie kein Bodengefühl. Auf einfachen Wegen ist das gerade noch akzeptabel, aber wenn es etwas technischer oder steiniger wird, steigt die Gefahr des Umknickens.
Auch die acht Millimeter Sprengung machen mir zu schaffen. Sobald es bergab geht, steigt der Druck auf den Vorfuss und das Grosszeh-Gelenk meldet sich. Ehrlich gesagt bin ich erstaunt. Merrell hat sich unter anderem durch Barfussschuhe einen Namen gemacht. Warum dieses Modell eine so hohe Sprengung aufweist, bleibt mir ein Rätsel.
Die Aussensohle kommt zwar aus dem Hause Vibram, hat aber durch das flächige Profil und niedrigere Stollen weniger Grip, als ich es von Trailrunning-Schuhen kenne. Auf feuchtem Boden kommt die Sohle schnell an ihre Grenzen und es wird rutschig.
Inzwischen hat sich auch Matsch in die Zwischenräume der Sohle geschlichen. Der wird mir später beim Schuheputzen noch Probleme bereiten. Die helle Farbe des Obermaterials verdunkelt sich zusehends. Nicht schön.
Wieder zu Hause angekommen, greife ich – ja, erst jetzt – zum Heftchen, das mit den Schuhen im Karton lag. Und mir wird Einiges klar. «Diese Schuhe sind für die Wege der Stadt in all ihren Formen gedacht», steht da. Zwar wimmelt es nur so von Begriffen wie «entdecken, erkunden, navigieren», die sonst fest im Outdoor-Sport verankert sind, aber damit hat das Ganze wenig zu tun.
Es geht schlicht und einfach ums Spazierengehen. Für den Katalog hat Merrell unter anderem Models, Schauspieler und Content Creators engagiert, die von ihrem Gang durch die Stadt in einer Weise berichten, die den Geschichtenerzähler Jules Verne wahrscheinlich vor Neid erblassen liessen.
Model Adrien Truong, der für das Magazin interviewt wurde, bringt es auf den Punkt: «Heutzutage ist es trendy, mit der Natur verbunden zu sein und die Schuhe von Merrell passen dazu.»
Funktionskleidung als Mode zu tragen, ist nichts Neues. Um das herauszufinden, reicht ein Blick auf die mit The-North-Face- und Arcteryx-Jacken überladenen Stuhllehnen einer beliebigen Bar in einer beliebigen Stadt. Und Sneakers für den Städtetrip? Weisst du selbst.
Zugegeben, ich bin mit den Schuhen ziemlich hart ins Gericht gegangen. Denn grundsätzlich bin ich voll einverstanden: Bewegung tut gut, egal ob in der Stadt oder in der Natur. Und eine Stadt zu Fuss zu erkunden, ist oft Vergnügen und Abenteuer zugleich.
Selbst der 20-minütige Arbeitsweg zu Fuss kann spannende Einblicke in den Rhythmus einer Stadt bieten. Als ehemalige Einwohnerin von San Francisco kann ich bestätigen: Was sportliche Herausforderungen und Höhenmeter angeht, kann ein Stadtspaziergang durchaus mit einem Ausflug in die Natur mithalten.
Meine Enttäuschung kommt vor allem von den hohen Erwartungen, die ich an den Schuh hatte. Denn bei der Präsentation und in der Pressemitteilung hiess es, der Schuh werde die Welt der Wanderschuhe revolutionieren. Das sehe ich nach dem Test anders. Es ist ein auffälliger Sneaker für die Stadt, aber sicher kein Schuh, der die Zukunft des Wanderns einläutet.
Den «SpeedArc Matis» haben wir derzeit nicht im Sortiment. Den individuell anpassbaren «SpeedArc Surge» aus der gleichen Serie findest du hier:
Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.