Hintergrund

Bildrauschen entfernen: Selbsternannter Testsieger mit grotesken Ergebnissen

David Lee
18.11.2025

Das Rauschreduzierungstool Aiarty erklärt sich selbst zum Testsieger. Dabei bewertet es die Konkurrenz total unfair. Die Resultate des Tools schwanken zwischen gut und katastrophal.

Beim Googeln gefunden: Ein Testbericht, welcher die neun besten KI-Rauschreduzierungstools vergleicht. Software also, die das Bildrauschen in Fotos entfernt. Im Testfeld befinden sich illustre Kandidaten wie Adobe Lightroom oder Topaz, aber auch wenig Bekanntes wie der Aiarty Image Enhancer.

Aiarty geht eindeutig als Sieger hervor. Beste Qualität und am schnellsten. Das überrascht – bis man merkt, dass man sich auf der Webseite von Aiarty selbst befindet.

Guter erster Eindruck

Aber gut – vielleicht stimmt es ja trotzdem. Mit der KI-Rauschreduzierung von Lightroom war ich bislang nicht ganz zufrieden. Topaz habe ich nie ausprobiert, weil es teuer und nur im Abo erhältlich ist. Aiarty dagegen kann auch ganz altmodisch gekauft werden. Teuer ist es auch nicht (99 US-Dollar, Stand 17.11.25). Also, warum nicht mal probieren?

Mein erster Versuch verläuft positiv. Es dauert zwar etwa zwei Minuten, bis das Bild berechnet ist, aber das Warten lohnt sich. Aiarty erhöht die Auflösung um Faktor 64 und zeichnet beim Hamster feinste Details nach. Auch wenn es in der 1:1-Ansicht nicht gut aussieht, wird das Bild doch deutlich schärfer. Das ist ein klarer Vorteil gegenüber Lightroom – dort kann die KI nur entweder vergrössern oder das Rauschen entfernen, aber nicht beides gleichzeitig.

Ein Ausschnitt aus dem Originalbild.
Ein Ausschnitt aus dem Originalbild.
Derselbe Ausschnitt, mit Aiarty verbessert.
Derselbe Ausschnitt, mit Aiarty verbessert.

Schlechter zweiter Eindruck

Doch alle weiteren Versuche können den guten ersten Eindruck nicht bestätigen. Ich nehme Bilder von flinken Vögeln – hier tritt Bildrauschen sehr oft auf, weil für kurze Belichtungszeiten hohe ISO-Werte nötig sind. Aiarty bläht beim Hochskalieren nur die Pixelzahl auf, ohne das Foto wirklich schärfer zu machen.

Noch übler ist, dass das Rauschen nur stellenweise verschwindet, an anderen Orten dagegen vergrössert und verstärkt wird. Bei Lightroom passiert das nicht.

Ausschnitt aus obigem Bild (Version mit Aiarty). Im unteren rechten Bildbereich treten seltsame Muster auf, wahrscheinlich weil das Rauschen als gewollter Bildteil interpretiert wurde.
Ausschnitt aus obigem Bild (Version mit Aiarty). Im unteren rechten Bildbereich treten seltsame Muster auf, wahrscheinlich weil das Rauschen als gewollter Bildteil interpretiert wurde.

Katastrophaler dritter Eindruck

Bei einer Meise ist das nicht so schlimm – ich kann ja eine neue, bessere Aufnahme machen. Das geht aber nicht immer. Ich habe zum Beispiel 2009 ein schlechtes Foto gemacht, als Yelena Isinbayeva in Zürich den noch heute gültigen Weltrekord im Stabhochsprung aufstellte. Dieses historische Ereignis kann ich nicht mehr neu und besser fotografieren.

Nikon D70 und ein Objektiv mit zu kurzer Brennweite: Das Foto vom Weltrekordsprung ist von schlechter Qualität.
Nikon D70 und ein Objektiv mit zu kurzer Brennweite: Das Foto vom Weltrekordsprung ist von schlechter Qualität.

Mein Versuch, das Foto mit Aiarty zu entrauschen und zu schärfen, produziert grotesken KI-Müll. Du hast es im Titelbild schon gesehen, hier nochmal ein Ausschnitt aus dem Publikum. Die Personen sind absolut nicht identifizierbar – zum Glück, denn sonst könnte ich das gar nicht veröffentlichen. Es wäre ehrenrührig.

Sorry, Leute.
Sorry, Leute.

Aiarty verfügt über verschiedene KI-Modelle sowie eine Funktion «Gesichts-Retusche». Diese macht die Gesichter anders, aber nicht besser. Auch hier gilt: Diese Menschen sehen in Wirklichkeit komplett anders aus, die KI fantasiert hier etwas zusammen. Rechts auf Höhe der Stange hat die Software kurzerhand ein Gesicht in den Ellbogen eines Zuschauers gezeichnet.

Kreatives Entrauschen oder: der Mann mit dem Frauenkopf im Unterarm.
Kreatives Entrauschen oder: der Mann mit dem Frauenkopf im Unterarm.

Übrigens dauert die Berechnung dieser Gesichter eine gefühlte Ewigkeit. So viel zur Behauptung, Aiarty sei «am schnellsten».

Der «Test» von Aiarty

Schon nach wenigen Fotos ist mir klar, dass dies nicht der beste KI-Entrauscher sein kann. Nun nimmt es mich wunder, wie denn der Autor von Aiarty sein eigenes Urteil begründet.

Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass bei Lightroom gar nicht die KI-Rauschreduzierung getestet wurde. Sondern das herkömmliche Entrauschen ohne KI, das es seit Urzeiten gibt. Der Beitrag stammt vom September 2025, als die KI-Rauschreduzierung längst Bestandteil von Lightroom war.

Hier wurde gar nicht die KI-Entrauschung getestet.
Hier wurde gar nicht die KI-Entrauschung getestet.
Quelle: aiarty.com

Die KI-Entrauschung in Lightroom funktioniert bislang nur bei Aufnahmen im RAW-Format. Das ist ein Nachteil, aber kein Grund, die Funktion einfach zu ignorieren. Ausser man verwendet als Testbild ein geklautes Porträt aus dem Internet, wie es der Autor dieses «Tests» tut.

Zu allem Übel wurde dann der Entrauschen-Schieberegler einfach aufs Maximum gestellt, ohne die Details ebenfalls zu erhöhen – und dann bemängelt, dass Details verloren gehen.

Auch die Angabe der externen Testbewertung ist unfair. Bei Lightroom und Topaz wurde die Bewertung von PCMag genommen (4 von 5). Beim eigenen Produkt dagegen die Bewertung von G2 (4,5 von 5). Man müsste natürlich von allen Produkten die gleiche Referenz nehmen. Tut man dies, schneidet Lightroom besser ab als Aiarty: Auf G2 erreicht es die Durchschnittsbewertung von 4,6 gegenüber 4,3. Jep, die 4,5 von oben sind auch noch falsch, oder zumindest grosszügig aufgerundet. Ausserdem hat Aiarty auch nur zwei Bewertungen gegenüber fast 4000 Bewertungen von Lightroom und Lightroom Classic.

Alles in allem hat der Tester einen doppelt geschraubten Salto rückwärts machen müssen, um die eigene Software besser dastehen zu lassen als Adobe Lightroom. Auf die Bitte zu einer Stellungnahme erhielt ich von Aiarty keine Antwort.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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