Meinung

Fussball und ich – wie diese Liebe erkaltet ist

Martin Jungfer
16.11.2022

Bei der Fussball-WM in Katar rollt jetzt wieder der Ball. Und der Rubel – oder besser Riyal. Im Wüstenstaat geht es um Ruhm und Ehre. Und um viel Geld. Mich lässt das Ganze kalt.

Heute geben Kinder, respektive deren Eltern hunderte Franken und Euro für Sticker aus, bis ein Panini-Album voll ist. Die Kids laufen mit der gleichen Frisur herum wie Cristiano Ronaldo, sie bejubeln ein Tor auf dem Bolzplatz gleich wie Kilian Mbappe. Ihre Liebe gehört PSG, Real Madrid oder Manchester City.

Das wäre mir damals nie in den Sinn gekommen. Früher … da war Fussball noch echt. Als wir in der Redaktion kürzlich über die Fussball-WM diskutierten, habe ich in der folgenden Nacht von Fussball geträumt. Von dem Fussball, der viele Jahre lang mein Leben geprägt hat. Es war ernüchternd, denn er und ich, wir haben uns auseinander gelebt. Liegt es an mir? Oder am Fussball? Ein persönlicher Erklärungsversuch in 5 Teilen.

1. Der Bolzplatz sozialisiert mich

Durch Trainingsfleiss konnte ich im Lauf der Jahre teilweise das fehlende Talent kompensieren. Mit 15 durfte ich im Team der nächsthöheren Altersklasse aushelfen. Deren Kapitän pushte mich zur vielleicht besten Leistung meiner Fussballlaufbahn. Wir schlugen bei Regen und tiefem Boden irgendeinen haushohen Favoriten.

2. Als Schiedsrichter erlebe ich die Seele des Spiels

Mit 18 Jahren wechselte ich in den Herren-Bereich. Der Trainer war ein im gesamten Fussballkreis gefürchteter Schleifer. Er hetzte uns Hügel hinauf, liess uns endlos Platzrunden laufen und die Kameraden huckepack herumtragen. Ich war nie in meinem Leben so fit. In ein paar Vorbereitungsspielen wurde ich für die Erste Mannschaft nominiert. Am Ende reichte es nicht – Versetzung in die zweite Garde, bei der eher das Bier nach dem Schlusspfiff wichtig war.

Ich war an der Basis des Fussballs. Dort, wo die Faszination entsteht. Wo der Maurer mit dem Anwalt aus dem Dorf am Sonntag in der Amateurliga gegen den Nachbarort alles gibt. Wo Zuschauer das Geschehen auf dem Platz lautstark kommentieren. Wo nach dem Schlusspfiff im Sportlerheim die Gegner auf dem Platz wieder zusammensitzen und das Spiel bei Bier und Bratwurst verarbeiten.

3. Ich wechsle vom Spielfeld auf die Zuschauerplätze

2008 hing ich die Pfeife an den Nagel. Zwei Dutzend Schiedsrichter-Trikots gingen in die Altkleider-Sammlung. Beruf und Familie waren die neuen Prioritäten. Dem Fussball blieb ich als Zuschauer und Beobachter treu. Eine Zeitlang noch.

Die Zuschauer waren für die Fussball-Bosse offensichtlich zur Masse geworden, die zur Optimierung der TV-Gelder nach Belieben als Kulisse dienen.

4. Viel zu viel Geld regiert die Fussballwelt

5. Was ist eigentlich noch echt?

Ich will und kann das nicht mehr unterstützen. Klopft sich ein Spieler nach dem Torerfolg auf die Brust, oder erdreistet sich gar das Wappen seines aktuellen Vereins zu küssen – ich gebe auf diese Gesten nichts mehr. Die meisten dieser Herren haben doch nur ihr eigenes Aus- und Fortkommen im Blick.

Ich mache da nicht mehr mit. Der Fussball, den Fifa und Uefa, Scheichs und Oligarchen, Spieler und Agenten kaputt gemacht haben, ist nicht mehr der Fussball, den ich als Kind und Jugendlicher geliebt habe. Er ist ein Produkt. Und das ist eigentlich das Schlimmste, was man über ihn sagen kann.

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Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


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