

Kintsugi für Anfänger: Wie ich einen Transportschaden vergoldet habe
Kintsugi ist eine traditionelle japanische Reparaturtechnik für Keramik. Mit der ursprünglichen Methode haben die meisten Bastelsets so wenig zu tun wie meine Kleckerei mit Kunst. Das Resultat gefällt mir trotzdem.
Vor ein paar Jahren hat mir meine Frau ein Kintsugi-Set geschenkt. Seither warte ich auf das passende Missgeschick, um etwas nach der japanischen Methode zu kitten. Teure Keramik, die mir versehentlich aus den Fingern gleiten könnte, haben wir nicht.
Die goldene Gelegenheit liefert Galaxus frei Haus, als ich einen Beistelltisch und eine Giesskanne bestelle. Eine unheilvolle Kombination, wie sich beim Öffnen des Pakets herausstellt. Zumindest dann, wenn sich die Kanne aus ihrer Befestigung löst und das Tischlein beim Transport einmal auf den langen, dünnen Ausguss fällt. Mein lieber Pöstler, Sie haben Kenny die Kanne gekillt.

Beziehungsweise: dumm gelaufen. Also mache ich ein paar Fotos, melde den Transportschaden und erhalte kurz darauf ein Ersatzprodukt sowie den Hinweis, dass ich das beschädigte Exemplar entsorgen kann.
Ich bin auch schon drauf und dran, als mir mit der Kanne in der Hand der Gedanke kommt, dass sich das vielleicht reparieren lässt. Mein erster Versuch mit normalem Kleber hält, sieht aber bescheiden aus, da rund um die Bruchstelle an der Giesskanne der Lack abgeplatzt ist.
Dann kommt mir Kintsugi in den Sinn. Die Methode, die doch eigentlich mit Keramik in Verbindung gebracht wird. Mein Bastelset soll auch Porzellan, Glas, Leder, Stein, Holz und Metall kleben – so ziemlich alles ausser weichen Kunststoffen.

Was genau ist Kintsugi?
Seit Jahrtausenden wird in Asien der natürliche Lack Urushi verwendet. Er ist zum Synonym für das traditionelle japanische Kunsthandwerk geworden. Der Rohstoff wird aus dem Harz des ostasiatischen Lackbaums gewonnen und naturbelassen verarbeitet oder gefärbt.
Mit Gold- oder Silberstaub vermischt, betont er beim Kintsugi die Risse und füllt Bruchstellen aus, sodass das reparierte Stück besser und einzigartiger aussieht als vorher. Die Narben werden nicht versteckt, sondern vergoldet. Ganz nach der Philosophie von Wabi-Sabi, welche die Ästhetik des Unperfekten betont.

