
Hintergrund
Der Gärtner knickt und biegt – Tinus Grow Report, Folge 7
von Martin Jud
Sie sind winzig klein und zu tausenden auf den Blüten der Cannabis-Pflanzen: Trichome. Die Harzdrüsen sind unerlässlich zur Bestimmung des korrekten Erntezeitpunktes. Sind deren bauchigen Köpfe durchsichtig, ist es zu früh. Zu spät ist es, wenn sie wie Cola aussehen. Milch ist Trumpf.
Nach 97 Tagen sieht mein Cannabis endlich erntereif aus. Schaue ich mir die Blüten an, fällt mir auf, dass sich bei sämtlichen vier Pflanzen rund die Hälfte der Blütenhaare braun verfärbt haben. Ausserdem glitzert es überall, was von tausenden 50 bis 100 Mikrometer – bis ein Zehntel Millimeter – grossen Trichomen herrührt. Vergrössere ich diese, zeigen sie mir wie ein Ampelsystem an, ob der Hanf reif für die Ernte ist.
Doch ehe ich mir ein Urteil zu den hoffentlich mit viel CBD und wenig THC gefüllten Harzdrüsen bilde, gibt es eine Bestandesaufnahme meiner Weibchen der Sorte Mota CBD Rich Auto. Was ist seit dem letzten Grow Report geschehen?
Anfang Januar droht mein Cannabis-Zelt ins Chaos zu stürzen. Die Pflanzen wuchern und kommen dabei auch der Natriumdampflampe gefährlich nahe, was mich dazu veranlasst, sie zu knicken, biegen und runterzubinden.
Das Runterbinden hilft. Allerdings muss ich daraufhin einige Blätter entfernen, da sich die Pflanzen durch die veränderten Platzverhältnisse selbst in den Weg kommen.
Wenige Tage danach beginnt das Wachstum der Äste und Blätter zu stagnieren. Auch halbiert sich im Januar der Wasserkonsum – heute trinkt jede Pflanze geschätzt noch ¾ Liter pro Tag, wobei ich alle zwei bis drei Tage giesse. Und die Buds, die werden stetig grösser. Zumindest zwei der vier Weibchen tragen mittlerweile ganz schön was auf ihren Ästen.
Der aktuelle frontale Blick ins Zelt lässt bereits erahnen, dass die vorne links stehende grösste Pflanze Nummer 2 am wenigsten Blüten trägt. Ob sie wohl einfach weniger weit ist, als die anderen und noch etwas Herbstsonne benötigt? Werde ich eine Teilernte vornehmen müssen?
Ihre kleinen Blüten sprechen von blossem Auge gesehen eine unklare Sprache. Doch ist mir aufgefallen, dass sich seit vergangener Woche einige ihrer Blätter beginnen gelb zu verfärben. Das ist kurz vor der Ernte nicht zwingend ungewöhnlich. Nur frage ich mich, ob die Pflanze überhaupt bereits kurz vor der Ernte steht. Aufschluss darauf gibt mir der weiter unten folgende Blick durchs Mikroskop.
Definitiv ungewöhnlich ist das Verhalten von Pflanze Nummer 5, die hinten links im Zelt steht. Sie sah gut aus, bis ich vor drei Wochen das Düngen einstellte. Das habe ich bewusst getan, da ich auf keinen Fall Düngerrückstände in meinem Weed haben möchte. Jedenfalls verfärben sich seit da ihre Blätter teilweise gelb. Glücklicherweise lassen sich die welken Blätter, die auch zwischen den Blüten vorkommen, gut rauszupfen. Doch trägt sie durch die Probleme verursacht leider nur relativ dünne Buds, die aber immerhin zahlreich vorkommen.
Habe ich zu früh mit dem Düngen aufgehört?
Ich vermute, dass nicht der fehlende Dünger Schuld ist, denn den anderen Pflanzen geht es gut. Da müssten genügend Nährstoffe im Boden sein, doch hat sie Mühe, diese aufzunehmen. Vermutlich habe ich ihr irgendwann versehentlich zu viel Wasser gegeben, woraufhin durch zu wenig Sauerstoff im Boden die Aufnahme der Nährstoffe erschwert wurde.
