

Quälende Sonntagabende mit der Schnulzenkönigin

Rosamunde Pilcher ist tot. Die Frau, die mich unfreiwillig durch etliche vorpubertäre Sonntagabende begleitet hat. Schön war es irgendwie trotzdem.
Das Pärchen scheint glücklich. Sie leben in der Stadt und haben ein neues Leben begonnen, bis sie für ein paar Wochen zurück in ihre ländliche Heimat muss. Dort lernt sie einen tollen Mann kennen, der sie viel ernster nimmt als der in der Stadt. Sie verliebt sich, der Neue auch. Doch es kommt zu einem eklatanten Missverständnis, das alles Dagewesene infrage stellt. Bis ihr Vater einen Herzinfarkt erleidet, alles andere unwichtig wird und sich die Frischverliebten zusammenraufen. Das Leben in der Stadt erleidet ein abruptes Ende. Sie ist zurück in den saftigen Wiesen und steinigen Klippen in Cornwall, glücklicher als je zuvor.

Und sonntäglich grüsst das Murmeltier
So oder so ähnlich läuft jede ZDF-Romanverfilmung von Rosamunde Pilcher ab. Der kürzlich vermeldete Tod der englischen Schriftstellerin erinnerte mich wieder lebhaft daran. Ich hätte schwören können, jeden Sonntagabend in einer Art Zeitschleife festzuhängen, in der dauernd derselbe Film lief. Meistens war es aber doch ein neuer Streifen aus dem Schmonzetten-Universum, den Mutter und Stiefmutter der ganzen Familie aufdrängten. Ja, meine Eltern sind geschieden und dennoch konnte ich mich nicht von den repetitiven Filmen lossagen. In beiden Haushalten musste ich mich dem Programmwunsch unterordnen, ohne Ausnahme. Da erstaunt es, dass vor allem meine Mutter nie ganz zu ihrer Leidenschaft stehen konnte. Des Öfteren hörte ich Ausflüchte à là: «Ich schaue die Filme nicht wegen der Handlung, sondern wegen der tollen Landschaften.» Aha, Mutter, da hättest du dir auch einfach einen Bildband holen können.
Menschen lieben ihren Kitsch
Dabei beschränkt sich die Anziehungskraft der Romane und deren Verfilmungen keinesfalls auf die Frauen in meiner Familie. Die Königin der Liebesschnulzen zählt mit rund 65 Millionen verkaufter Bücher zu den kommerziell erfolgreichsten Autorinnen der Gegenwart. Die Verfilmungen auf ZDF schauen sich durchschnittlich über sieben Millionen Zuschauer an. 2002 wurde Rosamunde Pilcher zusammen mit Claus Beling, ZDF-Hauptredaktionsleiter, mit dem British Tourism Award ausgezeichnet, weil die Filme ausserordentlich viele deutsche Touristen nach Cornwall locken. Sorry Mama, die Landschaft scheint doch eine wichtige Rolle zu spielen.
Aber auch die wohlsituierten, gut aussehenden Protagonisten werden ihren Teil zum Erfolg beitragen. Das scheinbare Familienidyll mit überholten Rollenvorstellungen und die kitschigen Handlungsstränge lullen das Publikum eher ein, als es abzuschrecken. Die gezeigten Inhalte sind weit weg vom Leben der Zuschauer und genau das scheint das Erfolgsgeheimnis zu sein – vor allem am Sonntagabend.
Doch die Altmeisterin der Schmonzette kann auch anders. Wenige Tage nach deren Tod wurde vom ZDF die neueste Pilcher-Verfilmung «Die Braut meines Bruders» ausgestrahlt. Und dieser ist vergleichsweise modern, dreht er sich doch um einen schwulen Fussballer, der mit seiner sexuellen Orientierung hadert. Das muss die Zuschauer aus der Bahn geworfen haben. Fast sechs Millionen versammelten sich vor den heimischen Bildschirmen, was dem ZDF die beste Zuschauerzahl eines Pilcher-Films seit über zwei Jahren bescherte. Mein Wild Guess: Mag mehr an der Betroffenheit ausgelöst durch den Tod der Schriftstellerin gelegen haben als an der Handlung.
Eine wunderschöne Hassliebe
Gut, Mutter und Stiefmutter sind nicht allein mit ihrer Begeisterung. Schlecht, in ihrer Familie schon. Im Gesicht meines Vaters las ich anfangs eine gute Portion Scham, bei meiner Schwester nur leichtes Desinteresse. Mit der Zeit entwickelte sich aber eine Art Ritual aus den sonntäglichen Filmabenden. Wir rissen zwar dauernd Witze über die Filme, wie auch über die begeisterten Damen, aber auf eine schleichende Weise begann auch der Rest der Familie die Filme zu mögen. Auch wenn wir beim Ankündigen des Programms aus dem Fernsehheft – gibt’s die überhaupt noch? – den Pilcher jedes Mal gekonnt wegliessen, wussten wir doch, was uns zu erwarten hatte. Und das war okay. Die kitschigen Liebesfilme brachten die ganze Familie zum Lachen, sorgten für Gesprächsstoff und schafften es irgendwie, unsere eigene verkorkste Art von Familienidylle zu kreieren. Zwar habe ich die Filme nie richtig lieben gelernt, die Abende mit meiner Familie aber umso mehr. Dafür danke, Rosamunde.


Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.