Produkttest

«Final Fantasy VII Remake» für Fans und Neulinge ein Spektakel – wenn auch kein perfektes

Philipp Rüegg
17.4.2020
Co-Autor: Kevin Hofer

Endlich ist es da. Das vielleicht meisterwartete Game-Remake aller Zeiten. «Final Fantasy VII» hat vor 23 Jahren unzählige Menschen tief berührt. Andere haben währenddessen «Age of Empires» gesuchtet. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Für wen lohnt es sich?

Bereits Monate vor Release hat Kollege Kevin bei der blossen Erwähnung von «Final Fantasy VII» gestrahlt, wie die Figuren in einem Animefilm. Er gehört zu den Fans der ersten Stunde, die nichts sehnlicher erwartet haben als den 10. April 2020. Den Tag, an dem das Remake des legendären «Final Fantasy VII» veröffentlicht wurde. Ich dagegen gehöre zur Gruppe, die 1997 statt an der Playstation primär am PC gezockt hat. Vom Hype um Cloud mit seiner Stechfrisur und Aeriths tragischem Schicksal habe ich damals nichts mitbekommen.

Originalaufnahme von Kevin als er das erste mal vom Remake hörte.
Originalaufnahme von Kevin als er das erste mal vom Remake hörte.

Mit diesen unterschiedlichen Ausgangslagen haben Kevin und ich uns auf das Remake gestürzt.

Philipp, der «Final Fantasy»-Newbie

Ich habe noch nie ein «Final Fantasy» gespielt. Während meiner Lehre habe ich zwar auf einem TI-89-Taschenrechner mal einen Teil ausprobiert. Die Grafik auf dem monochromen Display konnte aber nicht mal mit einem Gameboy mithalten. Knapp drei Stunden habe ich’s zudem mit der Boygroup in Teil XV ausgehalten und etwa eine Stunde im MMO «Final Fantasy XIV». Ich gehöre eindeutig zu den Serienfremden. Weil mir aber nicht entgangen ist, wie oberaffentittengeil Teil 7 sein soll – freiübersetzt aus dem Internet – war auch ich auf das Remake gespannt. Mir fehlen zwar noch ein paar Stunden bis zum Abspann, aber ich kann definitiv sagen: Das Spiel hat viele Gefühle in mir ausgelöst. Es hat mich überrascht, enttäuscht und vieles bestätigt.

Wie erwartet: Viele Klischees und epische Story

Mit einer Reaktorsprengung startet das Abenteuer.
Mit einer Reaktorsprengung startet das Abenteuer.

«Final Fantasy VII Remake» behandelt nur den ersten Teil des Originalspiels. Allerdings wurden die Ereignisse in der Welthauptstadt Midgar erheblich ausgebaut. Statt sechs bis zehn Stunden solltest du mit 35 bis 45 rechnen. Von der ersten Zwischensequenz an wird klar, hier wird mit der grossen Kelle angerührt. Die Grafik ist imposant, die Kulisse der dystopischen Industriestadt mit ihren verschiedenen Ebenen kolossal und die Prämisse aus autoritärem Megakonzern Shinra und Rebellentrupp Avalanche macht neugierig.

Die Story entwickelt sich aber langsam und Serienneulinge werden mehr Fragezeichen haben. Was ich dagegen verstehe, sind die vielen Stereotypen, die in Animes und JRPGs verbreitet sind. Hauptfigur Cloud, ein ehemaliger SOLDIER – schreibt man offenbar so –, hat die Ausdrucksfähigkeit eines Steins. Barret, ein Drei-Meter-Riese mit Minigun als Arm, ist zu Beginn ein eindimensionaler Mr.-T-Phrasendrescher. Alle weiblichen Charaktere sind scharf auf Cloud und eindeutig fürs männliche Auge designt worden. Und doch will ich mehr wissen über die Figuren und ihre Konflikte.

Überraschend: Kampfsystem und Charaktertiefgang

Nur blind reinhauen, reicht höchstens am Anfang.
Nur blind reinhauen, reicht höchstens am Anfang.

