«Ohne Spenderblut würde ich heute nicht hier sitzen»
Hintergrund

«Ohne Spenderblut würde ich heute nicht hier sitzen»

Alex Peyer arbeitet bei Digitec Galaxus AG in der Logistik. Die junge Frau liebt Tiere über alles. Seit ihrer Kindheit reitet sie, so auch am 2. April 2017. An jenem Sonntag passiert es: Das Pferd «steigt», überschlägt sich und fällt auf Alex. Die Folgen sind fatal und dennoch hat sie Glück, noch am Leben zu sein.

Alex Peyer und ich haben uns an einem sonnigen Nachmittag zum Gespräch verabredet. Ich treffe eine lebensfrohe Frau, die mich mit ihrer positiven Art beeindruckt. Dabei gäbe es genügend Gründe, um mit dem Schicksal zu hadern. Am 2. April 2017 erleidet Alex bei einem schweren Reitunfall diverse Knochenbrüche. Die Folgen: eine achtstündige Not-OP, künstliches Koma, drei Monate Reha, weitere Operationen. Welche Frakturen sie davongetragen hat, will ich als erstes von Alex wissen.

«Die rechte Hüfte ist kaputt, dann wurde das Becken mehrfach gebrochen. Auf dem Röntgenbild war das ein totales Durcheinander, und die Ärzte konnten es auch nicht mehr so zusammensetzen, wie es vor dem Unfall war.»

Weisst du, wie schwer die Stute war?

«Ich schätze mal so um die 500 bis 600 Kilo. Und dann mit Schwung von oben runter ... die Ärzte meinten, ich hätte Glück gehabt, dass sie auf meinem Unterleib gelandet sei. Weiter oben wären die Organe in Mitleidenschaft gezogen worden oder die Rippen hätten sich in die Lunge gebohrt. Das hätte ich dann vermutlich nicht überlebt.»

Hast du noch weitere Verletzungen erlitten?

«Das ist ja das Verrückte. Untenrum ging so ziemlich alles in die Brüche, aber sonst ist mir nichts passiert. Ich habe nicht einmal eine Gehirnerschütterung davongetragen.»

Ebenfalls verrückt: Alex Peyer bleibt bei Bewusstsein, bekommt alles mit.

«Ich habe gesehen, wie die Stute auf mich drauf gefallen ist. Und ich erinnere mich an meinen ersten Gedanken: Ich muss meiner Kollegin Bescheid sagen, dass sie meine Katzen füttern soll, denn heute komme ich nicht mehr aus dem Spital (Alex lacht). Ja, ich weiss noch alles. Später wurde ich dann mit dem Helikopter der Rega ins Uni-Spital Zürich geflogen.»

«Ich sollte mal meine Eltern anrufen.»

Der Unfall ereignet sich um 17 Uhr – um 19 Uhr liegt Alex, noch immer bei vollem Bewusstsein, auf dem Operationstisch. Kurz vor der Not-OP ruft sie ihre Eltern an, um ihnen zu sagen, was passiert ist und dass sie nun gleich operiert werde. Und vor der Narkose schaut sie auch noch auf die Uhr, weil sie wissen will, wie lange der Eingriff dauert. Es werden acht Stunden sein. Ihr Chirurg erklärt ihr später, dass sie nach acht Stunden abbrechen müssen, weil sie während der Operation zu viel Blut verliert. Es sind vier Liter.

«Ohne Spenderblut wäre ich in jener Nacht gestorben,» sagt Alex Peyer dazu ganz sachlich.

Nach dem Eingriff hat sie schlechte Blutwerte. Deshalb versetzen die Ärzte sie kurzfristig in ein künstliches Koma. Anschliessend liegt sie drei Tage auf der Intensivstation. Ist sie vor der Operation voll da, sind die Erinnerungen an die folgenden Tage und Wochen verschwommen.

«Da war ich mit Medikamenten vollgepumpt und wohl ziemlich high. Später kam ich dann auf die Bettenstation und nach rund zehn Tagen waren die Blutwerte soweit in Ordnung, dass ich ein zweites Mal operiert werden konnte. Da wurde dann das nachgeholt, was bei der ersten OP infolge des grossen Blutverlustes nicht gemacht werden konnte.»

Wie ist es dann weitergegangen?

