Hintergrund

Hotel Sinestra: Ein Tag am Dreh des neuen Familienfilms

Luca Fontana
9.3.2022
Bilder: Thomas Kunz

Eine Legende besagt: im «Hotel Sinestra» spukt es. Genau dort, wo gerade der gleichnamige schweiz-holländische Familienfilm gedreht wird. Zu Besuch am Set im nahegelegenen Sent erfahre ich, wie der Poltergeist heisst, wie gross der Wert einer Kamera ist, und wieso es manchmal besser ist, zu schlurfen.

«Wir proben!», ruft jemand.

Der alte Platz vor mir ist voller Schnee. Der wurde diesen Morgen von Bauern aus der Region Sent herangekarrt. «Schnee-Recycling», scherzen sie. Die Filmcrew, etwa zwanzig Leute, vielleicht auch mehr, verteilt ihn. Schliesslich soll in der zu drehenden Szene ein böser Schneesturm toben. Doof nur, ist der Himmel über Sent strahlend blau.

Ich richte meine Sonnenbrille. Fünf Kinder beobachte ich, eingepackt in dicke Jacken. Sie spielen die Hauptrollen im Film. Eine Frau, wohl der Schauspiel-Coach, redet auf sie ein.

«Ihr seid gerade hergerannt. Wie verrückt. Der Sturm ist übel, und ihr seid ausser Puste. Atmet schwer», demonstrativ atmet die Frau tief ein und wieder aus, immer wieder, «genau so, seht ihr? Und jetzt: Rettet euch in die Kirche!»

Eine Kirche mit hohem Glockenturm spendet wertvollen Schatten. Selbst bei Minustemperaturen spüre ich die Wärme der Sonne. Den Sturm müssen sich die jungen Schauspieler darum vorstellen. Ein Assistent verteilt noch etwas Schnee auf die bunten Jacken. Jemand ruft «Action». Die Kinder rennen in die Kirche. «That’s a cut», ruft ein anderer. Die Probe ist vorüber. Alle stellen sich wieder auf die Anfangsposition.

Die Szene, die im Film etwa zwei Sekunden dauert, ist nach dem vierten Versuch im Kasten.

Drehpause. Die Kinder werden ins angrenzende Gemeindehaus verlegt, wo warme Schokolade, Kuchen und Muffins auf sie warten – und Kaffee auf die Erwachsenen.

Vom Poltergeist namens Hermann

«Hotel Sinestra».

Schuld daran ist einer der Filmproduzenten, der schon als Kind Sportferien im Hotel Val Sinestra machte – das Val fällt im Film weg – und allerlei Spuk erlebt haben will. So kam er auf folgende Idee:

Ava (Bobbie Mulder) macht im Hotel Sinestra Winterurlaub und wünscht sich ihre nervigen Eltern weg. Tatsächlich: Am nächsten Tag sind alle Erwachsenen verschwunden. Endlich können die Kinder tun und lassen, was sie wollen. Bis sie merken, dass ihre unbeschwerte Kindheit mit Eltern eben doch schöner wäre. Ihre Versuche, den Zauber umzukehren, führen sie letztendlich nach Sent in eine Kirche.

Dorthin, wo heute gedreht wird.

Im perfekten Chaos, da ist eine verbotene Kirche

Profis sind am Werk.

Während draussen noch reges Treiben herrscht, geht der Dreh in der Kirche weiter. Ausser den fünf Kindern und ein paar auserlesenen Crew-Mitgliedern darf da niemand rein. Verboten. Eigentlich. Was gedreht wird, sei nämlich geheim. Fotograf Thomas verschwindet trotzdem. Auf einmal bin ich allein. 30 Minuten später sehe ich ihn wieder, die alte Kirche verlassend.

«Da stecktest du also», rufe ich ihm zu. Verlegen zuckt er mit den Schultern. Mit seinen Bildern könnte er jetzt das Studio erpressen, flachse ich. Thomas lächelt nur. «Ich habe aber gefragt», sagt er dann, ohne irgendetwas zu verraten, grinst – und knipst weiter.

Der Wert einer einzigen Kamera

Warten ist angesagt. «Schon wieder», denke ich leicht angesäuert. Zum letzten Mal heute, wird gemunkelt. Danach soll das Set vor der Kirche endlich bereit sein, um die letzte Szene des Tages zu drehen.

Im Hintergrund poltert etwas. Lieber dreht sich erschrocken um. Auch mein Herz bleibt kurz stehen. Hermann? Ein paar Männer winken ab. «Alles gut». Sie nehmen gerade die letzten Handgriffe an einem Mini-Wagon vor. Der ist schwer. Drei Männer haben ihn gerade so auf ein drei Meter kurzes Gleis gehievt – vermutlich der Ursprung des Polterns. Darauf wird anschliessend die Kamera montiert. Die einzige Kamera, die der Crew zur Verfügung steht.

«Die sollte uns besser nicht kaputtgehen», sagt Lieber.

Und dann schlurften sie langsam zurück

Es ist so weit. Die Sturm-Szene beginnt.

«Action!», ruft ten Horn.

Die Kinder schlagen sich tapfer. Beschweren sich nicht mal. Im Gegenteil. Zwischen den Takes finden die vom ständigen Hochrennen nur scheinbar erschöpften Kinder immer wieder die Kraft, Unfug zu treiben – genauso, wie es ihre Rollen im Film vorsehen. «Method Acting», höre ich jemanden scherzen.

Der Nachmittag ist noch jung. Trotzdem neigt sich der Dreh bereits dem Ende zu. Das dient auch dem Wohl der Kinder: Mehr als drei Stunden täglich dürfen sie nicht arbeiten, so das Gesetz. Das heisst aber nicht, dass sie bereits ausspannen dürfen. Zu einer Filmproduktion mit Kindern gehört nämlich auch privater Schulunterricht, finde ich heraus. Jeden Tag. Bildung muss sein.

Das gilt auch für die kleine Gruppe von Kinderstatisten, die beim Dreh dabei waren. Anders als die fünf jungen Hauptdarsteller:innen stammen sie aus Sent und haben für den Nachmittag extra schulfrei bekommen, auch wenn sie schlussendlich an diesem Tag doch nicht gebraucht wurden. Traurig sind sie deswegen nicht.

«Super! Jetzt dürfen wir sogar früher nach Hause gehen», ruft ein Mädchen aufgeregt. «Nicht doch», antwortet eine Kinderbetreuerin wohlwollend, «wenn wir hier früher fertig sind, geht’s für euch zurück zur Schule.» Die Kinder gucken etwas betrübt. Nur das Mädchen grinst. «Dann schlurfen wir eben extra langsam zurück.» Sie sagt es so, dass es die Betreuerin nicht hört.

Die Kinder kichern. Es herrscht wieder gute Stimmung am Set.


Bis Ende März wird die Familienkomödie unter der Regie von Michiel ten Horn in Sent und Umgebung gedreht. «Hotel Sinestra» wird voraussichtlich Weihnachten 2022 im Verleih von DCM in den Schweizer Kinos starten.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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