
Meinung
Warum du sofort aufhören solltest, soziale Medien zu nutzen
von Oliver Herren

Der Ruf nach Social-Media-Verboten wird auch in der Schweiz lauter. Die Jugendkommission, die den Bundesrat berät, sagt jedoch: Lösungen liegen nicht im Verbot, sondern in Regeln, Bildung und besserer Regulierung.
Viele Schulen verbannen Smartphones, immer mehr Länder verbieten Tiktok, Instagram und Youtube für Kinder per Gesetz oder definieren strenge Altersgrenzen. So wollen Frankreich, Dänemark oder Griechenland die Nutzung erst ab 15 Jahren erlauben. Ausserdem soll es strenge Kontrollen geben, damit die Altersgrenzen eingehalten werden.
In der Schweiz gibt es ebenfalls Diskussionen. Hier machen sich Lehrerinnen und Lehrer für Social-Media-Verbote stark, weil sie merken, dass zu viel Bildschirmzeit den Kindern schadet und sie schlechter lernen. Und vielfach erlassen die Schulen deshalb tatsächlich ein Handyverbot, der Kanton Aargau sogar flächendeckend in allen Volksschulen.
Das ist nicht im Sinne der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ). In einem aktuellen Positionspapier äussert sie sich zur Frage von Social-Media-Verboten. Und sagt klar:
«Pauschale Verbote von Social Media für Kinder und Jugendliche sind nicht zielführend und nur eine vermeintliche Lösung für ein komplexes Problem.»
Die Kommission, der 20 Expertinnen und Experten aus der Kinder- und Jugendpolitik angehören, vertritt damit eine ähnliche Linie wie die Stiftung Pro Juventute. Auch sie betont, dass Kinder und Jugendliche die Chance haben müssten, den Umgang mit Medien zu lernen.
Für die EKKJ sei es sogar das Recht der Kinder und Jugendlichen, altersgerechten Zugang zu Information und Bildung zu haben und teilhaben zu dürfen an digitalen Angeboten. Sie plädiert deshalb für partizipativ erarbeitete Regeln statt pauschaler Verbote, die Förderung von Medienkompetenz und eine gesetzliche Regulierung der grossen Online-Plattformen.
Aus Sicht der Kommission sind pauschale Verbote von Social Media für Kinder und Jugendliche nicht zielführend und nur eine vermeintliche Lösung für ein komplexes Problem. Die Kommission hält solche Verbote bezüglich der negativen Folgen, die diese nach sich ziehen können, für weitgehend unwirksam. Gleichzeitig schränken sie positive und notwendige Lernprozesse ein, verhindern den Erwerb sinnvoller Kenntnisse und Kompetenzen und verunmöglichen wichtige Erfahrungen.
Was auch immer diese «wichtigen Erfahrungen» sein sollen. Die Tech-Bosse verzichten offenbar darauf, dass ihre eigenen Kinder solche Erfahrungen machen müssen. Mark Zuckerberg, Meta-Chef und damit Herrscher über Facebook, Instagram und WhatsApp, erlaubt beispielsweise seinen beiden Töchtern kein eigenes Social-Media-Profil, bevor diese nicht 13 Jahre alt sind. Viele weitere Silicon-Valley-Unternehmer handhaben es ähnlich. Sie halten ihre Kinder fern von Social Media.
Die EKKJ würde diesen Eltern wohl entgegnen, was auch im Positionspapier steht. Besser als generelle Verbote seien «partizipativ ausgehandelte Regelungen». Gemeinsam mit den Kindern sollten klare Regeln und Leitlinien zur Mediennutzung entwickelt werden. Dabei sei «deren Recht auf Mitsprache zu wahren». Eltern sollten auch darauf achten, «altersgemässe Selbstregulation zu fördern».
Allerdings haben verschiedene wissenschaftliche Studien und Untersuchungen gezeigt, dass das mit der Selbstregulation eben nicht so einfach ist, weil die Social-Media-Plattformen gezielt Schwachstellen ausnutzen, die das noch nicht fertig entwickelte Gehirn junger Menschen hat.
Immerhin realisiert die EKKJ im Positionspapier am Ende, dass die Social-Media-Plattformen kein Angebot sind, bei dem Kinder und Jugendliche in erster Linie lernen und entdecken können. Die Logik der Plattformbetreiber ziele darauf ab, «die Nutzungsdauer zu maximieren und die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer zu binden». No shit, Sherlock!
Die Kommission fordert Transparenzpflichten für die Plattformbetreiber und eine stärkere Regulierung, sogar gesetzliche Vorgaben. Ziel sei es, «sichere Rahmenbedingungen» zu schaffen.
Gerade diese Rahmenbedingungen lassen aber auf sich warten. Erst Ende Oktober 2025 hat der Bundesrat die Vernehmlassung zur Frage der Regulierung von Online-Plattformen überhaupt gestartet – obwohl an der Vorlage bereits seit 2021 gearbeitet wird. Während in der EU zum Beispiel der «Digital Service Act» und auch der «Digital Markets Act» bereits in Kraft sind, dürfte es in der Schweiz noch etwas dauern.
Eigentlich sollte die Vernehmlassung schon vor anderthalb Jahren starten, wurde dann aber immer wieder verschoben. Zuletzt im Frühjahr, als sich die Schweiz in Strafzoll-Verhandlungen mit der US-Regierung befand und der US-Präsident durchaus klar zu verstehen gab, dass er jegliche Einschränkungen der Geschäftstätigkeit der US-Konzerne nicht gut fände.
Nun, allzu grosse Sorgen muss er sich nicht machen. Der Zeitplan sieht derzeit vor, dass die Einführung der Regulierung frühestens 2029 kommt.
Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.
Vom neuen iPhone bis zur Auferstehung der Mode aus den 80er-Jahren. Die Redaktion ordnet ein.
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