
«Freeride ist meine Antithese zum Immer-Erreichbar-Sein.»

Freeriden ist voll im Trend! Doch was steckt dahinter? Was weckt den Drang, sich abseits der gesicherten Pisten zu bewegen? Welche Gefahren bringt dieser Sport mit sich? Wir haben Profi-Snowboarder, Extremsportler und Freeride-Legende Ueli Kestenholz gefragt.
Was bedeutet «Freeriden» überhaupt?
Ueli: Freeriden meint eigentlich nichts Anderes als das Fahren oder Touren in freiem Gelände, sei es mit dem Snowboard, einem Splitboard, mit Schneeschuhen oder Skis. Es ist damit aber nicht zwangsläufig immer das Fahren im Pulverschnee gemeint. «Free» heisst vor allem auch, dass man das Gelände selbst lesen und mit ihm spielen lernen muss. Für mich ist das Freeriden gewissermassen auch die Seele des Snowboarden, also das, was das Snowboarden eigentlich ausmacht und von wo es kommt.
Was fasziniert dich so am Freeriden?
Freeriden ist für mich jedes Mal aufs Neue ein einzigartiges Naturerlebnis, das meinen Horizont erweitert und mich an Orte bringt, die ich sonst nie zu sehen bekäme. Es ist gewissermassen meine Antithese zum Immer-Erreichbar-Sein – vollkommen frei, abseits der Masse, gegen den Strom.
Wie alt ist das Freeriden?
Freeriden hat in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen, ist in dem Sinne aber nicht wirklich neu. Schon mein Vater ist zu seiner Zeit mit Tourenski gefahren – nur hat man dem damals einfach nicht «Freeriden» gesagt. Die Idee, unberührte Hänge und Winterlandschaften mit den Ski oder Schneeschuhen zu erkunden, gibt es schon lange.
Dennoch hat die Popularität dieses Sports in den letzten Jahren stark zugenommen, nicht?
Das stimmt, ja. Mittlerweile ist das Freeriden ein regelrechter Trend. Dabei suchen Freerider das Spezielle. Sie wollen anders sein und bewegen sich lieber abseits als auf der Piste mit Hunderten anderen Skifahren und Snowboardern.
Kann denn überhaupt jeder von uns Freeriden?
Erfahrung und Know-How sind enorm wichtig beim Freeriden. Man sollte sich keinesfalls unvorbereitet an diesen Sport wagen, sondern sich vorab ausreichend informieren und spezielle Kurse belegen. Beim Splitboardcamp etwa gebe ich zusammen mit einem Bergführer Tipps zur Routenwahl, Lawinenkunde, Umgang mit der Ausrüstung, etc., und es besteht die Möglichkeit, Boards zu testen. Die ISTA (International Snow Training Academy) bietet Lawinenkurse rund um die Welt an und bildet alpine Sportler aus, die dann nach verschiedenen Levels eingestuft werden.
Und dann ist natürlich die gezielte Vorbereitung auf die jeweilige Tour wichtig. Vor jeder Tour checke ich noch spezielle Lawinenseiten und Wetterberichte. Die Gefahren sind lokal sehr verschieden und man muss alle äusseren Einflüsse wie Wind, Sonne und Altschnee miteinbeziehen. Eigentlich gilt es drei Dinge richtig einzuschätzen: den Hang, das Wetter und sich selbst! Wirklich anspruchsvolle Touren sollte man trotzdem nur mit einem Bergführer machen – das mache auch ich noch so, obwohl ich seit mittlerweile 20 Jahren Profi bin.
Dann ist Freeriden schon gefährlicher als «normales» Skifahren oder Snowboarden?
Das würde ich so nicht sagen. Wichtig ist einfach, vor allem für Anfänger, dass sie sich nicht überschätzen und nie ohne eine Begleitperson mit Erfahrung und Know-How unterwegs sind. Nebst einer guten Vorbereitung trägt die richtige Ausrüstung wie Suchgerät (LVS), Sonde und Schaufel viel zur Sicherheit bei. Ein gewisses Restrisiko bleibt allerdings immer. Aber das ist ja bei jeder Sportart so.
Bist du selbst schon mal in eine brenzlige Situation geraten?
In Alaska wurde ich mal an einem ca. 60°-steilen Hang von einem sogenannten «Sluff», einer Art Lockerschneelawine, etwa 150m weit mitgerissen. Sluff ist der Schnee, den man selbst lostritt, wenn man auf steilen Hängen im Gelände unterwegs ist. Ich hatte meine Linie glücklicherweise aber schon richtig gewählt. Es ist wichtig, immer zu schauen, wo du landest, falls etwas rutscht. Eine 100%-ige Garantie, dass nichts passiert, hat man allerdings nie.
Was machst du am liebsten, wenn du dich abseits der Piste bewegst?
Am liebsten bin ich wohl mit dem Splitboard unterwegs, hin und wieder auch mit meinen Tourenski. Auch das Speedriding ist meine grosse Passion. 2016 flog ich mit zwei Ski an den Füssen und einem Speedriding-Schirm durch einen winzigen Eistunnel. Video
Und wo bist du am liebsten unterwegs?
Puh, da gibt es so einige Orte. Hokkaidō in Japan ist ein absoluter Pulver-Heaven! In Alaska gibt es die steilsten Pulverabfahrten der Welt, in Kanada ist die Qualität und Konsistenz des Pulverschnees einzigartig. In der Schweiz bin ich mit dem Splitboard gerne im Lötschental unterwegs. Dort hat man eine gute Ausgangshöhe von etwa 3000 Metern, geht ein paar Hundert Meter hinauf und kommt dann in den Genuss kilometerlanger Abfahrten.
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