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Aus Müll wird Mode: Ist die leere Chipstüte die neue It-Bag?

Demna Gvasalia macht seinem Namen als Querdenker der High-Fashion-Welt mal wieder alle Ehre: Der Creative Director von Balenciaga funktioniert eine leere Packung Chips zur Clutch um und bringt das Internet zum Rätseln.

Adidas Tracksuit, Baseball Cap, Chipstüte – in dieser Ausrüstung triffst du mich mittwochabends an, wenn ich nach einem langen Tag im Homeoffice zerknautscht aus meiner Wohnung schleiche, um mir im Coop um die Ecke einen Snack fürs Netflixen zu schnappen. Demna Gvasalia hingegen setzte sich genau so in die erste Reihe der Graduate Fashion Show der Antwerp’s Royal Academy of Fine Arts.

Das Onlinemagazin «Enfnts Terribles» dokumentiert in einem viralen Tiktok-Video, wie der Chefdesigner von Balenciaga und Co-Gründer von Vetements den ganzen Tag über eine scheinbar leere Packung Chips spazieren geführt hat. Und nein, er trug sie nicht etwa wie ein Stück Abfall mit sich herum, sondern wie eine schicke Clutch. Marke? Lay’s. Geschmacksrichtung? Gesalzen.

In den Kommentaren rätseln die Leute, was es mit dem bizarren Accessoire des 41-Jährigen wohl auf sich hat. Nimmt Demna die Luxusmode auf die Schippe? Verspottet er seine eigene Kundschaft? Oder hat er den ganzen Tag hindurch einfach keinen Kübel gefunden? Über seine Intention kann nur spekuliert werden, aber ein Blick auf sein bisheriges Schaffen macht deutlich: Die Chipstüte war eine bewusste modische Entscheidung – die gar nicht mal überraschend ist. Nicht zum ersten Mal hat der 41-Jährige aus Abfall Mode gemacht.

Klebeband und Müllsäcke sind High-Fashion

Als Prankster der High-Fashion-Garde beschwört Demna virale WTF-Momente herauf wie kein anderer. Teils mit ironischen Absurditäten wie etwa einem 9000 Franken teuren Wintermantel bestehend aus sieben übereinander geschichteten Jacken (laut «Vogue» eine Kritik am Überkonsum), am liebsten jedoch, indem er unansehnliche Alltagsmode in die Luxuswelt einbettet. Während seiner Zeit bei Vetements bot das Label mit Sitz in Zürich beispielsweise gelbe DHL-Shirts an, die sich abgesehen vom exorbitanten Preisschild kaum von jenen aus dem Merch-Shop der Logistikfirma unterscheiden liessen.

Demnas Begeisterung für Banales geht dabei so weit, dass er gerne auch mal Gebrauchsgüter, die rein gar nichts mit Kleidung zu tun haben, für den Laufsteg zweckentfremdet. Klebeband mit Balenciaga-Logo dient in der aktuellen Herbstkollektion als Gurt für einen Faux-Fur-Mantel – und als Ganzkörperanzug im Fetisch-Look. Dazu trugen Models Taschen, die aussehen wie Abfallsäcke. Nur aus nächster Nähe ist ersichtlich, dass sie eigentlich aus Leder gefertigt sind. Trash Pouch, so der offizielle Name des Modells.

Fake-Schneesturm, Fake-Abfallsack, echtes Klebeband.
Fake-Schneesturm, Fake-Abfallsack, echtes Klebeband.
Quelle: Imaxtree

Balenciaga soll nicht exklusiv sein

Gegenüber «The Guardian» beschrieb der georgisch-deutsche Designer, der heute in der Schweiz lebt, seine Ästhetik als eine Art «Hyperrealismus». Seine Mode soll also ehrlich sein, Luxus neu definieren, überspitzt das Alltägliche reflektieren. «Etwas Billiges auf eine neue Art und Weise verwenden» – so sei seine Idee von Mode entstanden, wie Demna kürzlich gegenüber «The Business of Fashion» erklärte. Aber heisst auf neue Art und Weise einfach teurer?

Nicht unbedingt. Sein Ziel sei es, eine Ästhetik zu etablieren, die auch durch Sachen rekreiert werden könne, die gar nicht erst aus seinem Modehaus stammen. Fans sollen den Balenciaga-Look auch ohne Balenciaga-Produkte kriegen – für Demna ein Beweis für die Beständigkeit seiner Marke. «Um zu überleben, darf Mode nicht mehr länger exklusiv sein», stellte er einst gegenüber «WWD» klar.

Meine ästhetische Chipstüte der Wahl: Tyrells lightly sea salted – ist aber nur halb leer, um ehrlich zu sein.
Meine ästhetische Chipstüte der Wahl: Tyrells lightly sea salted – ist aber nur halb leer, um ehrlich zu sein.

Demnas letzte Show vor seinem Abgang bei Vetements 2019 ist ein Paradebeispiel dafür. Der Laufsteg: Eine Pariser McDonalds-Filiale. Der Vibe: Ultra-Normcore. Models trugen Beamtenuniformen und Logo-T-Shirts inspiriert von Brands wie PlayStation, Bose oder Heineken. Als Accessoires dienten GoPros, Ear Pods – und eine Tüte Pommes. Die Chipspackung ist eine logische Weiterführung dessen. Und ich find’s ehrlich gesagt geil. Werde ich demnächst meine Chipstüten aufbewahren und liebevoll wie Täschchen herumtragen? Sicherlich nicht. Bewundere ich Demnas zeitgeistiges Händchen für meme-würdige Modesatire? Sowas von. Die neue It-Bag wird die Chipstüte vermutlich nicht, ein interessanter Fashion-Stunt ist sie aber allemal.

Falls du den Stunt nachmachen willst: Im Galaxus-Sortiment findest du die Chiptstüten deiner Wahl. Sogar gefüllt.

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Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.


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