Bei der traditionellen Methode sind keine Chemikalien im Spiel, sondern hochwertige Naturprodukte, die kunstvoll angerührt und teils mit Echtgold-Pulver verarbeitet werden. All das erwarte ich von meinem kleinen Bastelset nicht. Für um die 30 Franken möchte ich nur, dass es am Ende hält, glänzt und mich nicht vergiftet.
Bastelsets kleben mit Expoxidharz
In dieser Preisklasse enthalten die Bastelsets Zweikomponentenklebstoff auf Basis von Epoxidharz und einem Härter. Werden beide Komponenten gemischt, startet eine chemische Reaktion. Am Ende ist der Kunststoff wasserfest, hitzebeständig und nicht mehr elastisch.
Für den Glanz sorgt Goldstaub, der nicht am Zürcher Paradeplatz zusammengefegt wird, sondern dem entspricht, was die Kosmetikindustrie für Make-up-Produkte verwendet. In anderen Farbtönen wie Silber oder Bronze gibt es ihn auch. Dabei liegen noch ein paar Plastikhandschuhe, ein Pinsel und mehrere Holzspachtel – fertig ist das Kintsugi-Set. Wenn du gesprungene Stellen ausbessern willst, musst du darauf achten, dass es auch Knetmasse zum Füllen und Modellieren enthält. Hier ist der Kitt jeweils dabei, die Sets unterscheiden sich in den Farben.
Manch einer lehnt diese «unnatürliche» Kintsugi-Methode kategorisch ab, so wird zum Beispiel das Set von Mora mit zwei Sternen und dem Kommentar «Epoxy-Shit» abgestraft. Einigen wir uns darauf: Es ist nicht die reine Lehre. Und mit Harz und Härter solltest du im flüssigen Zustand vorsichtig hantieren. Sie können Augen, Haut und Atemwege reizen, Allergien verursachen und Wasser verseuchen. Ungemischte Komponenten gehören in den Sondermüll. Ausgehärtet gibt Epoxidharz keine schädlichen Stoffe mehr ab.
Darauf berufen sich die Hersteller in der Regel bei der Frage, ob repariertes Geschirr bedenkenlos genutzt werden kann. Humade habe ich angeschrieben und bislang keine Antwort erhalten, aber diese in den FAQ der Marke bei Instagram gefunden. Wer sein repariertes Stück mindestens 48 Stunden trocknen lässt und nicht über 100 Grad erhitzt, hat demnach kein Problem.
So geht die Reparatur
Neben meiner gebrochenen Giesskanne finde ich auch noch einige Teller mit gesprungenen Stellen, die ich ebenfalls reparieren will. Wie das so ist, wenn ich mich mit einem Thema beschäftige – auf einmal sehe ich überall Möglichkeiten. An dieser Stelle eine kleine Warnung: Mein künstlerischer Anspruch ist gering. Ich will in erster Linie, dass es hält, nehme aber gerne in Kauf, wenn es auch noch besser als vorher aussieht.
1. Kleber anrühren
Mein Bastelset von Humade enthält den Zweikomponentenkleber in einer Doppelspritze. Ich kann beim Anrühren also wenig falsch machen.


2. Masse auftragen
Mit dem Holzspachtel verteile ich das flüssige Gold grosszügig auf den beschädigten Stellen. Während die Masse aushärtet, kann ich sie weiter modellieren. Ein grosses Wort dafür, dass ich mit dem Holzstäbchen darin herumstochere. Anschliessend drehe ich die Kanne um, damit sich während des Trocknens ein goldener Tropfen bilden kann.

3. Macken ausbessern
Mein Modellierkleber ist nicht mehr ganz frisch, er tut's aber noch. Die Haltbarkeit wird mit mindestens 24 Monaten angegeben, da bin ich locker drüber. Ihn nutze ich, um die reichlich vorhandenen Macken an den alten Tellern auszubessern.


Das Ergebnis kann sich sehen lassen
Natürlich bin ich maximal befangen, wenn ich die Früchte meiner Arbeit betrachte. Aber nach zehn Minuten Kleckerei erschliesst sich mir völlig, worin der Zauber von Kintsugi liegt. Statt Makeln und Schäden sehe ich jetzt mein glänzendes Werk, das – zumindest aus einiger Entfernung – gar nicht mal so dilettantisch wirkt. Die Teller haben jetzt goldene Akzente statt offener Wunden. Und wenn ich Kenny, die Kintsugi-Kanne, neben das makellose Ersatzprodukt stelle, bin ich auch völlig zufrieden.

Nur am Namen muss ich noch arbeiten. Vielleicht sollte ich das Modell «Golden Tear» nennen und mit ein paar schwülstigen Sätzen über Trauer, Schwermut und Hoffnung, die sich in der nach oben rollenden Träne manifestieren, in einer Ausstellung platzieren. Wenn ich dann einen Preis gewinne, werde ich sagen: Vielen Dank an meine Frau! Ohne sie wäre das nicht möglich gewesen. Zwei linke Hände waren dagegen kein Hindernis.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.
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