

Das Darknet: Ein wichtiges Instrument für die Freiheit

Dieser Tage ist das Darknet erneut in allen Medien, nachdem ein Model angeblich von einer Darknet-Bande entführt und dann wieder freigelassen wurde. Politiker und Medien diskutieren ein Verbot. Im Gespräch fordert auch eine Redaktionskollegin ein Verbot des dunklen Netzes oder mindestens die rigorose Verfolgung der Verbrecher darin. Ein Diskurs.
Kurz: Das Darknet ist ein gefährlicher Ort voll blutrünstiger Wilder, die es auf dich abgesehen haben.
Ich vermute also, das Darknet wird uns auch nicht alle umbringen. Oder entführen.
Ich bin sogar der Überzeugung, dass das Darknet notwendig ist. Es zu verbieten oder Kriminelle darin zu verfolgen wäre etwas, das einem grundlegenden Demokratieverständnis nicht entspricht und würde direkte, konkrete und unmittelbare Gefahr für Leib und Leben bringen.
Was ist das Darknet?
Das Darknet als technologisches Konstrukt kann kurz zusammengefasst werden: Alles, was nicht von Suchmaschinen wie Google gelesen, verstanden und als Suchresultat öffentlich wiedergegeben werden kann.
Dieser Definition nach ist dein E-Mail-Posteingang ein bisschen Darknet. Dein internes Firmennetzwerk? Darknet. Dein Facebook-Feed? Auch Darknet.
Das Tor Network: Das Darknet der Medien
Wenn die Medien dieser Tage über das Darknet reden, so meinen sie nicht den privaten Facebook-Feed oder das E-Mail-Postfach, sondern das Tor-Netzwerk. Dabei handelt es sich um eine recht clevere Konstruktion des Tor Projects, einer Non-Profit-Organisation mit Sitz in Massachussetts, USA.
Illustration einer Tor Verbindung. Bild: torproject.org/eff.orgIm Zuge dieses Pfades kennen die Tor Nodes nur den letzten Schritt, also von welcher Node der Pfad kommt, nicht aber dessen Anfang. Keine Node kennt je den gesamten Pfad. Jeder Sprung von Node zu Node ist mit einer eigens für diese Verbindung ausgehandelten Verschlüsselung versehen, was die Nachverfolgung des Pfades extrem schwierig bis unmöglich macht.
Nebst dem Tor Browser bietet das Tor Project weitere Ressourcen an, die deine Anonymität online wahren sollen.
Heute ist das anders. Selbst wenn Nicknames gewählt werden sind die kaum mehr als etwas, das angezeigt wird. In zusehends aussterbenden Foren werden Posts geschrieben in denen sich User mit Sätzen wie «Hoi mitenand, ich bin MetallicaFan1973 aber im echten Leben heisse ich Thomas» beginnen. Dann wird noch schnell der Wohnort angegeben und im nächsten Thread werden Bilder vom Konzert und Selfies gepostet. Mit Anonymität ists da nicht weit her.
Wer also braucht Tor? Nur Verbrecher und Mörder?
In der Türkei aber sieht das anders aus. Auf der Karte ist es tiefrot, die Liste der zensierten Websites ist lang.
Damit die Kommunikation abseits den Machenschaften der Türkischen Regierung aufrecht erhalten werden kann, sprayen Dissidenten DNS-Adressen an Hauswände. Der Text heisst übersetzt «Dein Vogel (Twitter) soll zwitschern».Helfer versuchen noch, Neda Agha-Soltan zu helfen. Sekunden später ist sie totJa, aber was ist denn mit all den Mördern und Dealern?
Trotz all der Vorteile und der Tatsache, dass das Darknet ein für die Demokratie unabdingbares Gut ist, ist nicht zu bestreiten, dass sich im Darknet viel Illegales abspielt. Unter dem Deckmantel der Anonymität kann sich per Definition jeder verstecken. Auch Verbrecher. Diese sind natürlich auch im Darknet vertreten.
Ein Screenshot des Portals Silk RoadSelbst wenn Ulbricht nie in direkten Kontakt mit Drogen und anderem gekommen ist, so hat er sich doch des Drogen- und Waffenhandels schuldig gemacht und sitzt lebenslang hinter Gittern. Er ist aber nicht direkt via das Darknet identifiziert worden, sondern weil er seine eigene Operation nicht gut genug abgesichert hat. Herkömmliche Ermittlungsmethoden haben zum Erfolg geführt.
Im Gespräch mit der Redaktionskollegin kam das Argument «Die Polizei muss die Mörder und Entführer jagen und ausmerzen! Besser noch: Das ganze Darknet sollte gleich verboten werden!»
Dass sich Freiheitskämpfer mit Drogendealern und sonstigen Schreckgestalten des 21. Jahrhunderts die Technologie teilen müssen ist genau so notwendig, wie der Antifa-Aktivist aus Winterthur sich ein Land mit dem Berner Pnos-Anhänger teilen muss. Damit eine Demokratie entstehen und leben kann, ist es notwendig, dass sich scheidende Meinungen und Weltansichten in Punkto Moral und Ethik auf einer Ebene begegnen können, ohne sich verfolgt fühlen zu müssen.
Trotzdem darf dem Verbrechen nicht einfach freie Hand gelassen werden. Im Darknet aber spielen zwei Mechanismen zusammen, die eine Verfolgung schwierig machen.
Es soll im Darknet ermittelt werden. Verbrechen müssen in einer gesunden Gesellschaft ohne Emotion und persönlicher Befangenheit geahndet werden. Aber hier spielt ein zweiter Faktor ein: Wenn es der Polizei gelingt, einen Kinderschänder im Darknet mit technologischen Mitteln festzusetzen, dann kann die Regierung Erdogans dieselbe Methode verwenden, um Freiheitskämpfer festzusetzen.
Soll das Darknet verboten oder überwacht werden? Oder plakativer: Sind 14 verhaftete Pädophile es wert, dass hunderttausende Freiheitskämpfer in Angst leben müssen? Denn das ist eine der Fragen, die wir uns als Gesellschaft der ersten Welt stellen müssen. Wen schützen wir wie? Und während wir die einen schützen, wen bringen wir in Gefahr?
Und endlich stellt sich die Frage, die so alt ist wie die Menschheit: Wie viel Freiheit wollen wir für die Sicherheit aufgeben, die dann oft nur Illusion ist?


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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