
Hintergrund
«Little Nightmares 3» sieht schaurig schön aus
von Kevin Hofer
Henry ist ein halber Kopf, der sich in beliebige Gegenstände verwandeln kann. Das ungewöhnliche Spielprinzip lädt zum Experimentieren ein, was nicht nur meinem Fünfjährigen gefällt.
Mit dem Namen und dem Design hat das Zürcher Studio Lululu Entertainment ins Schwarze getroffen. «Henry Halfhead» ist ein halber Kopf mit grossen Kulleraugen, der auf Knopfdruck in Gegenstände schlüpfen kann. Wenn du schon immer mal ein Toaster, ein Papierflieger oder ein Schaukelpferd sein wolltest, dann bist du hier richtig. Ich habe das Spiel zuerst alleine und danach zusammen mit meinem Sohn ausprobiert.
Es beginnt mit Henry als Baby in einem Spielzimmer. Eine sympathische englische Erzählstimme, der es fast gelingt, ihre Schweizer Herkunft zu verbergen, erklärt die Handlung und was es zu tun gibt. Sie gehört Leander Schneeberger, Lululu-Mitgründer, und war ursprünglich als Platzhalter gedacht. Weil die Rückmeldungen aber sehr positiv waren, hat man sie beibehalten, erklärt mir Aaron Abt, ebenfalls Gründungsmitglied, auf Nachfrage. Definitiv die richtige Entscheidung.
Das Spiel setzt auf das Sandbox-Prinzip. Ich kann so lange und so viel herumexperimentieren, wie ich möchte. Um weiterzukommen, muss ich bestimmte Aufgaben erledigen. Die sind nie schwierig und beginnen damit, dass ich mich in einen Schlägel verwandle und damit auf einem Xylophon herumschlage. Danach springe ich als viereckiges, dreieckiges oder rundes Klötzchen durch die richtige Form in einem dafür vorgesehenen Tischchen. Oder ich staple Bauklötze, bis ich die verlangte Grösse erreicht habe. So weit, so unspektakulär.
Im nächsten Abschnitt ist Henry bereits etwas älter und muss die Schulbank drücken. Ich drücke ebenfalls – und zwar den Controller in die Hände meines Fünfjährigen. «Henry Halfhead» lässt sich auch zu zweit spielen. Dann sind wir zwei halbe Henrys, die Aufgaben lösen können. Das geht theoretisch speditiver, aber mein Sohnemann lässt sich genauso leicht ablenken wie Henry im Spiel. Der soll nämlich Matheaufgaben lösen und nicht Papierflieger basteln. Hier finde ich langsam Gefallen am Spiel.
Der Spass resultiert nicht daraus, zielstrebig die Aufgaben zu lösen. Wesentlich lustiger ist es, in den Leveln herumzualbern und herauszufinden, womit ich alles interagieren kann. Das begreift mein Sohn instinktiv. Er verwandelt sich umgehend in einen roten Stift und kritzelt alles voll, was ihm in die Quere kommt. Ich spritze derweil als Farbtube, begleitet von Furzgeräuschen, Farbe durch die Gegend, die auch noch aussieht wie bunte Kot-Häufchen. Beides sorgt für lautes Gelächter bei meinem Mitspieler.
Nach einer halben Stunde will er den Rest seiner Spielzeit aber lieber in «Donkey Kong Bananza» investieren. Schade, zu zweit macht das Spiel eindeutig mehr Spass. Aber siehe da: Am nächsten Tag will er doch wieder «Henry» spielen. Der hat die Schule mittlerweile hinter sich gelassen und arbeitet nun in einer Postsortierstelle. Briefe gehören in das rechte Loch und Pakete in das linke. Spätestens hier wird mir klar, dass sich eine leichte Gesellschaftskritik hinter «Henry Halfhead» verbirgt. Der triste Arbeitstag wiederholt sich nämlich immer wieder. Sortieren, Busfahren, duschen, Toast essen und ab ins Bett. Henrys Freizeit nimmt dabei stetig ab und eines Tages verpasst er auch noch den letzten Bus nach Hause.
Also macht er sich zu Fuss auf den Nachhauseweg. Unterwegs kommt er an einem Spielplatz vorbei und entdeckt seine Lebensfreude wieder. Auch mein Sohn hat etwas entdeckt, und zwar die Schaukel. Als er merkt, dass er damit Loopings machen kann, erholt er sich vor Freude fast nicht mehr. Von diesem Kunststück träumt wohl jedes Kind. Hoffentlich versucht er das nicht in Echt im Kindergarten. Ich habe es mir derweil auf einem Schaukeleinhorn gemütlich gemacht und muss für einmal keine Angst haben, das Teil aus den Angeln zu reissen.
Mehr haben wir vom Game bisher nicht gesehen. Wir werden aber definitiv weiterspielen. «Henry Halfhead» ist kein komplexes Spiel, aber ein liebevolles. Ich bin gespannt, wo die Geschichte hinführt und in welche lustigen Gegenstände ich mich noch verwandeln kann. Von den über 250 im Spiel habe ich längst nicht alle gesehen. Und auch von den Kopfbedeckungen wie Propellerhütchen brauche ich mehr.
Das Design sticht trotz Minimalismus ins Auge, nicht nur wegen der grossen Augen, die auf den kontrollierten Gegenständen erscheinen. Die unifarbenen, wandlosen Level wirken einfach herrlich surreal. Dazu kommt Lucien Guy Montandons grossartiger, verspielter Soundtrack. Er besteht aus fröhlichen, poppigen Beats. Sobald es ihn zum Streamen oder zu kaufen gibt, hole ich mir den.
«Henry Halfhead» solltest du dir holen, wenn du ein kurzweiliges, spassiges Spiel für zwischendurch suchst. Experimentierst du gerne und findest vielleicht noch einen jüngeren Mitspieler oder eine jüngere Mitspielerin, dann wirst du sicherlich nicht enttäuscht werden.
«Henry Halfhead» ist verfügbar für PC, PS5 und Switch. Ich habe die PC-Version gespielt, die mir Lululu Entertainment zur Verfügung gestellt hat.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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