

Ich als Nikolaus? Nie wieder!

Als Vater, Götti oder Familienfreund kommst du vielleicht früher oder später in die Situation, wo es heisst: «Spielst du den Samichlaus für unser Kind?» Das ist mir vor zwei Jahren passiert. Es war schrecklich.
Noch nie hatte ich Nikolaus gespielt. Hörte sich aber einfach an. Von der Familie meiner Frau bekam ich praktischerweise eine komplette Ausrüstung gestellt: Rote Hosen, Gürtel, roter Überwurf, Bart, Brille, Stiefel, Jutesack und eine Glocke.
Das Zielpublikum war meine dreijährige Tochter und das gleichaltrige Göttikind meiner Frau. Die Destination ein Wald in Winterthur. Ich habe Mandarinen, Nüsse und Schöggeli in den Sack gepackt sowie ein Bilderbuch, das ich erzählen wollte.
Easy? Was war ich naiv.
Papa hat viel zu tun und kann beim Anlass leider nicht dabei sein, wurde unserer Tochter beschieden. Frau und Kind machten sich auf den Weg. «Du kommst dann einfach nach, ja?», flüsterte meine Frau mir noch ins Ohr.
Das war der erste Fehler: Mangelnde Kommunikation.
Ich habe nämlich die Ruhe in der Wohnung genutzt, um es mir mit einem Kaffee auf dem Sofa gemütlich zu machen. Eineinhalb Stunden später machte auch ich mich auf den Weg Richtung Winterthur. Meine Annahme war, dass das Zielpublikum in der warmen Wohnung sitzt und auf meinen Anruf hin in den Wald zottelt. Das war leider nicht so. Die sassen bereits eineinhalb Stunden im nieselkalten Wald und hatten sich die Hintern abgefroren.
Ich stapfte in den Wald und hatte erhebliche Probleme, mich im Dunkeln umzuziehen.
Das war der zweite Fehler: Mangelnde Vorbereitung.
Der blöde Gürtel, ein Stück Seil, wollte einfach nicht durch die engen Schlaufen. Der Bart, den ich probehalber angezogen hatte, wollte plötzlich auch nicht mehr richtig sitzen. Es half auch nicht, dass verzweifelte Rufe «Samichlaus! Saaaaaaaamichlaus! Wann kommst duuuuuu?» durch den Wald schallten und mich stark unter Druck setzten.
Endlich war ich umgezogen, schwang die Glocke und steuerte auf das Zielpublikum zu. Das war wegen des Geschreis immerhin einfach zu finden. An der Lichtung angekommen, begrüsste ich die halb erfrorene Runde mit verstellter Stimme.
Das war der dritte Fehler: Mangelnde Selbstwahrnehmung.


Das Zielpublikum brach sofort in Tränen aus und versteckte sich hinter Mama (meine Tochter) oder hinter beiden Eltern (Göttikind). Der rauchige, väterliche Tonfall eines alten Mannes, den ich treffen wollte, ging voll in die Hose. Mandarinli wollten die Kinder auf keinen Fall aus den Händen des Samichlaus entgegennehmen. Nicht einmal Schoggi konnte das Eis brechen. Nein, ich musste das Zeug den Eltern übergeben, die es weiterreichten.
«Wollt ihr noch eine Geschichte hören?» Sie wollten. Sehr gut, meine Paradedisziplin, damit rette ich die Party. Ich bin ein ganz ausgezeichneter Geschichtenerzähler. Wenn ich loslege, dann verstummen die Kinder in der Regel und hören mit grossen Augen zu. Allerdings hatte ich die falsche Literatur im Sack.
Das war der vierte Fehler: Mangelndes Zeitgefühl.
Das Bilderbuch, das ich gewählt hatte, war viel zu lange. Nach der Hälfte unterbrach mich die Mama vom Göttikind. «Du Samichlaus, wir sind jetzt zwei Stunden im Wald und frieren. Erzählst du die Geschichte ein anderes Mal weiter?» Dem Tonfall nach war das nicht als Frage gemeint.
Und das ist sie, die Geschichte meines ersten und wohl letzten Einsatzes als Samichlaus. Seither habe ich richtig Respekt vor Nikoläusen, die ihr Metier beherrschen. Meine Tochter hat übrigens kein Trauma erlitten und hat – nach zwei Jahren Aufarbeitungszeit – sogar gute Erinnerungen an den Samichlaus im Wald. Ausserdem lachen wir noch heute Tränen über meinen versemmelten Auftritt.
Du willst es nach dieser Tragödie trotzdem wagen? Du wurdest gewarnt!



Ich bändige das Editorial Team. Hauptberuflicher Schreiberling, nebenberuflicher Papa. Mich interessieren Technik, Computer und HiFi. Ich fahre bei jedem Wetter Velo und bin meistens gut gelaunt.