

Was ich nach 263 mal Training in einem Jahr gelernt habe

Vor einem Jahr habe ich beschlossen, fünf Mal pro Woche ins Fitnesscenter zu gehen. Ein Jahr später ist das Projekt zu Ende und ich ziehe Resumée über Motivation und Disziplin.
«Ich gehe ab sofort Montag bis Freitag ins Training», habe ich meiner Freundin vor genau einem Jahr gesagt. Es war kein Neujahrsvorsatz, kein Bekenntnis zur Fitness oder die Motivation gesunder oder sportlicher zu werden. Ich wollte einfach mal sehen, ob ich das kann. Ein Jahr später kann ich sagen: Ja, ich kann!
Etwas Statistik:
- Ich war in den vergangenen 365 Tagen 263 Mal im Fitnesscenter
- Ein Training dauert in der Regel etwa zwei Stunden. Das ergibt 526 Stunden oder 21.91 Tage Training
- Vier Tage sind ausgefallen. Drei wegen Krankheit, einer wegen Arbeit
- Ich habe ein Paar Schuhe durchgelatscht und ein zweites ist kurz vor dem Exitus
- Zwei Kompressionsshirts habe ich in die ewigen Jagdgründe schicken müssen
- Mein Brustumfang hat um sieben Zentimeter zugenommen
- Mein Bauchumfang hat um acht Zentimeter abgenommen
- Mein Bizeps misst aktuell etwa 45 Zentimeter
Die Vorbereitung auf ein hartes Jahr
Ich habe vor einem Jahr schon relativ viel Gewicht gehoben. Verglichen mit heute natürlich ist das nichts, denn ich bin mittlerweile Strongman-Athlet und trete an Wettkämpfen an. Mehr dazu aber später. Denn bevor du auch nur in die Nähe deiner Maximalleistung kommen kannst, brauchst du einen Plan. Da ich einen recht guten Draht zum Team in meinem Fitnesscenter habe, habe ich ihnen von meinem Plan erzählt. Mein Trainingsplan wurde daraufhin so angepasst, dass ich das Jahr unbeschadet und gesund überstehen werde.
Mein Trainingsplan wurde zu Beginn auf drei «Arm-Tage» und zwei «Bein-Tage» aufgeteilt. So konnte mir Trainer Camillo Ferreirinha versichern, dass meine Muskeln genug Zeit haben, zwischen Trainings zu regenerieren. Die Erfolge können sich sehen lassen. Schnell gehen meine Maximalgewichte nach oben, Cardiotraining auf dem Velo geht immer besser.
Der Weg zum Strongman
«Haha, willst du noch Strongman werden», fragt Trainer Fabian Graf eines Tages. Weil bei den Squats hatte ich eine Woche zuvor die Grenze meines eigenen Körpergewichts überschritten. Da ich recht viel wiege, ist das recht viel Gewicht. Klar, ich habe mir zu Weihnachten immer «World’s Strongest Man» angesehen und in «Game of Thrones» Hafþór Júlíus Björnsson als Gregor «The Mountain» Clegane bewundert, aber mich selbst nie in der Riege der ganz Starken gesehen. Darum lache ich auch nur ob dem Vorschlag.
Zwei Wochen später: Ich schreibe Stefan Ramseier von der Swiss Federation of Strongman Athletes ein Mail. Ich frage, wie viel ich heben müsste, um irgendwie mit dabei zu sein und nicht weit abgeschlagen auf dem letzten Platz zu landen. Letzter Platz ist okay, aber dann bitte nur knapp. Er lädt mich zu einem Training ein.

Ab dem Samstag im Juni ändert sich alles. Ich war noch nie so fix und fertig in meinem ganzen Leben. Aber ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen, obwohl mir alles weh tut und ich zweimal fast in Ohnmacht gefallen wäre. Ich habe keinen Hunger, sondern ich muss essen. Es ist viel urzeitlicher. Ich verschlinge also eine Banane, ein Sandwich, eine Packung Guetzli und einen Muffin innerhalb von etwa zwei Minuten und spüle das mit zwei Dosen Dr Pepper runter. Aber der Entschluss ist gefasst: Ich werde Strongman.
Und ich ersetze meine kaputten Laufschuhe mit fürs Gewichtheben tauglicheren Schuhen.

Mein erster Wettkampf
Im Oktober war es dann soweit: Mein erster Wettkampf. An der Fitness-Expo in Basel traten wir vor grossem Publikum in zwei Disziplinen an. Mein Ziel war es, nicht Letzter zu werden.
Beim Axle Clean and Press wird eine Stange mit 5 cm Durchmesser mit Gewichten ab 75kg belegt und über Kopf gestossen. Ich übertraf meinen eigenen Rekord und schaffe 100kg. Damit landete ich auf dem sechsten und somit vorletzten Platz.
Die zweite Disziplin, der Front Hold, ist nicht nur ein Beweis von Kraft, sondern auch von mentaler Stärke. Es geht schlicht darum, 25kg mit ausgestreckten Armen auf Augenhöhe zu halten. So lange wie möglich. Ich schaffte 42.7 Sekunden, bevor ich am ganzen Körper zitternd das Gewicht fallen liess. Damit war ich abgeschlagener Dritter. Zweiter war Niklas Jäggi von CrossFit Bern mit 50.1 Sekunden.