Die Charaktere entwickeln im Verlauf des Spiels erstaunlich viel Tiefgang. Barret zeigt, dass er nicht nur ein brüllender Holzkopf ist, sondern mit viel Herz für Gerechtigkeit und seine Tochter kämpft. Auch hinter Clouds Ausdruckslosigkeit scheint mehr zu stecken, als fehlende Gesichtsanimationen. Und Tifa ist trotz Hotpants und Riesenbrüsten mehr als der Hormonstauverursacher pubertierender Kevins. Die wenigsten Charaktere sind wirklich so einfältig, wie sie besonders ausserhalb der Zwischensequenzen den Anschein machen. Und als mir die Story einen spektakulären Bosskampf auf einer Autobahn gegen einen durchgeknallten, schwertschwingenden Motorradfahrer präsentiert, hat es mich endgültig gepackt.

Das Kampfsystem ist ebenfalls vielschichtiger als erwartet. Einerseits ist es aktiv und du kannst mit Clouds Riesenschwert ordentlich reinprügeln. Beim Einsatz von Fähigkeiten und Zaubern verlangsamt sich das Spiel, damit du Zeit hast, die richtigen Fähigkeiten deiner Gruppenmitglieder einzusetzen. Du steuerst nämlich meist zwei oder drei Figuren gleichzeitig. Wer welche Fähigkeiten besitzt, wie er sie einsetzt und auf welchen Gegner oder Körperstelle, ist besonders bei den Bosskämpfen essentiell. Wenn du dann noch gigantische Elementarmonster beschwörst, dann geht richtig die Post ab.

Enttäuschend: Schlauchlevel, langweiliges Leveldesign

Viele Level sind optisch eintönig und schlauchartig.
Viele Level sind optisch eintönig und schlauchartig.

Je länger ich «Final Fantasy VII» spiele, desto länger wird aber auch meine Liste mit Kritikpunkten. Am meisten stört mich das langweilige Leveldesign. Während die Hubs, also die Ortschaften von denen aus du Nebenquests startest, äussersts liebevoll und abwechslungsreich gestaltet sind, herrscht ausserhalb grosse Eintönigkeit. Reaktor, Zugtunnels oder Abwasserkanäle sind einfach nur braun, graue Schlauchlevels. Und oft musst du mehrmals an die gleichen Orte zurück. Da hilft es auch nicht, dass du dich jedes mal durch reihenweise Trash-Mobs kämpfen musst, die mit der Zeit nur noch Arbeit sind. Die kleinen Schalterrätsel fühlen sich auch mehr nach Nötigung als Abwechslung an.

Und was die Nebenquests anbelangt: So sind sie zwar überschaubar, aber meistens nicht mehr als Lieferjobs. Bring mir das, töte dieses Monster, finde jenes Kind. Machen musst du sie trotzdem. Sonst werden spätere Konfrontationen nur unnötig schwer, weil dein Level zu tief ist.

Und dann sind da eben doch die Stereotypen. Während ich die meisten Figuren ins Herz geschlossen habe, nerve ich mich trotzdem jedes mal, wenn die Charakterentwicklung im nächsten Moment wieder über den Haufen geworfen wird. Plötzlich werden Begleiterinnen, die gerade noch einem gigantischen Kloakenmonster Kinnhaken verteilt haben, zu hilflosen Prinzessinnen und die Männer zu gefühls- und hirnlosen Machos degradiert.

Barret wird oft als hirnloser Trottel hingestellt, nur um in Zwischensequenzen dann wieder Tiefgang zu zeigen.
Barret wird oft als hirnloser Trottel hingestellt, nur um in Zwischensequenzen dann wieder Tiefgang zu zeigen.

Den Satz: Das gehört halt zu JRPGs, kann ich nicht mehr hören. JRPG ist kein Freipass für langweiliges Gamedesign und ausgelutschte Klischees. Besonders dann nicht, wenn das Spiel selbst bewiesen hat, dass es auch anders geht.

Für mich ist klar: «Final Fantasy VII Remake» ist in erster Linie ein Spiel für Fans. Mit der Nostalgiebrille lässt sich über vieles hinweg sehen. Gestreckt wirkt das Remake trotzdem. Zehn Stunden weniger und etwas mehr Abwechslung im Leveldesign und auch ich wäre begeistert. Immerhin zieht das Spiel gegen Ende hin wieder deutlich an. Trotzdem kann ich es Neulingen nur bedingt empfehlen. Wer aber endlich verstehen will, was es mit dem ganzen Hype auf sich hat, kommt nicht drumherum und ein turbulentes Abenteuer ist es allemal.

Kevin, Fan der ersten Stunde

Ebenfalls ein Originalfoto von Kevin aus dem Jahr 1997.
Ebenfalls ein Originalfoto von Kevin aus dem Jahr 1997.

