Hintergrund

Bis an die Grenzen im Einsatz

Die Mitglieder der SLRG widmen ihre Freizeit dem Wasser. Einmal pro Monat trainiert die Sektion Mittelrheintal, bei rasendem Puls ruhig Blut zu bewahren. Ein Besuch bei den ehrenamtlichen Lebensrettern.

Die Probleme treiben ihnen entgegen

Es ist ein Augusttag, wolkenverhangen und regnerisch. Untypisch für diesen Corona-Sommer, der bei den Rettungskräften die Alarmglocken schrillen lässt. Mehr Menschen, die in den Ferien im Land bleiben und entlegene Orte am Wasser aufsuchen. Das bedeutet erhöhte Unfallgefahr.

Fünfmal musste die Sektion Mittelrheintal bis Mitte August schon ausrücken. «Im Vorjahr waren es um diese Zeit erst zwei Einsätze», sagt Dario Rodi. Ein Sucheinsatz war 2020 glücklicherweise noch nicht dabei. «Dreimal Personenrettung, zweimal technische Hilfeleistung», bilanziert er.

Ein Fahrzeug im Kanal, eine Sachgüterbergung. Ein Badeunfall, eine Person im Rhein, ein Suizidant, der von der Brücke springen wollte. «Das kommt leider immer wieder vor.»

Nicht alle Einsätze sind spektakulär. Die SLRG übernimmt auch Badewachen und Sicherungsdienste bei Veranstaltungen, bietet Kurse und ein reges Vereinsleben an. Sie ist mehr als «nur» die Rettung und gut eingebunden: «Seit 1982 sind wir von der SLRG stolzes Mitglied beim Schweizerischen Roten Kreuz», heisst es in der Selbstbeschreibung.

Bis ein Rettungsschwimmer fit für den Einsatzzug ist, der im Ernstfall ausrückt, dauert es eine Weile. «22 Leute sind im Alarmfall aufgeschaltet, zwei oder drei sind auf dem Weg dazu», sagt Dario Rodi. «Die Grundausbildung geschieht intern, dann gibt es Einsatzübungen und Einsatztraining.»

Aus dem Alltag in den Einsatz

Wer dabei sein will, muss mehr als nur gut schwimmen können. Rodi zeigt Suchstangen, Kisten mit Seiltechnik und Abseilmaterial. Handwerkszeug, mit dem die Rettungsschwimmer vertraut sein müssen. Je nach Situation sind unterschiedliche Qualitäten gefordert: «Grundsätzlich sind wir Generalisten, haben aber einen unterschiedlichen Erfahrungsstand», sagt Rodi.

Timing ist alles

«Wasserrettung! Rausschwimmen! Nicht weiter!», hallt es rüber bis nach Österreich. Ein Team in voller Montur hat sich am Ufer postiert. Der Mann im Wasser krault, offensichtlich unbeeindruckt, noch ein paar Züge weiter in Richtung Flussmitte. Dann bewegt er sich nicht mehr, treibt reglos in Bauchlage vorbei. Platsch, ein Kopfsprung. Die Retterin arbeitet sich hin, packt und dreht ihn.

Mit dem Seil an ihrer Schwimmweste gelingt es der Kollegin an Land, beide ganz langsam aus der Strömung ans Ufer zu ziehen. Etwa 50 Meter weiter werden sie vom zweiten Posten in Empfang genommen. Hört sich einfach an, klappt in der Dynamik des Augenblicks jedoch nicht immer.

Das Timing in der starken Strömung ist schwierig. Es ist eine Kunst, im richtigen Moment zu springen, um den Verunfallten schnell zu erreichen. Gelingt das nicht, folgt der Ruf «Seilende! Schwimmen!» und niemand kann mehr ziehen, was die Rettung komplizierter macht.

Wer trainiert, reagiert in Ausnahmesituationen mit höherer Wahrscheinlichkeit richtig. Eine Garantie gibt es nicht, jeder Einsatz ist anders. «Es soll und darf etwas in die Hose gehen», sagt Rodi über das Training. «Nur so können wir besser werden.» Mein Stichwort. Auch ich darf in die Hose gehen, steige ich in Badehose und Neopren, um als «Patient» im Wasser zu treiben. Von «Opfern» sprechen die Retter nicht, solange es noch Hoffnung gibt.

Der Herr der Lage

Im Ernstfall wäre ich darauf angewiesen, dass jemand reagiert und die Retter alarmiert. «118 wäre die richtige Nummer, 144 funktioniert natürlich auch», sagt Joël Rodi, der am Wasserrettungsfahrzeug Position bezogen hat und die Lage am Einsatzort überblickt. «In Fliessgewässern haben wir das Rettungskonzept Alpenrhein», sagt er, und verweist auf die Karte an der Fahrzeugwand, die Ortsnamen und markante Punkte wie Brücken enthält.

«Diese sind nummeriert und wir haben eine Abschnittsbildung», erklärt er. «Wenn jemand in Not ist, lösen wir ein SOP aus und die Einsatzleiter treffen sich an der nächsten Brücke.» An der Abschnittsgrenze werde einen Sicherungsposten eingerichtet. «So ist basierend auf unserer definierten Ausrückzeit sichergestellt, dass der Patient noch nicht vorbeigetrieben ist.» Daneben wird auf der Lagekarte festgehalten, wie sich die Situation entwickelt.

Der Blick auf die Führungsstruktur zeigt, wie wichtig die Kommunikation ist. Polizei, Feuerwehr und Sanität sind die Partnerorganisationen, dazu kommen im Grenzgewässer die österreichischen Kollegen. «Vom Ereignis über die Alarmierung, Anfahrt und Einsatzbewältigung ist das ein standardisierter Prozess», sagt Joël Rodi. Ein Grossaufgebot, das sich nur so bewältigen lässt.

Im Ernstfall müssen alle Rädchen ineinandergreifen, muss jede und jeder wissen, was zu tun ist und sich auf die individuelle Aufgabe konzentrieren. «Nach dem Einsatz haben wir eine Nachbesprechung, ein sogenanntes Defusing, das sich vom Debriefing unterscheidet», erklärt Joël Rodi. «Die Einsatzkräfte machen das selbst in der Mannschaft. Es geht darum, Informationsgleichstand herzustellen.»

Zwischen Spass und Stress

Wer zu Kevin Berger ins Wasserrettungsboot steigt, der merkt, wie sehr eine Aufgabe alle Aufmerksamkeit absorbiert. Schon das Einwassern über die Böschung ist schwierig, bei voller Fahrt flippern die Sinneseindrücke wild durcheinander. Strömung und Wellen, Boot und Horizont verschieben sich rasend schnell zu einem wackeligen Gesamtbild.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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