Da stand ich also vor dem Mutterschiff des Büsis. Eine ganze Kindheit hatte offenbar nicht ausgereicht, um mir die Liebe zu diesem Kätzchen auszutreiben und nun, im Alter von 27 Jahren, in absolut unangemessenem Ausmass glückselig und aufgekratzt, betrat ich zum ersten Mal: den Flagshipstore von Hello Kitty in Tokio. Fünf Stockwerke geballte Niedlichkeit, lächelnde Hamburger mit Armen aus Pommes, weichgezeichnete Tiere in Mintgrün und Fliederfarben, ein Trip auf dem Regenbogen. Ausser mir schlichen an diesem Nachmittag nur ein paar verwahrlost wirkende Japanerinnen um die Regale. Irgendwann begann ich mich zu fragen, ob, wer nach Studiumabschluss noch immer wegen einem Büsi mit Schleife am Ohr in rauschähnliche Zustände verfällt, eines Tages zwangsläufig in einer rosarot zugemüllten Zwölfquadratmeterwohnung in einem Tokioter Vorort endet. Mit einem «My Melody»-Zahnputzglas und zwei «Little Twin Stars»-Stempelsets hastete ich zur Kasse.
Zurück zu Hause legen die Buben mit grosser Sorgfalt einen Zoo zähnefletschender Tiere an, um deren Mitglieder dann schnaubend und knurrend aufeinander losgehen zu lassen. «Mami, ich kann brüllen wie ein Gorilla! », berichtet mir der Kleine nach einer Weile freudestrahlend und demonstriert, wie sich ebensolcher auf einen Alligator stürzt. Ich nicke und rücke Janoschs liebenswürdige Tigerente, die seit Jahren unbemerkt im Regal steht, etwas mehr in sein Blickfeld. Haben all die Bilderbücher mit flauschigen Schäfchen und unbeholfenen Rehlein denn so gar keinen Eindruck hinterlassen? Und wie oft haben wir uns die Geschichte von Boris, dem Frosch angesehen, die so wunderbar von Ausgrenzung, Freundschaft und Grossherzigkeit erzählt? Warum geht es in den Rollenspielen meiner Söhne ständig darum, wer wen zu Boden ringt und dass ein wütendes Krokodil gerade nach strammen Kinderbeinchen schnappt, die strammen Kinderbeinchen das Tier aber selbstverständlich mit gezieltem Tritt in die Flucht zu schlagen wissen? Was ist eigentlich mit meinem «Little Twin Stars»-Stempelset passiert, dass ich ihnen vermacht habe?
Schon unter dreimonatigen Pfüdis, haben Wissenschaftler herausgefunden, schauen Mädchen länger hin, wenn man ihnen eine Puppe hinhält, und Buben, wenn man einen Lastwagen vorsetzt. Ebenso kam eine britische Psychologin kürzlich zum Schluss, dass Krabbelbuben zur Schaufel greifen, wenn man ihnen ein paar geschlechtstypische Spielsachen vorsetzt, Krabbelmädchen dagegen eher zum Spielkochtopf - und das, obwohl überholte Rollenbilder bis dahin ja noch nicht besonders viel Zeit gehabt hatten, um sich in den Köpfen der nächsten Generation festzusetzen. Die Biologie habe ihre Finger stärker im Spiel als gemeinhin gedacht, lautet ein Erklärungsansatz. Mädchen sind oftmals feinmotorisch voraus und besser darin, Gesichter zu lesen, männliche Babys hingegen bewegen sich mehr und sind interessierter an räumlicher Wahrnehmung. Das alles wirke sich auf frühe Spielzeugvorlieben aus; und das, was die anderen Buben dann im Kindergarten sagen sowie die extensiven Marketingbemühungen der Spielwarenindustrie tragen später wohl das Ihrige zu den Unterschieden bei.