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Junta – das Spiel, das mich zum Arschloch macht

David Lee
26.10.2018

Spiele haben eine grosse Macht: Sie lösen in mir Verhaltensweisen aus, die ich mir nie zugetraut hätte. Und dann finde ich das auch noch gut. Das bringt mich zum Nachdenken.

Spieleabend mit Kollegen: Wir spielen Junta. Das Spiel gibt es in verschiedenen Variationen, wir spielen hier die Version «Junta - Viva El Presidente». Eine Art Light-Version, die nicht so lange dauert.

El Presidente, das bin ich. Hört sich eigentlich noch gut an, «el Prrrrrresidente», staatsmännisch und trotzdem entschlossen, die Revolution auch gegen Widerstände resolut durchzuziehen – doch die Realität sieht anders aus.

Dumm nur, dass diese Waffen dann auch gegen mich verwendet werden können.

Verräter, wo du nur hinschaust

Es kommt, wie es kommen muss. Ausgerechnet der Mitspieler, der die ganze Zeit am meisten gejammert hat, wie schlecht er wegkomme, der am lautesten nach Cash geschrien und von mir mit Abstand am meisten Waffen erhalten hat, ausgerechnet der benutzt diese Waffen nun, um mich zu stürzen.

Den Rest des Spiels verbringe ich damit, mich an diesem miesen Verräter zu rächen. Meine Position ist aber so geschwächt, dass ich eh nicht mehr gewinnen kann. Also versuche ich wenigstens noch ein bisschen Schaden anzurichten. Aber nicht einmal das gelingt. Das steigert die Lust auf Rache weiter, obwohl klar ist, dass ich so nie gewinne.

Aber ich lerne meine Lektion. Nicht hinterher rächen, sondern im Voraus lautstark damit drohen. Andererseits grossartige Versprechen für die abgeben, die zu dir halten. Aber vor allem aber nichts unversucht lassen, um Zwietracht zu säen und die verschiedenen Möchtegern-Herrscher gegeneinander aufzuhetzen.

Das sind alles Verhaltensweisen, die ich «im richtigen Leben» strikt ablehne, mehr noch: Ich komme normalerweise gar nicht in Versuchung, mich so zu verhalten. Mir hat es schon als Kind nie Spass gemacht, andere zu quälen oder zu intrigieren. Im Spiel aber entdecke ich plötzlich die Lust am Fiesen. Der Triumph, jemanden hereingelegt zu haben: unbezahlbar. Das Spiel Junta verändert – vorübergehend – meinen Charakter. Das bringt mich zum Nachdenken.

Was geht hier genau vor? Ich fange an, mir grundsätzliche Gedanken über die Wirkung und Funktionsweise von Spielen zu machen.

Eine satirische Aussage über die Welt

Zuerst das Offensichtliche: Spiele folgen einer bestimmten Logik, nach der du spielen musst, um zu gewinnen. Wenn das Spiel so läuft, dass der fieseste Hund die grössten Gewinnchancen hat, dann spielst du halt dieses dreckige Spiel mit. Das bedeutet natürlich, dass es die Spieldesigner in der Hand haben, konstruktive oder destruktive Verhaltensweisen zu fördern.

Trotzdem ein Lerneffekt

Übrigens:Ich nehme an, Junta ist nicht das einzige Spiel mit Arschloch-Effekt – aber das einzige, das ich kenne. Kennst du ein anderes?

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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