Filmkritik: «Free Guy» ist verdammt witzig – es hätte aber mehr dringelegen
Filmkritik

Filmkritik: «Free Guy» ist verdammt witzig – es hätte aber mehr dringelegen

Luca Fontana
11.8.2021

Ein Mix aus «Truman Show» und «Ready Player One»? Nein, so clever ist «Free Guy» nicht. Dafür unheimlich witzig. Und das ist okay, schätze ich.

Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Nicht, dass ich von «Free Guy» eine Kino-Offenbarung erwartet hätte. Oder eine Komödie, die noch lange in denkwürdiger Erinnerung bleiben würde. Sowas wie «Hangover», oder – klassischer – «The Naked Gun», zum Beispiel. Begeisterung will sich trotzdem nicht breit machen. Der Film war zwar lustig. Sehr sogar.

Aber… mehr nicht.

Alles nur Einsen und Nullen

Der Wecker. Jeden Morgen dasselbe Lied. Trotzdem startet Guy (Ryan Reynolds) stets mit einer kindlich-ansteckenden Vorfreude in den Tag. Goldfisch: Gegrüsst. Blaue Hemden: Angezogen. Spaziergang zum Coffeeshop: Einmal «one cream, two sugars», danke.

Dann die Bank. Dort arbeitet Guy. Plaudert mit seinem Freund und Wachmann Buddy (Lil Rel Howery) – und wird ausgeraubt. Täglich. Business as usual. In Free City haben Guy und Buddy nichts zu melden. Es sind die «sunglasses people», die mit den Sonnenbrillen, die die coolen Sachen machen. Guy ist nur da, um sie zu bewundern, zurück in seine Routine überzugehen und damit totglücklich zu sein. Immer und immer wieder. Denn Guy ist ein Non-Player Character (NPC). Und Free City ein Videogame.

Nur weiss Guy nichts davon.

Molotov Girl (Jodie Comer) ist kein NPC. Sie ist eine dieser sunglasses people – eine Spielerin aus der echten Welt. Die Beste. Aber auch jene, die nach dem Code sucht, den Spielentwicklerboss Antwan (Taika Waititi) ihr geklaut haben soll, um das Spiel, Free City, zu entwickeln. Hat sie den Code, kann sie Antwan zu Fall bringen. Blöd, dass ihre zufällige Begegnung mit Guy eine Kettenreaktion auslöst, die alles und jeden in Free City aus den Fugen geraten lässt.

Wie clever ist «Free Guy» nun wirklich?

Die Grundidee klingt eigentlich gar nicht so schlecht: Was, wenn Peter Weirs clevere 1998er Satire «The Truman Show» auf Steven Spielbergs 2018er Buchverfilmung «Ready Player One» träfe?

Tatsächlich ist da diese Videospielwelt, Free City. Ein Utopia, wo Millionen Spielerinnen und Spieler zusammenkommen, um Missionen zu erfüllen, ihre Charaktere zu leveln und seltene Gegenstände oder Autos zu sammeln. Wie, ist egal. In Free City ist alles erlaubt. Auch äusserste Brutalität und Gewalt. Dafür gibt’s gar Extrapunkte. Nice. So weit, so «Ready Player One».

Andererseits ist da Ryan Reynolds’ Guy. Ein NPC, der keine Ahnung von der künstlichen Welt hat, in der er sein scheinbar echtes Leben verbringt. Scheinbar, weil sein Code ihm vorgibt, was er wie, wann und wo zu tun hat. Ja selbst, was er dabei zu fühlen hat – bis er’s eben nicht mehr tut. Bis er diesem zu Mariah Careys Musik singenden Molotov Girl begegnet. Von da an durchbricht er seine Abläufe. Sein Programm. Guy wird je länger je mehr zur selbstständig denkenden Figur.

Ein Auslöser vergleichbar mit dem, was der vom Himmel gefallene Scheinwerfer in «The Truman Show» ist: Chaos.

Guy und Molotov Girl fahren zusammen Töff.
Guy und Molotov Girl fahren zusammen Töff.
Quelle: Disney

Klingt vielversprechend. Oder? Irgendwie. Nur machen «Night at the Museum»-Regisseur Shawn Levy und «Ready Player One»-Drehbuchautor Zak Penn – ausgerechnet – herzlich wenig daraus. Die meiste Zeit spielt «Free Guy» lediglich mit dem «fish out of water»-Konzept: Guy, der NPC, verhält sich plötzlich nicht mehr wie ein NPC und wirbelt damit die Routine sämtlicher anderer NPCs durcheinander.

Das ist lustig, ja. Anfangs. Alleine deswegen, weil Ryan Reynolds ein begnadet witziger und charmanter Schauspieler ist, der seine Humor-Ecke gefunden hat: ein Mix aus Deadpool und Detective Pikachu mit FSK12-Freigabe. Dazu passt, dass Guy herrlich naiv wie ein Kleinkind ist, was technisch gesehen Sinn macht. Denn Guy ist so alt wie das Spiel selbst. Also etwa vier.

Nur… mindestens zwei Drittel der Laufzeit ist das auch schon alles, was sich Regisseur Levy und Autor Penn mit dem Potenzial, das «Free Guy» theoretisch hergäbe, zutrauen. Das ist okay, schätze ich, wenn die Erwartungshaltung am Film «ich will einfach gute Unterhaltung, mehr nicht» ist.

Denn Spass macht «Free Guy» allemal.