«Einige Tage nach der zweiten Operation kam ich in die Reha. Da sass ich dann erstmal im Rollstuhl. Nach ein paar Wochen durfte ich zum ersten Mal aufstehen, jedoch nur ein Bein mit maximal 15 Kilogramm belasten. Weitere vier Wochen später war dann das zweite Bein an der Reihe. Ich sass aber während den ganzen drei Monaten Reha im Rollstuhl. Und auch heute brauche ich noch einen Rollstuhl, wenn ich länger unterwegs bin.»

«Alex, du musst Geduld haben.»

Wie geht es dir heute, gut ein Jahr nach dem Unfall?

«Naja, es geht so. Ich humpel halt an den Stöcken durch die Gegend und die Ärzte wissen auch nicht, ob es noch jemals besser wird. Bin ich länger unterwegs, brauche ich wie gesagt einen Rollstuhl. Ausserdem werde ich schnell müde und muss mich deshalb immer wieder mal hinlegen. Beim Sitzen habe ich starke Schmerzen, dank eines speziellen Sitzkissens kann ich maximal sechs Stunden sitzen. Dann war ein Bein für eine gewisse Zeit gelähmt, dadurch sind die Muskeln, Sehnen und Bänder nun stark verkürzt. Das muss eventuell nochmals operiert werden. Bis auf weiteres bin ich nur zu 20 Prozent arbeitsfähig. Das schlägt mir auf die Psyche, da ich sehr gerne arbeiten möchte. Die Ärzte sagen mir immer, ich müsse geduldig sein. Aber Geduld gehört nicht zu meinen Stärken (sie lächelt).»

Hat sich deine Haltung in Bezug auf das Blutspenden seit dem Unfall verändert?

«Eigentlich nicht. Bei uns in der Familie spenden so ziemlich alle Blut. Für mich war das immer ein wenig schwierig.»

Warum?

«Ich habe einige Jahre im Ausland gelebt und gearbeitet, unter anderem als Guide in Südafrika, da war Blutspenden in der Schweiz für mich leider kein Thema. Heute darf ich nicht spenden, obwohl ich gerne möchte. Personen, die eine Bluttransfusion erhalten haben, dürfen nämlich nicht spenden.»

«Alles geschieht aus einem bestimmten Grund.»

Am Ende unseres Gesprächs möchte ich von Alex wissen, wie sie ihre Zukunft sieht. Wie geht es weiter, welche Pläne hat sie? Ihre Antwort ist bemerkenswert.

«Wenn ich etwas nicht ändern kann, mache ich das Beste daraus. Ausserdem bin ich fest davon überzeugt, dass alles im Leben aus einem bestimmten Grund geschieht. Aber klar stinkt es mir, speziell jetzt, wo es wärmer wird. Ich möchte draussen sein, mich bewegen. Ich möchte wieder wandern, biken oder reisen. Keine Ahnung, mit dem Zug von Moskau nach Peking fahren. Solche Sachen halt. Aber zum Glück muss man ja nicht gehen können, um zu reiten.»

Du reitest wieder?

«Ja, aber im Moment nur therapeutisch.»

Hast du keine Angst?

«Nein, überhaupt nicht. Ich wurde aus der Reha entlassen, bekam das Okay der Ärzte und sass am nächsten Tag probehalber auf einem Pferd. Nun kann ich wenigstens eine Reit-Therapie machen, um meinen Rücken zu stärken. Einmal pro Woche bin ich eine Stunde auf dem Ross. Anfänglich schaffte ich wegen der Schmerzen nur etwa 20 Minuten. Nun geht es schon besser. Die Therapeutin führt das Pferd an der Longe und ich halte mich an einem Gurt fest. Ich muss meine Rumpfmuskulatur aber weiter aufbauen. Vielleicht bin ich dann eines Tages wieder in der Lage, selbständig zu reiten. In der Reha sollte ich meine Wünsche für die Zukunft formulieren. Also habe ich auf einen Zettel geschrieben: 1. wieder reiten können, 2. wieder gehen können. In dieser Reihenfolge.»

Sie strahlt.

Alex Peyer steht stellvertretend für viele. Der tägliche Bedarf liegt in der Schweiz bei rund 770 Blutspenden. Bis heute ist es nicht gelungen, künstliches Blut herzustellen. Bei Unfällen, zur Behandlung von Krebspatienten oder auch bei Herzkrankheiten braucht es Blut. Darum gilt nach wie vor:

Wer Blut spendet, rettet Leben!

Am 14. Juni 2018 ist Welt-Blutspende-Tag.

Du möchtest Blut spenden? Dann nutze einfach die Termindatenbank des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK und finde Blutspendetermine in deiner Nähe.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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