Da steht es endlich, das Blumenmädchen, das mich in meiner Jugend geprägt hat. Seit knapp fünf Jahren – als Square 2015 an der E3 das Remake geteast hat – warte ich auf diesen Moment. Aerith sieht grossartig aus. Sie kommt auf mich, Cloud, zu und spricht mich an. Just in dem Moment, in dem sie mir eine Blume überreicht, setzt die Musik ein: Aerith’ Theme. Ich bin zuhause.

Es ist ein Heimkommen

Als das Original «Final Fantasy VII» 1997 erscheint, bin ich 13 und der klassische Aussenseiter. Ich verliere mich lieber in Videospielen, als mich mit der «Realität» auseinanderzusetzen. Freunde habe ich keine. Freundschaft ist für mich ein abstraktes Konstrukt, dass ich nur aus Geschichten kenne.

Vielleicht deshalb spiele ich während meiner ganzen Zeit in der Oberstufe «Final Fantasy VII» immer und immer wieder. Dieses Spiel, mit der allumfassenden Geschichte, in deren Kern es eigentlich nur um etwas geht: Freundschaft. «Final Fantasy VII» gibt mir in jener Zeit, was mir meine Eltern oder Klassenkollege nicht geben können: Halt und ein Blick darauf, was Freundschaft bedeutet.

23 Jahre später ist mein Leben ein ganz anderes. Ich habe Freunde, bin verheiratet und habe ein Kind. Der gemeinsame Nenner: Ich sitze mit dem Controller in den Händen vor dem Fernseher und beobachte Cloud und Aerith beim ersten Treffen. Es fühlt sich genauso an wie damals. Grossartig!

Geniale Umsetzung

Aerith ist mehr als ein Blumenmädchen.
Aerith ist mehr als ein Blumenmädchen.

Das ist die grosse Stärke von «Final Fantasy VII Remake». Obwohl das Spiel eigentlich ein komplett neues ist, fühlt es sich vertraut an. Das fängt bei der Story an und zieht sich bei der Inszenierung weiter. Midgar sieht bombastisch aus, kein Vergleich zum Original. Trotzdem erkenne ich die Schauplätze von anno 1997 auf den ersten Blick. In Kämpfen bin ich nach wie vor von einer ATB-Leiste abhängig, die mir vorgibt, wann ich Aktionen durchführen kann. Trotz Button-Mashing zwischendurch und hektischen Kampfszenen habe ich Zeit, meine nächsten Schritte zu planen. Materia platziere ich auch jetzt noch in Slots auf Waffen und Rüstungsgegenständen. Es ist alles nochmal grösser und komplexer geworden.

Mehr Zeit lässt sich Square mit der Entwicklung der Charaktere. Nebst den Hauptcharakteren erhalten so auch Nebencharaktere mehr Platz und Tiefgang. Selbstverständlich werden auch diverse Klischees bedient und gewisse Akteure bleiben relativ platt. Dennoch: Im Grossen und Ganzen ist die Erzählung durch den Fokus auf die Hintergründe der Akteure dichter.

Viele Nebenquests sind recht eintönig.
Viele Nebenquests sind recht eintönig.

Bei allem Lob lässt sich auch Kritik am Spiel üben. Es ist wie das Original sehr linear. Square riskiert hier nicht zu viel, damit die Fans nicht verärgert werden. Trotzdem hat es einige Storyänderungen. Für mich ist es noch zu früh, um sagen zu können, ob mir die passen oder nicht.

Nebst der Linearität ist das Leveldesign eher eintönig. Das ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass das Spiel ausschliesslich in Midgar spielt. Dort ist es nunmal trist, dreckig und hoch technologisiert. Das war auch schon im Original so. Eintönig sind auch die meisten Nebenquests, die nach dem Schema «Gehe nach A und töte X. Rapportiere zurück an Y» funktionieren. Dennoch empfinde ich sie als lohnend, weil gewisse Nebenquests spannende Hintergründe zu Tage fördern.

Das «Final Fantasy VII Remake» ist alles, was ich mir erhofft habe und mehr. Als Fan bin ich begeistert. Leider bin ich noch nicht ganz durch. Nebst Familie und Freunden bleibt heute nicht mehr so viel Zeit zum Gamen wie früher, was in meinem Fall aber auch sehr viel Gutes mit sich bringt.

Square Enix Final Fantasy VII HD Remake (PS4, DE)
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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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