Opulenz und CGI-Extravaganza ohne Tiefgang

Allein die Spielwelt ist der reine Wahnsinn. Überall Easter Eggs. Lustige Details. Kleinigkeiten, die jede Gamerin und jeder Gamer sofort erkennt. Etwa, wenn irgendwo im Hintergrund ein Spieler unaufhörlich gegen die Wand rennt, ohne wirklich mit ihr zu kollidieren. Oder Figuren, die ständig sinnlos in der Gegend rumhüpfen.

Irgendwo fuhr gar ein Auto mit einem anderen, verkehrt herum liegenden Auto auf dessen Dach herum. Tat nichts zur Sache. Aber es war da. Ich erkenne mich sofort wieder, wenn es mir zu langweilig geworden ist und ich aus reinem Spass an der Freude ausprobieren will, was die In-Game-Physik so hergibt.

Ich mag diese Details. Sie zeigen, dass die Macher selbst eben auch Gamerinnen und Gamer sind. Und sie lassen Free City echt wirken.

Morgens, um halb zehn, in Free City.
Morgens, um halb zehn, in Free City.
Quelle: Disney

Und ja, keine Frage: CGI hat’s genug im Film. Denn jenseits der kleinen, feinen Details kracht’s in Free City ständig. Spieler zerstören mit Panzern ganze Häuserfassaden, schiessen mit Bazookas feindliche Helikopter ab, liefern sich halsbrecherische Verfolgungsjagden mit Auto und Motorrad während mit Molotov Cocktails und Granaten um sich geworfen wird. Irgendwo dazwischen wuseln die NPCs und führen ihr stinknormales leben, das sie lieben, auch wenn sie ständig Opfer und Kollateralschaden sind.

Da sind wir wieder, beim Punkt: Es steckt zwar viel Situationskomik in «Free Guy». Etwa, wenn ein Freund Guys’ überfallen und aus dem Fensterladen geschleudert wird, nur um von Guy wieder aufgeholfen zu werden, sich die Scherben vom Hemd zu schütteln und lächelnd «Montag, nicht wahr?» zu sagen.

Aber richtig was draus machen will der Film nie. Als ob er’s sich nicht zutrauen würde, auch mal einen ernsten Ton zu spielen. Es gibt keine Wandlung. Keine Charakterentwicklung. Kein Kommentar. Die Welt ist einfach. Das macht lange Spass, aber führt zu keiner neuen Erkenntnis. Weder für mich, noch für Guy. Und der einzige Mini-Satz, der irgendeiner höheren, neuen Wahrheit am nächsten kommt, wird bereits im Trailer verbraten. Mehr kommt da nicht.

Guy und Buddy, ein urkomisches Paar
Guy und Buddy, ein urkomisches Paar
Quelle: Disney

Das muss nicht zwingend heissen, dass «Free Guy» schlecht wäre. Der Film ist halt einfach ziemlich seicht. Sogar «Bruce Almighty» mit Jim Carrey in der Hauptrolle hat mehr Tiefgang: Auch da spielt der Film ziemlich lange mit einer Prämisse rum – was, wenn ich Gott wäre? –, ohne dass gross was an Charakterentwicklung passiert. Schlussendlich kommt Carrey dann trotzdem noch dahinter, dass sich die Welt nicht um Gott – um ihn – dreht. Voilà, Charakterentwicklung.

In «Free Guy» vermisse ich das schmerzlich. Guy ist und bleibt NPC, ewig gleich und funktional. Und obwohl ihm der Film die Möglichkeit gibt, über sein Programm hinauszuwachsen, tut er das nur der Selbsterhaltung willen; die Alternative wäre seine Auslöschung. Das ist keine Wahl. Keine echte, zumindest. Und damit keine Entwicklung.

Nehmen wir wieder «The Truman Show». Dort entsagt sich der Hauptcharakter willentlich der Geborgen- und Sicherheit seines schier perfekten Lebens, um die grosse, gefährliche, unbekannte – aber echte – Welt da draussen zu finden. Selbst, wenn es in den Fluten eines mit Wasser gefüllten, riesengrossen Studios seinen eigenen Untergang bedeutete. Das ist Dramatik. Eine Wahl.

Eine Entwicklung.

Fazit: Seicht, allerdings witzig und sympathisch

Jep, «Free Guy» ist jene Art von Film, bei dem du sagen kannst: Kennst du den Trailer, kennst du die ganze Story. Und das Wenige, das nicht im Trailer ist, kannst du dir selber zusammenreimen, bevor du überhaupt eine Filmsekunde gesehen hast. So voraussehbar ist «Free Guy».

Dennoch: Der Film ist charmant, witzig – verdammt witzig – und steckt gerade für Gamerinnen und Gamer voller lieb gemeinter Seitenhiebe. Ob dich der Umstand stört, dass da zumindest ein bisschen mehr Tiefgang dringelegen hätte, wird von deiner Erwartungshaltung abhängen. Für mich fühlt’s sich ein bisschen nach «verpasster Chance» an.

Schlussendlich macht «Free Guy» aber viel mehr richtig als falsch. Auch wenn die Konfrontation mit dem Trugbild einer Welt, die nichts als reine Fassade aus Nullen und Einsen ist, eher faul als gekonnt zu Gunsten ein paar Lacher mehr umschifft wird – gelacht habe ich trotzdem, und das nicht zu wenig.


Zu sehen ist «Free Guy» ab dem 11. August im Kino. Laufzeit: 115 Minuten.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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