Am Event wurde mir klar: Das ist etwas für mich. Weil nicht nur kann ich mit einem fünften Schlussrang besser abschneiden, als ich gehofft habe, sondern ich fühle mich in der Gemeinschaft der Strongmen willkommen. Wir feuern uns gegenseitig an, freuen uns gemeinsam und am Ende fühlt es sich nicht so an, als ob jemand verloren hätte.
Die zwei Arten, irgendwas hinzukriegen
In meinem Jahr Training habe ich viel gelernt. Vor allem aber, dass es zwei Arten gibt, etwas hinzukriegen.
- Mit Motivation
- Mit Disziplin
Ich bin mittlerweile ein grosser Verfechter des zweiten Punktes, denn Motivation ist definitiv der falsche Weg.
Motivation verlässt sich auf externe Faktoren. Es muss einfach alles stimmen: Deine Laune, das Wetter, dein Arbeitstag, der Gemütszustand deiner Katze und so weiter. Nur wenn all das stimmt, bist du in mental der Lage eine Aufgabe zu bewältigen.
Disziplin hingegen splittet die Funktion vom Gemütszustand. Sprich, du machst etwas ungeachtet deiner Laune und anderen Umständen. Damit drehst du die Prinzipien der Motivation um. Du schliesst Aufgaben erfolgreich ab, und das macht Freude. Damit schaffst du dir die Bedingungen, die ein Motivationsmensch braucht, gleich selbst. Die Implikation dieser Geisteshaltung ist klar: Du wirst besser! In allem.
Das kannst du locker auf alle Aspekte deines Lebens anwenden, sei es Training, Arbeit oder das Aufstehen am Morgen. Wir bleiben aber beim Training. Der Unterschied, praktisch sportlich formuliert kann so lauten:
- Motivationsmensch: Wartet bis er in olympischer Form ist, beginnt dann mit dem Training
- Disziplinmensch: Trainiert, um in olympische Form zu kommen
Wenn du dich auf deine Motivation verlässt, dann wird dein innerer Schweinehund immer mehr Aspekte finden, die immer stimmen müssen, damit du dein «Füdli» ins Training bewegst. Bei Disziplin hingegen erledigst du deine Aufgaben. Basta! Wenn du darauf wartest, dass dein Gefühl es zulässt, dass du etwas erledigen kannst, dann sabotierst du dich selber. Denn das ist genau das, was diese ekelhaften Last-Minute-Übungen und das elende Vor-Sich-Herschieben erst entstehen lässt.
Die Frage, die du dir stellen musst ist diese: «Wie schaffe ich es, dass ich meine Aufgaben erledigen kann, ohne dass ich ewig rummosern muss?»
Der Hintergedanke ist, dass du dein emotionales Wohlbefinden von der anstehenden Aufgabe entkoppelst, denn du wirst dich nach der Aufgabe eh besser als vorher fühlen. Wenn du all deine Aufgaben von der Motivation abhängig machst, dann endest du auf deinem Sofa und spielst in deiner Unterwäsche PlayStation während deine Aufgaben unerledigt bleiben, weil die Sterne gerade nicht richtig stehen.
Motivation versus Disziplin im Arbeitsalltag
Sind wir ehrlich, jeder Job hat so seine Aspekte, von dem keiner erwarten kann, dass sich irgendwer dafür motiviert. Dein Job hat das, mein Job hat das. Wenn du also Motivationsmensch bist, dann rennst du hier gegen die Wand. Die leidigen Arbeiten häufen sich an, und weil die Sterne nie richtig stehen, wird der Arbeitsberg grösser und du fühlst dich noch schlechter, weil die Arbeit einfach nicht weniger wird.

Dich für solchen Quark im Büro zu motivieren, grenzt aber an psychologische Folter. «Dieses Meeting ist etwas, das ich mit Leidenschaft mache! Ich bin jetzt topmotiviert für diese Excel-Liste!» Bah! Nein danke! Wenn du deinen Job nur so erledigen kannst, dann gehst du kaputt. Und das will keiner. Dein Chef nicht, deine Freundin oder dein Freund nicht, deine Eltern nicht und du schon gar nicht. Weil irgendwann hat das Hirn die Schmerzgrenze erreicht und du erleidest entweder einen Burn-Out oder einen Brown-Out oder sonst irgendetwas, das ich nicht meinem ärgsten Feind wünsche.
Wenn du aber die leidigen Meetings und die blöden Excel-Sheets mit Disziplin angehst, dann klappt es. Montagmorgen, zwei Stunden Excel-Blödsinn. Dann ist gut. Fertig. Jeden Abend nach der Arbeit gehst du ins Training und basta. Klar, es hat im vergangenen Jahr Tage gegeben, da bin ich wirklich nur der Statistik wegen ins Fitnesscenter gegangen, aber selbst dann habe ich mehr Cardio gemacht und mehr Gewichte gehoben, als wenn ich zu Hause auf der Couch rumgegammelt wäre. Und das gibt mir ein gutes Gefühl. Die Motivation, am Folgetag wieder Gewichte zu heben, ist doch wesentlich grösser als wenn ich weiss, dass das wieder total Kacke wird.
Kurz: Motivation ist die Kunst, dich dazu bringen zu wollen, etwas zu tun. Disziplin ist, es einfach zu tun, egal wie du dich gerade fühlst.
Aber wie kriege ich Disziplin?
Disziplin ist etwas, das du lernen kannst. Wie? Ganz einfach indem du dir Angewohnheiten anerziehst. Irgendwann hast du gelernt, das Licht auszuschalten, wenn du aus dem Raum gehst. Das ist Disziplin. Zähne putzen nach dem Essen? Disziplin durch Angewohnheit.
Genau wie du dir das Zähneputzen angewöhnen kannst, kannst du dir auch das Fitnesstraining angewöhnen. Nimm dir die Zeit, tu, was du tun musst und du wirst sehen, dass du innerhalb kürzester Zeit nicht nur Erfolge erzielen kannst, sondern dich auch noch besser fühlen wirst.


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.