Nichts falsch gemacht habe ich scheinbar bei Pflanze Nummer 1 und 3 in der rechten Hälfte des Zeltes.
Zwar verfärben sich seit wenigen Tagen auch bei Nummer 3 die ersten Blätter gelb, doch bin ich mir hier sicher, dass sie kurz vor der Ernte steht. Sie trägt viele schöne Blüten mit einem Durchmesser von bis fünf Zentimetern.
Da fünf Zentimeter nicht genug sind, hat Nummer 1, welche einst die kränkliche Kleine war, Buds mit einem Durchmesser bis sieben Zentimeter.
Nun kommt der Moment der Wahrheit. Sind meine Pflanzen reif für die Ernte? Was sagt der Blick auf die vergrösserten Blüten? Sehen die Harzdrüsen durchsichtig, milchig oder eher wie Bernstein respektive Cola aus? Das Ziel ist es, mit möglichst vielen milchigen Trichomen zu ernten, denn dann sollen am meisten Cannabinoide vorhanden sein. Sind sie durchsichtig, ist es zu früh. Verblüht werden sie zu Cola.
Leider hat mein altes Taschenmikroskop den Geist aufgegeben. Genauer; es war zu sehr mit Harz verklebt und mein Putzversuch mit Reinigungsalkohol hat dummerweise die Plastiklinse eingetrübt. Daher habe ich mir ein neues besorgt.
Ausserdem ist mir beim Shoppen ein günstiges – oder gar billiges – digitales Mikroskop in den Warenkorb reingerutscht.
Eine Empfehlung für dieses Produkt kann ich nur bedingt geben, da ich zu wenig Erfahrung mit digitalen Mikroskopen habe, die Verarbeitung weiter etwas billig wirkt und es doch eine eher geringe Auflösung und Vergrösserung bietet. Doch für den geneigten CBD-Züchter reicht es allemal.
Los geht's mit Pflanze Nummer 2: Erst sehe ich mir die Blüten mit dem Taschenmikroskop an – das lässt sich einfacher handhaben. Ich kontrolliere, ob die Trichome in den unteren Etagen des Zeltes gleich ausgeprägt sind, wie oben. Der Unterschied ist minim, was mich beruhigt. Ich sehe einige durchsichtige Trichome, viele milchige und fast keine Cola-farbigen. Wobei ich die wenigen Colas nur im oberen Teil des Zeltes entdecke.
Und so schaut das unterm digitalen Mikroskop aus:
Nummer 2 ist weiter, als ich anhand der kleinen Blüten der grössten Pflanze vermutet habe.
Bei der kränklichen Nummer 5 ergibt sich trotz gelben Blättern ein ähnliches, wenn nicht gar identisches Bild:
Die Cola im Anfangsstadium auf der letzten Aufnahme ist auch bei dieser Pflanze eine von wenigen.
Mal sehen, wie weit die vor Gesundheit strotzenden Pflanzen der rechten Zelthälfte sind.
Nummer 3:
Nummer 1:
Gut, ich bin zufrieden. Mehr, als ich es vor dem Beäugen war, denn die unzähligen Blüten der Pflanzen befinden sich in ungefähr gleich weit vorangeschrittenem Stadium. Das bedeutet, dass ich keine Teilernte machen muss – ich werde alle vier Weibchen gleichzeitig töten. Jedoch nur bedingt, denn die Ernte wird sich voraussichtlich über Stunden hinziehen.
Wie viele Tage nun noch vergehen, ehe meine Wohnung die volle Dröhnung an süssem, fruchtigem Cannabis-Raumduft abbekommt, hängt natürlich weiterhin von den Trichomen ab. Sie sind, wie ich finde, schon fast soweit. Es kann sich nur noch um wenige Tage handeln. Daher werde ich nun immer morgens und abends durchs Taschenmikroskop linsen.
Der tägliche Kuss der Muse lässt meine Kreativität spriessen. Werde ich mal nicht geküsst, so versuche ich mich mittels Träumen neu zu inspirieren. Denn wer träumt, verschläft nie sein Leben.